Warnstreik im Nahverkehr: Wann stehen Berlins Busse und Bahnen still?
Für diesen Freitag hat die Gewerkschaft Verdi in sechs Bundesländern zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Fahrgäste fragen, ob bald auch die BVG lahmliegt.

Im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst hat die Gewerkschaft Verdi weitere Warnstreiks angekündigt. Betroffen sind an diesem Freitag kommunale Nahverkehrsunternehmen in nicht weniger als sechs Bundesländern. In Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen müssen Fahrgäste damit rechnen, dass Busse und Bahnen nicht fahren. Weitere Arbeitsniederlegungen gelten als wahrscheinlich. Immer mehr Berlinerinnen und Berliner fragen sich: Werden auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und andere Unternehmen in der Region bestreikt?
„Die Arbeitgeber haben in der zweiten Verhandlungsrunde für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen ein völlig indiskutables Angebot vorgelegt“, sagte Christine Behle, die stellvertretende Bundesvorsitzende von Verdi. „Neben äußerst geringen prozentualen Steigerungen von insgesamt fünf Prozent über 27 Monate fordern sie auch noch Sonderopfer einzelner Beschäftigtengruppen zum Beispiel in Krankenhäusern und bei Sparkassen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten. Ein solches Angebot ist eine Provokation ohnegleichen.“
Deshalb werde es am 3. März in zahlreichen kommunalen Nahverkehrsbetrieben in Deutschland Warnstreiks geben. Dabei hatte die Gewerkschaft schon in den vergangenen Tagen immer wieder zu Arbeitsniederlegungen in diesem Bereich aufgerufen. Zuletzt war Nordrhein-Westfalen betroffen.
BVG-Beschäftigte fragen, ob sie auch die Arbeit niederlegen dürfen
Wie sieht es mit Berlin und Brandenburg aus? Hier gibt Verdi Entwarnung. Im Gegensatz zu vielen anderen Nahverkehrskunden in Deutschland müssen die Fahrgäste in der Hauptstadt-Region derzeit nicht mit Warnstreiks rechnen. „Noch bis Ende des Jahres 2023 gilt in Berlin Friedenspflicht“, erklärte Jeremy Arndt, der zuständige Verdi-Sekretär. Gleiches gelte im Land Brandenburg.
Im Gegensatz zu anderswo seien die hier gültigen Tarifverträge für den Nahverkehr (TVN) nicht mit der Entgelttabelle des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TvöD), um den es bei dem bundesweiten Konflikt geht, verbunden. In Berlin sei der TVN ein „reiner Haustarifvertrag“ für die landeseigene BVG und deren Tochterunternehmen Berlin Transport (BT), sagte Arndt. Auch in Brandenburg hänge der betreffende Tarifvertrag nicht mit der bundesweiten Lohn- und Gehaltstabelle zusammen.
„BVG-Mitarbeiter fragen mich, ob sie nicht auch wie ihre Kollegen in anderen Bundesländern die Arbeit niederlegen dürfen“, berichtet der Verdi-Sekretär. Doch bis Ende 2023 sind bei der BVG keine Warnstreiks möglich. Bis Ende des Jahres gelte eine Friedenspflicht, während der Ausstände illegal wären.
1500 Euro für fast jeden BVG-Beschäftigten als Inflationsausgleich
„Anfang 2024 wird es wieder eine Tarifrunde geben“, erklärt Arndt. Dann soll nach der Kündigung des Manteltarifvertrags mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin über eine neue Regelung dieser Art verhandelt werden. In Manteltarifverträgen geht es nicht um die Höhe der Bezahlung, sondern um Rahmenthemen wie Arbeitszeit, Urlaubsansprüche oder Arbeitsbedingungen. Löhne und Gehälter bei der BVG werden erst Ende 2024 wieder ein Thema sein, hieß es bei der Gewerkschaft. Je nachdem, wie die Verhandlungen laufen, sind Warnstreiks nicht ausgeschlossen.
Die jüngste Tarifeinigung für die rund 15.700 Beschäftigten der BVG und der BT wurden im November 2021 erzielt. Sie sieht vor, dass die wöchentliche Arbeitszeit bis 2024 stufenweise von 39 Stunden auf 37,5 Stunden gesenkt wird. Die Entgelte werden in drei Stufen um bis zu 4,6 Prozent erhöht. Zudem wurden für den Rest des Jahres 2021 einmalig 450 Euro gezahlt. Ende des vergangenen Jahres wurde ausgehandelt, dass der Großteil der BVGler eine „einmalige Inflationsausgleichs-Sonderzahlung“ von 1500 Euro erhält.
Im deutschen Nahverkehr fehlen bis 2030 rund 110.000 Arbeitnehmer
In den bundesweiten Tarifkonflikt wurde der Nahverkehr auch deshalb einbezogen, weil er für Arbeitssuchende dringend attraktiver werden muss, hieß es bei der Gewerkschaft. Es gebe zu wenig Personal, so Christine Behle von Verdi. Aufgrund eines Sparkurses seien in den vergangenen 20 Jahren ein Fünftel der Stellen abgebaut worden, während gleichzeitig die Verkehrsleistung stetig gestiegen sei. Bis 2030 würden 110.000 Beschäftigte fehlen. Schon jetzt fielen viele Verbindungen aufgrund des bestehenden Personalmangels aus. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf, so die Gewerkschaft.
Ende des vergangenen Jahres wurde bei der BVG bekannt, dass es bei dem Unternehmen rund 1100 offene Stellen gebe. So fehlten circa 200 Busfahrerinnen und Busfahrer. Bei „kritischen Berufsgruppen“ wie Ingenieuren und Fachkräften für Informationstechnik seien rund 190 Stellen unbesetzt. Allein bis 2023 würden rund 4300 Beschäftigte die BVG aus Altersgründen verlassen, so interne Zahlen.
Der Aufwand, Stellen auszuschreiben und neue Beschäftigte zu finden, sei stark gestiegen, hieß es weiter. Hat die BVG 2019 noch rund 685.000 Euro für Stellenanzeigen, Personalberater, Messestände und anderes ausgegeben, betrug der Aufwand für Recruiting und Personalmarketing im vergangenen Jahr schon über eine Million Euro.
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