Berlin-Mitte : Was die Schleuser am Mühlendamm an der Spree erleben fff
Allein schon das Verkehrsaufkommen hält dort das Personal in Atem. „Dies dürfte die von der Berufsschifffahrt am stärksten befahrene Schleuse in der Bundesrepublik sein“, sagt Jörg Augsten vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Berlin. Allein im vergangenen Jahr fuhren mehr als 36.000 Wasserfahrzeuge durch die Schleuse im Schatten der Hochhäuser auf der Fischerinsel, fast ein Drittel mehr als im Jahr 2000.
Zum anderen müssen die Schleusenmeister im Berliner Stadtzentrum mit Herausforderungen zurechtkommen, von denen ihre Kollegen anderswo verschont bleiben. „Zum Beispiel mit Ehedramen“, sagt Schichtleiter Heiko Bank. Ein ruhiger Mecklenburger, mitten im Berliner Durcheinander.
Genau, mit Ehedramen! Folgende typische Situation: Eine Motoryacht hat sich eingereiht in die Warteschlange, vor ihr große Fahrgastschiffe, hinter ihr große Fahrgastschiffe. Die Einfahrt in eine der beiden Schleusenkammern steht bevor. Für den Ehemann, der auf solchen Booten meist am Steuerrad steht, bedeutet das Stress. Für die Ehefrau, die ihm zur Hand gehen soll, ebenfalls. „Wenn die Frau dann nicht so will oder nicht so kann wie er, kann es schon mal Streit geben“, sagt Bank.
„Zausel“ wird abgewiesen
Wer an der Schleuse Mühlendamm arbeitet, muss mit Hektik umgehen können. „Hier geht es ruckzuck“, sagt Bank. Eine Schleusung dauert zehn Minuten, oft drängen sich acht Boote und Schiffe in einer Kammer. Das Personal muss auch gut kommunizieren können. Viele Schiffsführer kommen aus dem Ausland: niederländische Touristen, polnische Berufsschiffer. Sie alle müssen sich verständlich machen, was mehr oder weniger gut klappt. Jede Schleusung ist auf Funkkanal 20 anzumelden.
Manch einer muss abgewiesen werden, weil er die Anordnungen nicht beachtet hat, die hier gelten. So sind Paddelboote und Segelboote ohne Motor in der Berliner Innenstadt zwischen der Mühlendammschleuse und der Moabiter Lessingbrücke tabu. Pflicht ist ein Motor mit mindestens fünf PS, tagsüber außerdem UKW-Sprechfunk und das dazugehörige Patent, um sich auf Kanal 10 mit anderen Nutzern der Spree-Oder-Wasserstraße an Engpässen absprechen zu können.
Und nun das: Im Sportboot „Zausel“, das zu Tal, flussabwärts, geschleust werden soll, funktioniert Kanal 10 nicht. „Zumindest kommt hier nichts an“, sagt Banks Kollege Stefan Meier (36). „Solange kann ich Sie nicht schleusen.“ Das verstehe er nicht, entgegnet der Bootsfahrer verärgert. „Was soll ich denn jetzt machen?“ Meier: „Sie müssen den Sperrbereich umfahren, über den Landwehrkanal.“
Zuvor muss „Zausel“ durch die Oberschleuse, dessen Personal auch so einiges berichten kann. Bank: „Dort mussten die Kollegen schon mal Stand-Up-Paddler abweisen.“ Stehpaddler trauten sich in die Kammer. Mutig! In einer Schleuse, die am Rand der Kreuzberger Freizeitwelt liegt, kann das passieren.
Heiko Bank, 37 Jahre alt und ursprünglich Wasserbauer, betrachtet das Treiben mit professioneller Gelassenheit. Was aber nicht heißt, dass er sich nicht über Regelverletzungen ärgert. Etwa bei Fußball-Fans: „Ein Schiff mit Bayern-Fans, eins mit Dortmund-Fans, alle betrunken. Das gibt Ärger. Die beleidigen sich gegenseitig. Und andere.“ Überhaupt der Alkohol: „Die Wasserschutzpolizei ist öfter hier, zur Kontrolle“, so der Schleusenmeister.
