Stille Straße 10 darf bleiben: So kämpften Senioren für ihre Begegnungsstätte
Nach der Besetzung und über zehn Jahren Unsicherheit hat Berlin dem Förderverein nun ein dreijähriges Nutzungsrecht zugesichert. Die Seniorinnen freuen sich.

Ingrid Roland lässt die Stifte über das Blatt vor ihr gleiten. Die scheinbar unförmigen Striche werden bald zu wunderschönen Blumen. „Ich rauche nicht und trinke nicht, dafür komme ich jede Woche mit der Taxe zur Malgruppe“, sagt die 85-Jährige. „Wo sollten wir denn auch hin, ohne noch weitere Wege?“
Die fünf Frauen, die hier in der Runde sitzen, sind allesamt erleichtert, dass es die Begegnungsstätte in der Stille Straße 10 noch gibt. Zum Malen, zum Sport, zum Teetrinken. Für die nächsten drei Jahre ist das Bestehen dieses Vereins nun gesichert. Der Verein hat gemeinsam mit der „Volkssolidarität“, die ihn schon seit über zehn Jahren als Träger unterstützt, und dem Bezirk erstmals ein dreijähriges Nutzungsrecht erwirkt.
Der Bezirk wollte das sanierungsbedürftige Haus aus dem Baujahr 1925 abreißen. Die Kosten der Sanierung und Modernisierung waren zu hoch. Von Juli bis Oktober 2012 organisierten die Bewohner deshalb eine Besetzung, bis der Bezirk die Nutzung für ein Jahr genehmigte. Seitdem hangelte sich die Einrichtung so von Jahr zu Jahr. Die Räume wirken frisch renoviert. Dass das Haus so gut in Schuss ist, sei dem Förderverein zu verdanken, sagt Bezirksstadträtin Cordelia Koch.

Die Seniorin war schon vor über zehn Jahren bei der medienwirksamen Besetzung mit dabei, brachte damals den Mutigsten unter ihnen Gebäck. Sieben Besetzerinnen übernachteten 112 Tage lang auf Liegen im Haus. Journalistinnen aus 180 Ländern haben damals darüber berichtet, wie Seniorinnen und Senioren für ihre Begegnungsstätte kämpften, sagt Vorstandsmitglied Eveline Lämmer.
Der Bezirk wurde vom Gegner zum Unterstützer
„Wir atmen durch“, sagt Cordelia Koch, die sich für das Bestehen der Einrichtung einsetzt. In diesen drei Jahren will sie gemeinsam mit dem Verein die langfristige Planung angehen. Dabei widmen die Beteiligten sich vor allem der Frage, wie die Begegnungsstätte generationsübergreifend arbeiten kann. Ein Vorschlag ist die Einrichtung eines Demokratielabors, in dem Schüler lernen, wie politische Teilhabe funktioniert. Koch betont aber auch, dass gerade der Bedarf an sozialen Einrichtungen für ältere Menschen steigt: „Die Gesellschaft wird älter“, sagt sie. „Insbesondere in Pankow.“
Feiern im Schloss
Das alte Haus steht inmitten von protzigen Neubauten, geschützt von Zäunen und Kameraüberwachung. „Die Nachbarn haben uns immer unterstützt“, sagt Eveline Lämmer, die schon seit über zehn Jahren im Verein aktiv ist. „Wir haben Gartenfeste organisiert und sind solidarisch aufgenommen worden.“ Neuerdings bestehe auch eine Kooperation mit der Stiftung „Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg“, so könne der Verein das Schloss Schönhausen gelegentlich für Veranstaltungen nutzen.
Der Förderverein finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Veranstaltungen. Die Volkssolidarität schießt Mittel für laufende Kosten wie Heizung, Strom und Wasser hinzu. Die Mitglieder arbeiten bislang alle ehrenamtlich, ab März sollen dann Hauptamtliche der Volkssolidarität für die Verwaltung hinzukommen. Der Verein habe demokratische Strukturen, sagt Eveline Lämmer. Sie sei zwar im Vorstand, es gebe aber keine Vereinsvorsitzenden.

Dass die Räumung vor zehn Jahren nicht stattfand, hatte wohl auch mit dem Zeitpunkt zu tun. Innerhalb von 24 Stunden hätte der Bezirk die Räumung anordnen müssen. Die Sommerferien begannen, das Parlament tagte nicht und der Bürgermeister war im Urlaub. Sein Stellvertreter tat das nicht.
Seitdem hätten sich die Umstände geändert, wie Cordelia Koch betont. „Es geht nicht nur um die blöde Politik, die es nicht verstanden hat oder bösartig ist“, sagt sie. „Heute ist der Haushalt ein anderer und wir brauchen soziale Einrichtungen ohne Ende.“