Lebenslang für „Ehrenmord“: Als Vollstrecker über Leben und Tod entschieden
Im Prozess um den gewaltsamen Tod einer afghanischen Frau sind die Brüder von einer Schwurgerichtskammer in Berlin wegen Mordes schuldig gesprochen worden.

Es sind klare Worte, die Thomas Groß am Donnerstagnachmittag findet. Yousuf und Mahdi H. haben ihre Schwester Maryam aus niedrigen Beweggründen getötet. „Sie haben als Vollstrecker über Leben und Tod entschieden“, so der Vorsitzende Richter einer Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts. Die Tötung der eigenen Schwester, die den muslimischen Glauben hochgehalten habe, sei zutiefst verabscheuungswürdig.
Groß verurteilt die beiden 27 und 23 Jahre alten Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Der Richter schildert in der Urteilsbegründung noch einmal das Leben und das Sterben der 34-jährigen Afghanin Maryam H. Sie habe sich hier in Deutschland von ihrem gewalttätigen Mann scheiden lassen, den ihre Familie in Afghanistan für sie ausgesucht habe. „Maryam H. wollte ein selbstbestimmtes Leben als Frau und Mutter führen“, sagt Groß. Dies sei ihr von den Brüdern und auch der Familie verwehrt worden.
Die Richter der Schwurgerichtskammer kommen zu der Überzeugung, dass Maryam H. sterben musste, weil sie nicht den archaischen Ehr- und Moralvorstellungen und dem Frauenbild ihrer afghanischen Familie entsprochen hatte. „Maryam suchte nach einem freibestimmten Leben“, sagt Groß. Durch die Liebesbeziehung zu einem anderen Mann sei „der Schandfleck so groß geworden“, dass die Brüder ihre Schwester nun meinten töten zu müssen. Zwar habe Maryam H. auch Angst vor ihren Brüdern gehabt. „Doch die Liebe war stärker, die Liebe führte sie in den Tod.“
Nach den Worten des Richters hatten Mahdi und Yousuf H. die Ermordung ihrer Schwester lange geplant. Noch in der Nacht vor ihrem Tod suchten sie auf ihren Handys nach einem Koffer, der für 70 Kilogramm geeignet war. Am Tattag, so schildert es Groß, sei Maryam H. dabei gewesen, als ihr Bruder Yousuf den Koffer bei Primark am Alexanderplatz gekauft habe. „Der Koffer, in dem ihre Leiche abtransportiert werden sollte“, sagt Groß und spricht von einer perfiden Situation.
Unter einem Vorwand in Wohnung gelockt
Dann sei die Mutter zweier zehn und 14 Jahre alter Kinder unter einem Vorwand in die Wohnung des jüngeren Bruders gelockt worden. Angeblich sollte es ein Treffen mit einer Maklerin geben – Maryam H. hatte sich schon immer gewünscht, mit ihren Kindern aus dem Flüchtlingsheim ausziehen zu können. Die Brüder hatten ihr eine Drei-Zimmer-Wohnung in Aussicht gestellt.
In der Wohnung von Mahdi H. wurde Maryam H. ermordet, davon sind die Richter überzeugt. Yousuf H. habe seiner Schwester den Mund zugehalten, sein jüngerer Bruder ihr dann die Hände auf den Rücken mit Panzertape gefesselt, um sie wehrlos zu machen. Nur so sei erklärbar, dass die Fingerkuppe eines Einweghandschuhs mit der DNA von Mahdi H. unter dem Klebeband gefunden werden konnte, sagt Groß, der von einer exzellenten Polizeiarbeit spricht.
Anschließend umwickelten die Brüder ihrer Schwester auch noch Mund und Nase mehrfach mit dem Klebeband. Vielleicht starb Maryam H. daran, vielleicht wurde sie auch mit dem schwarzen Tuch erdrosselt, das festgeschnürt an ihrem Hals gefunden wurde. Laut Groß stehe fest, dass Maryam H. anschließend mit einem skalpellartigen Messer die Kehle durchtrennt worden sei – bis zur Halswirbelsäule. Eine Islamwissenschaftlerin hatte im Prozess erläutert, dass damit das Blut von Sündern halal, also rein gemacht werde.
Nach der Tat stopften die Brüder ihre Schwester in den Koffer und brachten die Leiche mit dem ICE ins bayerische Donauwörth, den Wohnort von Yousuf H. Der ältere Bruder verscharrte die Tote in der Nähe einer Müllhalde. All das passe in das Bild vom Auslöschen eines vermeintlichen Schandflecks, sagt der Richter. Dies ein muslimisches Begräbnis zu nennen, wie es die Verteidiger von Yousuf H. getan hatten, sei eine unsägliche These, so Groß. Mit dem Verscharren hätten Yousuf und Mahdi H. ihre Schwester auf „übelste Weise entwürdigen wollen“.
Geliebte von Yousuf führte zu der Leiche
Drei Wochen später führte die Geliebte des älteren Bruders – eine verheiratete Frau, mit der Yousuf H. ein Kind hatte – die Mordermittler aus Berlin zu der Leiche von Maryam H.
Yousuf H. hatte nach vielen Verhandlungstagen erst Anfang September des vorigen Jahres sein Schweigen gebrochen und über seine Anwälte eine Erklärung verlesen lassen. Darin hatte er eingeräumt, am Tod seiner Schwester schuld zu sein. Danach will er sie im Streit getötet haben. Sein Bruder Mahdi sei bei der Tat nicht anwesend gewesen. Er sei rauchen gewesen, habe lediglich beim Transport der Leiche nach Bayern geholfen. „Die Geschichte ist von hinten bis vorne erlogen“, stellt Groß klar. Mit der Aussage habe sich Yousuf H. vor einer lebenslangen Freiheitsstrafe schützen und seinen Bruder von allen Vorwürfen befreien wollen.
Groß erklärt, dass die Kammer nicht mit letzter Sicherheit sagen könne, dass die Familie in Afghanistan den Mordauftrag gegeben habe. Entweder habe es einen solchen Auftrag zur Tötung von Maryam H. gegeben oder die Brüder hätten in „vorauseilendem Gehorsam“ ihre „abtrünnige Schwester“ umgebracht. „Es soll Gespräche gegeben haben, dass Maryam getötet werden muss“, so der Richter.
Mit dem Urteil folgt die Kammer der Forderung von Staatsanwältin Antonia Ernst. Sie hatte in ihrem Plädoyer am 19. Januar für beide Angeklagten wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert. Dem schloss sich für die Kinder des Opfers der Vertreter der Nebenklage an.
Die Verteidiger von Yousuf H. verlangten in ihren Plädoyers hingegen, ihren Mandanten lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von höchstens fünf Jahren zu verurteilen. Die Anwälte des jüngeren Bruders forderten für Mahdi H. einen Freispruch.
Die Urteile gegen die Brüder sind noch nicht rechtskräftig.