Nun aber erscheint erst einmal die Bundeswehr. Die Barkasse „Marine 1“ wartet auf die Schleusung, gemeinsam mit den Fahrgastschiffen „Weihe“, „Milan“ und „Pergamon“. Sie ist auf dem Weg von ihrem Liegeplatz in Baumschulenweg ins Regierungsviertel. Die Besatzung trägt Uniform, in der Kajüte stehen Kekse und Kannen auf dem Tisch. Hier trifft sich das Militär zu Gesprächen, auch Ministeriale und Staatsgäste werden durch Berlin gefahren. Das Schiff wird zwei Stunden später wiederkehren, norwegisch beflaggt, mit Krawatten- und Uniformträgern beim Kaffee.
Der Nikolaus kommt mit dem Schiff
Der Schiffsverkehr in Berlin ist etwas Besonderes. Auf fast allen Wasserstraßen im Land dominiert die Güterschifffahrt, hier nicht. Die Tonnage ist gering, im vergangenen Jahr passierten nur knapp 376.000 Tonnen die Mühlendammschleuse. Wer Berlin nur durchqueren will, fährt woanders entlang, etwa über den Teltowkanal. „Den meisten Berufsschiffern ist im Zentrum zu viel los“, sagt Jörg Augsten vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt.
Für die Havarie, die im Mai 2014 die Südkammer sechs Monate lang lahmlegte, war allerdings ein Güterschiff verantwortlich. Der Tanker Nordwind, der leer auf dem Weg nach Hamburg war, prallte gegen einen Torflügel. Er hatte keinen Rückwärtsgang, und in der Hektik klappte die Richtungsänderung nicht.
Dass Berlin eine Spaß- und Tourismusmetropole ist, erlebt auch das Personal der Mühlendammschleuse jeden Tag. Die „Beats & Boats“-Schiffe, auf denen am kommenden Sonnabend wieder Partyvolk zu Technoklängen tanzt, passieren die Anlage ebenso wie die die „Hauptstadtflöße“, auf denen sich Feiernde in Tom-Sawyer-Atmosphäre durch Berlin chauffieren lassen. Im vergangenen Jahr haben fast 14 Mal mehr Fahrgast- als Güterschiffe die Schleuse genutzt, insgesamt mehr als 23.000. Ein routiniertes Spatzenteam erwartet die Dampfer, um Krümel aufzupicken.
Zu DDR-Zeiten fuhren keine Fahrgastschiffe durchs Zentrum. Auch keine Sportboote – von denen sich im vergangenen Jahr fast 7600 am Mühlendamm schleusen ließen, übrigens kostenlos. Güterschiffe müssen dagegen Gebühren zahlen, auch für die Kanalnutzung. Stefan Meier rechnet ein Beispiel aus: 400 Tonnen Hüttensand, der für die Zementherstellung gebraucht wird, vom Westhafen nach Rüdersdorf zu befördern, kosten 54,80 Euro plus drei Euro Zuschlag.
In der Binnenschifffahrt gibt es schon immer eine Maut.
Und dann ist da noch die Hauptstadt Berlin. Die Königinnen Beatrix (Niederlande) und Elizabeth (Großbritannien) wurden auf der Spree gefahren. Wenn sich Sinterklaas, dem deutschen Nikolaus ähnlich, am 5. Dezember aufmacht, um die Kinder des niederländischen Botschaftspersonals zu beschenken, erfährt das Team der Mühlendammschleuse ebenfalls davon. Die kurze Flussquerung zum Rolandsufer startet direkt nebenan, „darum muss sie angemeldet werden“, sagt Bank.
„Die Schleuse ist an der Kapazitätsgrenze“, sagt Jörg Augsten. Die Kammern sind zu mehr als 80 Prozent ausgelastet. Jeder Schleusenmeister arbeitet sieben Tage lang, dann hat er zwei Tage frei. „Ich war auch schon Weihnachten und Silvester hier“, so Heiko Bank.
Auch am Jahresende ist viel los: Weihnachtsfeiern auf dem Wasser, Partyfahrten. „Der Verkehr nimmt Jahr für Jahr zu. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht“, sagt Stefan Meier. Dann muss er wieder zum Steuerpult. Ampel auf Rot! Die nächste Schleusung beginnt.