Berlin-Wahl 1946: Ein Triumph für die SPD

Berlin - Auf Beschluss und unter Kontrolle der vier Besatzungsmächte wählten die Berliner Bürger vor genau 70 Jahren, am 20. Oktober 1946, zum ersten Mal seit 1933 in freier und geheimer Wahl ihre Volksvertreter.

An jenem Tag ging es um die Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin und 20 Bezirksverordnetenversammlungen. Es war die erste und letzte Gesamtberliner Wahl zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Wiedervereinigung. Am selben Tage war die von der Alliierten Kommandantur genehmigte vorläufige Verfassung in Kraft getreten – Grundlage für die freie Wahl. Doch die Zeichen standen bereits auf Spaltung, der Kampf der Systeme war in vollem Gange.

Vier Parteien waren angetreten: die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die sich im April 1946 in der sowjetischen Besatzungszone und den vier Sektoren Berlins durch Vereinigung von KPD und Teilen der SPD gegründet hatte; die SPD, also deren nicht vereinigungswillige Teile in den drei westlichen Sektoren; die CDU und die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, LDP.

92,3 Prozent Beteiligung

Alle vier hatten trotz der vielen materiellen Schwierigkeiten – es mangelte selbst an einfachen Dingen wie Papier, Klebstoff, Holzlatten, Stiften – einen intensiven Wahlkampf geführt. Auf den zahlreichen Versammlungen zeigte sich ein riesiges Interesse der Bevölkerung. Die Menschen waren sich der enormen Bedeutung der Wahl wohl bewusst. Dementsprechend erreichte die Wahlbeteiligung dann 92,3 Prozent der 2,3 Millionen der Stimmberechtigten.

Die Alliierte Kommandantur hatte bestimmt, dass alle Parteien von der Administration gleichermaßen zu unterstützen seien, allerdings konnte die SED mit massiver ideeller wie materieller Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht rechnen. So gönnte diese der Bevölkerung des Ostsektors kurz vor der Wahl Lebensmittelsonderzuteilungen.

Über die Sektorengrenzen hinweg wurde das Radio genutzt. Über den DIAS (Drahtfunk im amerikanischen Sektor) hatten die vier zugelassenen Parteien Gelegenheit, in regelmäßiger Folge zur Bevölkerung zu sprechen.

Mehr Nahrungs fürs Volk

Die SED hob im Wahlkampf ihre Verdienste im bis dahin amtierenden Magistrat hervor, strich die Erfolge beim Wiederaufbau der Stadt und dem Aufbau der „neuen demokratischen Ordnung“ in antifaschistischem Geiste im Ostteil der Stadt heraus. Dort hatten im September Kommunalwahlen stattgefunden, die die SED gewonnen hatte – allerdings war die SPD auf der Parteienliste nicht mehr zugelassen gewesen.

Die anderen drei Parteien wehrten sich im Wahlkampf gegen die Bestrebungen der SED, im Magistrat die Macht zu monopolisieren und betonten die Bedeutung der demokratischen Selbstverwaltung. Natürlich versprachen sie den Berlinern auch baldige Linderung ihrer unmittelbaren Not. Das von der SPD vorgelegte Programm sah beispielsweise vor, dass jeder Berliner pro Tag Lebensmittel mit 2500 Kalorien bekommen solle, acht Kilogramm Textilien und ein paar Schuhe pro Jahr sowie 18 Zentner Heizmaterial (Hausbrand). Massenhaft und schnell würden Wohnungen gebaut werden, versprach die SPD.

Die Besatzungszonen sollten vereinigt werden

Mit höchster Aufmerksamkeit verfolgten alle Berliner die anschwellende rhetorische Auseinandersetzung zwischen den Siegermächten über die Machtverteilung im Nachkriegseuropa. Am 6. September 1946 hatte US-Außenminister James F. Byrnes in Stuttgart eine Rede gehalten, die als „Hoffnungsrede“ ins Gedächtnis einging und auch in Berlin auf große Zustimmung traf. Byrnes hatte eine gesamtdeutsche Perspektive aufgezeigt: Die vier Besatzungszonen sollten unter einer Regierung vereinigt werden; nach Abschluss eines Friedensvertrages sollte sich Deutschland selbst regieren. Die Kritik an Stalins Deutschlandpolitik blieb milde (was sich mit der Truman-Doktrin bald änderte).

Die Reaktionen auf ein Interview, das der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow am 16. September 1946 gegeben hatte, fielen hingegen scharf ablehnend aus: Er hatte die von der Potsdamer Konferenz nur als Besatzungsgrenze gedachte Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ost-Grenze bezeichnet, die nur noch durch einen Friedensvertrag zu bestätigen sei. Sogar die SED widersprach: Spitzenfunktionär Max Fechner schrieb im Neuen Deutschland: „Die SED wird sich jeder Verkleinerung deutschen Gebiets entgegenstellen.“ Die Ostgrenze sei nur provisorisch. In dieser Stimmung gingen die Berliner zur Wahl. Es ging um ihr Schicksal.

Getrennte Wege von Ost und West

Die SED hatte mit einem Wahlsieg gerechnet, das Ergebnis war dann ein Schock: 48,7 Prozent für die Sozialdemokraten. Fast die absolute Mehrheit. Die SED abgeschlagen mit 19,8 Prozent auf Platz 3. Auch in den Bezirken gewann sie nicht – in keinem einzigen. Das beste Resultat erreichte sie mit 14 Prozent in Prenzlauer Berg (SPD 21), das schlechteste in Tempelhof mit drei Prozent (SPD 21).

Die Sozialisten erhielten die Botschaft, dass sie in Konkurrenz zur SPD und bei freien Wahlen keine Chance hatten, die angestrebte Hegemonie zu erlangen. Der Leitartikel vom 22. Oktober in der Berliner Zeitung klingt geradezu resignierend. Unterzeichnet von „Dr. K.“ heißt es da klarsichtig unter der Überschrift „Verantwortung“: „Der Wahlerfolg der SPD nötigt zu der Annahme, dass nicht alle Wähler der SPD ein Bekenntnis zum Sozialismus ablegen wollten, sondern dass die heftigen Angriffe gegen die SED ihr auch Gegner des Sozialismus zugeführt haben.“ Dr. K. fürchtet, die SPD werde sich „wie in Westdeutschland dem bürgerlich-kapitalistischen Flügel“ anschließen. Die Wahlsieger mahnt er zu Verantwortungsbewusstsein für die Stadt. Der Ton ist moderat.

Die neue Stadtverordnetenversammlung bildete einen Magistrat von Groß-Berlin, getragen von einer rot-schwarz-gelben Koalition aus SPD, CDU und LDP, wählte am 5. Dezember 1946 den Sozialdemokraten Otto Ostrowski zum Oberbürgermeister, im Juni 1947 dann Ernst Reuter (ebenfalls SPD). Das alles führte zum maximalen Konflikt mit der sowjetischen Besatzungsmacht. Die Arbeit von SPD, CDU und LDP im Ostsektor wurde fortan behindert. 1948 eskalierte die Lage: Die sowjetische Seite beendete die gemeinsame Arbeit der Alliierten Kommandantur, in West-Berlin wurde die Währungsreform durchgeführt, die Berlin-Blockade begann. Die Arbeit der gemeinsamen Stadtverordnetenversammlung war die Grundlage entzogen. Ost und West gingen getrennte Wege – in den Kalten Krieg.