Warten auf ein Lebenszeichen
Eine Lehrerin aus Hönow hat ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Sie erzählt aus dem gemeinsamen Alltag und von Problemen mit der Bürokratie.

Abends sitzen die beiden Frauen oft zusammen vor dem iPad und warten voller Hoffnung auf ein Lebenszeichen von Anastasias Ehemann Nazar. Er verteidigt im Krieg in der Ukraine sein Vaterland. Anastasia Petrenko* und die 15-jährige Tochter konnten aus der zerbombten Stadt Charkiw nach Berlin fliehen und sind jetzt vorerst bei Familie Bäumer* in Hönow in Sicherheit. So wie diese Familie, haben viele private Haushalte in Berlin und Brandenburg ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. In der Berliner Zeitung schildert Anne Bäumer*, wie die Gäste ihren Alltag bereichern, aber benennt auch Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert werden.
„Plötzlich ist man in ein völlig fremdes Schicksal involviert“, sagt Anne Bäumer. Das Leid von der ukrainischen Familie geht ihr sehr nahe. Nicht zu wissen, ob sich die drei jemals wiedersehen werden, macht sie nicht nur traurig, sondern zeigt ihr auch, wie gut es ihr selbst und ihrem 12-jährigen Sohn und ihrem Ehemann geht.
Als in der Ukraine der Krieg ausbrach, war für Anne Bäumer und ihren Mann Dirk sofort klar, dass sie helfen wollten und Geflüchtete in ihrem 140 Quadratmeter großen Einfamilienhaus in Hönow aufnehmen wollen. „Meine Großmutter hatte mir viel aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt und immer wieder betont, wie viel Unterstützung sie damals von ihren Mitmenschen erfahren hat. Deshalb ist es für mich selbstverständlich heute ebenfalls für Kriegsflüchtlinge da zu sein“, sagt sie.
Mutter und Tochter nach Thüringen gebracht
Doch in ihrer Hilfsbereitschaft bemerkte sie auch, was noch verbesserungsfähig ist. „Die Verteilung der Flüchtlinge in die Unterkünfte war sehr unübersichtlich und hat Anastasia und ihre Tochter zusätzlich belastet“, sagt Anne Bäumer. Bis sie bei der Familie in Hönow ankamen, erlebten sie eine Odyssee. Als die beiden völlig erschöpft nach ihrer fast 20-stündigen Reise in Berlin am Hauptbahnhof standen, wussten sie zunächst nicht, wohin sie gehen sollten und baten um Hilfe. „Als wir von ihrer Not bei Facebook lasen, wollten wir ihnen gern vorübergehend einen Schlafplatz anbieten“, sagt Rajko Schley. Da sie am Wochenende regelmäßig die pflegebedürftige Mutter aus dem Heim bei sich aufnahmen, konnten sie ihnen nicht längerfristig helfen.
Nach zwei Tagen brachten sie Anastasia und ihr Kind nach Reinickendorf in die Aufnahmestelle zurück. Aber sie bekamen dort keine neue Unterkunft zugewiesen, sondern wurden von dort in die Kleinstadt Suhl nach Thüringen gebracht. 350 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. „Sie haben die beiden einfach in einen Bus gesetzt und sie wussten gar nicht, wohin sie fahren“, sagt Anne Bäumer. Das habe ihr sehr leid getan und sie habe sich eine bessere Kommunikation zwischen Geflüchteten und Helfenden gewünscht. Mutter und Tochter seien dann auf eigene Initiative zurück nach Berlin gefahren und hätten nur mit Unterstützung der anderen Gastfamilie den Kontakt zu ihrer Familie bekommen.
Doch das ist nicht die einzige Herausforderung, vor der die ukrainischen Flüchtlinge stehen. Anne Bäumer ist Lehrerin und weiß, wie wichtig neben der Bildung auch ein geregelter Tagesablauf für Kinder ist, besonders für jene, die so Traumatisches erlebt haben. Deshalb wollte sie ihre ukrainische Gasttochter in einer Privatschule unterbringen. „Da das Mädchen aber noch nicht offiziell in Deutschland registriert ist, war die Anmeldung nicht möglich“, erklärt die 42-jährige.
Auf der Internetseite des Landkreises Märkisch-Oderland hätten sie bereits vor zehn Tagen über ein Online-Formular die Daten für die Registrierung ihrer Gäste eingegeben, aber bislang keinerlei Feedback bekommen. Als Anastasia Petrenko auf ihren Rat hin, noch einmal bei der Aufnahmestelle in Reinickendorf nachfragen wollte, habe sie mehrere Stunden in der Warteschlange gestanden und sei ohne Antwort zurückgekommen. „Das war sehr unbefriedigend für sie, weil sie eine solche Bürokratie gar nicht kennen“, weiß Bäumer.
