Im Gerichtssaal festgeklebt: Klimaaktivist kommt ohne Tisch zum Prozess
Henning Jeschke sorgte für Aufsehen, als er sich im Gerichtssaal an einem Tisch festklebte. Nun ging der Prozess weiter – und die Justiz will den Tisch zurück.

Henning Jeschke steht am Donnerstagmorgen pünktlich vor Prozessbeginn am Amtsgericht Tiergarten vor der Saaltür. Unter seiner Jacke trägt er ein T-Shirt, auf dem steht: „Stoppt den fossilen Wahnsinn“. Der 23-Jährige ist mit seinem Anwalt gekommen. Aber ohne jenen Tisch, der den jungen Mann aus Greifswald vor zwei Wochen deutschlandweit in die Schlagzeilen brachte.
Jeschke ist Gründungsmitglied der Gruppe Letzte Generation. Es war der zweite Tag des Prozesses, in dem gegen ihn wegen Nötigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verhandelt wurde. Da klebte er sich mit einer Hand an jenen Tisch, an dem er mit seinem Verteidiger saß. Er rief: „Ich muss es tun, weil wir über Klimanotstand reden müssen.“ Mitstreiter filmten ihn dabei im Saal.
Sie ahnten nicht, wie Richter Sebastian Jacobs reagieren würde. Er ließ den Saal räumen. Jeschke wurde zunächst mit dem Tisch an der Hand in den Vorraum gebracht, dann aus dem Gebäude. Er bekam Hausverbot für diesen Tag, und es wurde ohne ihn weiterverhandelt. Und weil sich der junge Mann nicht von dem Tisch trennen, also seine Hand nicht lösen lassen wollte, nahm er den Tisch einfach mit. Vielleicht auch in der Annahme, die Justiz hätte ihm das Möbelstück geschenkt.
Jetzt hat Henning einen neuen Schreibtisch. Super! pic.twitter.com/dLYTld5P4w
— Letzte Generation (@AufstandLastGen) February 23, 2023
Sofortkleber hatte Jeschke an diesem dritten Verhandlungstag wohl nicht dabei. Er berichtet, dass er an der Sicherheitsschleuse des Gerichts gleich zweimal kontrolliert worden sei und auch kein Handy dabei habe. „Der Tisch wird noch auftauchen“, versichert er auf Nachfrage. Den Tisch mit dem Metallgestell und der grünen Arbeitsplatte hatte er nach Hause geschleppt und zunächst als Schreibtisch genutzt.
Mit dem Möbelstück – so belegen es Fotos auf Twitter – hat der Klimaaktivist offenbar Großes vor. Der Tisch werde symbolisch als Anklagebank fungieren, wenn wegen des Klimanotstands Ermittlungen gegen politisch Verantwortliche geführt würden, sagt er. Und auf die Frage, ob seine Tischaktion nicht eine Missachtung des Gerichts und damit der Rechtsstaatlichkeit darstelle, antwortet Jeschke, dass das genau der Punkt sei. Das Gericht müsse in der Lage sein, den Klimanotstand miteinzubeziehen. Ein sorgfältiges Gericht müsse prüfen, ob es sich bei den Aktionen nicht um einen rechtfertigenden Notstand gehandelt habe.
Im Gerichtssaal ist die Klebeaktion nur insofern noch Thema, dass der Richter dem Angeklagten erklärt, was er am vergangenen Verhandlungstag verpasst hat. Dann werden drei Polizeizeugen gehört. In dem Verfahren geht es um mehrere Straßenblockaden, bei denen der Angeklagte dabei gewesen sei. Und es geht um den großen Schriftzug „Wo ist Olaf?“, den Jeschke am 24. Juni 2022 an das Kanzleramt gesprüht haben soll.
Gezeigt wird auch ein Polizeivideo, auf dem zu sehen ist, wie Jeschkes angeklebte Hand bei einer Blockade vorsichtig von der Polizei mit Speiseöl und Pinsel gelöst wird. Seitens der Polizei habe keine Kraft angewandt werden müssen, erklärt Jeschkes Anwalt. Deswegen habe es auch keine Erschwerung der Diensthandlung gegeben, also keinen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Richter terminiert zwei weitere Prozesstage
Im Zuschauerraum sitzen drei Sympathisanten des Angeklagten, darunter auch die Klimaaktivistin Clara Hinrichs, die sich mittags selbst auch vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen der Beteiligung an Straßenblockaden verantworten muss. Und auch die Polizeizeugen hegen offenbar keine Antipathie gegen den Angeklagten.
So erzählt einer der Beamten, der eine Straßenblockade aufgelöst hat, dass er danach ein gutes Gespräch mit dem Angeklagten im Polizeiwagen geführt habe. Er habe Jeschke gefragt, ob die Gruppierung nicht mit anderen Aktionen erfolgreicher sein würde. Wenn er eine andere Idee habe, soll er gerne zu ihm kommen, habe der Angeklagte erwidert. „Wir sind in dem Gespräch auf keinen Konsens gekommen“, sagt der Zeuge, dem Jeschke beim Verlassen des Saals hinterherruft: „Melden Sie sich gern, wenn Ihnen noch Ideen kommen.“
Der Prozess geht an diesem Tag noch nicht zu Ende. Richter Jacobs terminiert zwei weitere Verhandlungstage auf den 23. März und den 6. April.
Und der Tisch? Zunächst hatte es geheißen, die Justiz würde auf ihn verzichten. Doch das stimmt nicht, wie Gerichtssprecherin Lisa Jani schon einen Tag nach Jeschkes Klebeaktion im Amtsgericht Tiergarten betonte. Der Tisch sei Staatseigentum. Am Donnerstag teilt die Gerichtssprecherin mit, dass der Präsident des Amtsgerichts Anzeige gegen Jeschke gestellt habe wegen der „gesamten Vorfälle“ vor zwei Wochen im Gerichtssaal. Es sei nun Aufgabe der Staatsanwaltschaft, zu prüfen, welche Delikte vorliegen – möglicherweise eine gemeinschädliche Sachbeschädigung.
Außerdem rückt Lisa Jani auch einen Irrtum Jeschkes zurecht. „Der Tisch ist keine Anklagebank, sondern ein Tisch. Und den hätten wir gern zurück.“