Rassistischer Vorfall bei Aldi: Filialleiter wegen Körperverletzung vor Gericht

Der Berliner Prince Ofori filmte, wie er rassistisch angegangen wurde. Das Video ging viral. Am Dienstag sahen sich die Beteiligten vor Gericht wieder.

Prince Ofori wurde vor fast zwei Jahren mit einem Pappkarton beworfen.
Prince Ofori wurde vor fast zwei Jahren mit einem Pappkarton beworfen.Sabine Gudath

Manchmal prallen in Berlin-Neukölln Welten aufeinander: Der eine besteht darauf, Schokoküsse so zu bezeichnen, wie er es immer getan hat. Der andere sieht das als Provokation und will vermeiden, dass die Jungen von den Alten lernen. Was dann in einer Aldi-Filiale passierte, nennen manche eine klassische Täter-Opfer-Umkehr: Eine Menschentraube bildete sich um den großen Schwarzen Mann, der Filialleiter wirft einen Karton auf ihn und rechtfertigt die rassistische Fremdbezeichnung. Prince Ofori hat das gefilmt und auf Instagram veröffentlicht. Das Video ging viral und hatte über acht Millionen Klicks.

Der alte Mann und Prince Ofori haben sich außergerichtlich geeinigt: Mit einer Entschuldigung war es getan. An diesem Dienstagmittag geht es deshalb nicht um die Schokoküsse, sondern um den Wurf des Pappkartons. Das Video hat Ofori inzwischen aus dem Netz genommen. Das Kammergericht hatte die einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Verbreitung des Videos von Stephan P. erlassen. Ob die Verbreitung des Videos aber auch dauerhaft untersagt bleibt, wird das Landgericht Berlin im März entscheiden. Sein Gesicht war halb von einer Maske bedeckt, die Augen zensiert. Stephan P. bezog sich auf den Bruchteil einer Sekunde, in der seine Augen zu sehen waren.

„Ein Angriff auf die Würde“

Stephan P. sitzt wegen Körperverletzung auf der Anklagebank. „Das klingt niedlich, weil es um einen Pappkarton geht“, sagt Oforis Anwalt. „Aber es ist ein Angriff auf die Würde. Ein Skandal.“

Der Angeklagte gesteht, den Pappkarton geworfen zu haben. Er begründet das damit, dass er Ofori „auf Abstand halten“ wollte. Stephan P. erwähnt mehrmals dessen kräftige Statur, er sei ihm so nah gekommen, dass er den „Sabber schon sehen“ konnte. Stephan P. gibt auch zu, dass er gefragt habe, wo geschrieben steht, dass man die entsprechende Fremdbezeichnung nicht mehr benutzen darf.

Der Angeklagte beschreibt, dass es in Neukölln öfter mal „heiß hergehe“, er aber in den zehn Jahren als Filialleiter bis dahin „jede Situation beruhigen“ konnte: „Ich weiß, dass man seinen Tonfall erhöhen muss, wenn man mit Türken und Arabern in Neukölln spricht, damit man Respekt bekommt“, sagt er. Auf Nachfrage von Oforis Anwalt sagt Stephan P., dass Aldi ihm in diesen zehn Jahren keine Fortbildungen im Bereich Deeskalation angeboten habe. Bei Fortbildungen ging es immer nur um den Umgang mit Mitarbeitern, sagt der Angeklagte.

Prince Ofori blickt ungeduldig vom Handy in Richtung Gerichtssaal. Er wartet nun schon stundenlang darauf, dass ihn die Richterin für die Aussage aufruft. Der Vorfall vor zwei Jahren sei für ihn wie ein „Weckruf“ gewesen, weil er „vor seiner Haustür“ passierte, in dem Bezirk, in dem er groß geworden sei. Seine Arbeit, wie er die Welt sehe, sein ganzes Leben richte er seitdem danach aus, gegen Rassismus zu kämpfen.

Wer hat den Karton noch mal geworfen?

Ofori glaubt, dass die zivil- und strafrechtlichen Verfahren nicht viel bringen. Ofori und sein Anwalt Armin Grimm wären für eine außergerichtliche Einigung zur Beilegung aller Streitigkeiten offen – einschließlich des heute verhandelten Strafverfahrens. Sie hatten dazu Gespräche angeboten. Gegenüber Grimm und der Staatsanwältin sagte der Verteidiger noch vor der Verhandlung auf dem Gang, sein Mandant sei „angesäuert“, ein Täter-Opfer-Austausch komme deshalb nicht in Betracht, berichtet Grimm.

„Ich will diese Bitterkeit nicht weiter in mir tragen“, sagt Prince Ofori. Viele Schüler und Studenten fragten ihn, ob sie das Video bei Vorträgen in der Schule als Beispiel verwenden dürften. Dafür wolle er sich einsetzen. „Wenn du von so was erzählst, dann glauben sie dir nicht. Und dann darfst du nicht mal filmen?“, fragt er. Am Dienstag ruft die Richterin Prince Ofori nicht auf. Der Beginn des Prozesses verzögert sich – und dann stellt Oforis Anwalt so viele Fragen, dass die Richterin sich die Schläfen reibt und fragt, worum es ihm eigentlich gehe.

Im Gerichtssaal faucht ein Sauerstoffgerät, es klingt wie die verzögerten Atemstöße von Darth Vader. Der 73-jährige Aldi-Kunde sagt von sich, er sei schwerbehindert. Überraschenderweise behauptet er, Prince Ofori habe einen vollen Schokokuss-Karton auf den Filialleiter geworfen. Dass dieser seinerseits etwas warf, will er nicht gesehen haben. Oforis Anwalt fragt genau nach, zeigt Ausschnitte aus dem Video und sagt dann frei heraus, dass er ihm nicht glaubt. Grimm droht an, dass er eine Aussage unter Eid einfordern könnte. Die Richterin beschwichtigt ihn. Sie und die Staatsanwältin sind ganz offensichtlich besorgt um die Gesundheit des Zeugen.

Alle Beteiligten wirken erschöpft nach einigen Stunden in diesem Rechtsstreit. Der alte Mann, der mit der Bezeichnung der Süßigkeiten den Anlass gab, hat sich längst entschuldigt – entgegen seiner Überzeugung, wie seine Aussage im Verfahren zeigt: „Das wird immer schlimmer“, sagt er. „Bei einem ganz normalen Ausdruck werden wir als Rassisten bezeichnet.“ Der Angeklagte beschwert sich über die Presseberichte zum Video, das ihn schließlich seine Stelle als Filialleiter gekostet hat. Nun sei er stellvertretender Marktleiter bei Netto und fange „lieber noch mal von unten“ an. Ja, er habe eine Rechtsschutzversicherung, antwortet er Oforis Anwalt. Nein, sein zivilrechtlicher Anwalt habe ihn nicht wegen eines Vergleichs angesprochen, den die Gegenseite erwirken wollte.

Die Richterin beschließt, dass die weiteren drei Zeugen bei zwei Folgeterminen aussagen sollen. Sie legt beiden Seiten nahe, noch einmal über einen Vergleich nachzudenken. Der Anwalt des Angeklagten signalisiert sofort, dass wenig Interesse besteht.