Sie versteht, dass die Flüchtlingswelle auch die Behörden überrollt hat, aber würde sich wünschen, dass man wenigstens eine Antwort nach Übermittlung der Daten bekommt. „Das würde helfen, weil die Flüchtlinge dann wenigstens schon ein Schreiben in der Hand hätte, mit dem sie belegen könnte, dass sie bereits mit den Behörden in Kontakt getreten sind“, so Bäumer.
Sie ist nicht nur Gastgeberin, sondern auch eine Art Integrationslotsin und Seelsorgerin. Die Geflüchteten haben alles in ihrer Heimat zurückgelassen und sind äußerst dankbar, wenn man ihnen zur Seite steht. „Anastasias Mann hat mir in einem Videochat erklärt, dass er so erleichtert ist, seine Frau und Tochter bei uns in Sicherheit zu wissen und glücklich darüber, dass es noch Freunde auf der Welt gibt“, sagt sie. Seine Worte hätten sie berührt.
Flüchtlinge in den Jobmarkt integrieren
Anne Bäumer sieht auch eine weiteres Problem in der fehlenden oder unzureichenden Covid-Impfung der geflüchteten Ukrainer. „Ich würde es begrüßen, wenn sie gleich in den ersten Stunden ihrer Ankunft die Chance erhalten, sich bei uns impfen zu lassen.“ Und sie könnte sich auch vorstellen, die ausländischen Gäste vorübergehend oder auch langfristig im Jobmarkt zu integrieren, da sie zum Teil sehr klug seien. Anastasia Petrenko ist Bankerin von Beruf. „Sie könnte vielleicht bei einer Berliner Bank den ukrainischen Gästen behilflich sein, die bei uns ein Konto eröffnen wollen“, sagt Bäumer.
Viele Ukrainer, auch Anastasia Petrenko und ihr Kind, wollen wieder in ihre Heimat zurück, wenn der Krieg vorbei ist, weiß Bäumer und betont: „Doch sie wollen sich in unsere Gemeinschaft integrieren und nicht auf unsere Kosten leben.“ Bis sie Deutsch sprechen können, verständigen sie sich mit den Bäumers über ein Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone.
Anne Bäumer sieht in ihrer Hilfe auch eine große Bereicherung für ihre eigene Familie. „Gerade für unseren Sohn ist das eine tolle Erfahrung, denn er bekommt wichtige Werte wie Mitgefühl und Empathie vermittelt und sieht, dass es Menschen gibt, denen es viel schlechter geht“, betont sie. Und sie erleben Gemeinschaft. Sie kaufen zusammen ein, kochen und essen gemeinsam.
Ob sie nun ein oder zwei Brote kaufe oder ein paar Joghurts mehr, spiele keine große Rolle, findet Anne Bäumer. Momentan wird auf Bundesebene noch über eine mögliche Entschädigung der Gastgeber für die Mehrkosten diskutiert. Doch bei welchen behördlichen oder sozialen Stellen können sich eigentlich private Helfer, wie Familie Bäumer, Rat holen, wenn es mal Probleme mit den Gästen gibt? Die Senatsverwaltung für Soziales in Berlin beantwortete die Anfrage der Berliner Zeitung dazu trotz mehrfacher Aufforderung nicht. Auch der Landkreis Märkisch-Oderland äußerte sich nicht auf diese Frage.
Bislang gibt es nur allgemeine Leitfaden im Internet wie bei www.berlin.de/ukraine/helfen/ und mik.brandenburg.de/mik/de/themen/auslaenderangelegenheiten/ukraine-informationen-fuer-gefluechtete/ Viel mehr Unterstützung für Helfende scheint es nicht zu geben. „Wir sind auch untereinander in Facebook-Gruppen vernetzt, um uns auszutauschen und gegenseitig Tipps zu geben“, erklärt Bäumer.
Momentan kann niemand sagen, wie lange ihre Hilfe benötigt wird. „Sie ist an keine Frist gebunden. Die Gäste erst aufzunehmen und ihnen dann nach einem Monat zu sagen, dass sie nun zusehen können, wo sie bleiben, wäre das falsche Signal“, findet Anne Bäumer. Sie wird auch heute Abend wieder unruhig mit ihrer neuen Freundin Anastasia im Wohnzimmer sitzen und auf ein Lebenzeichen aus Charkiw warten. Das traurige Schicksal verbindet sie.
(*Namen geändert)