Was schützt vor Needle Spiking? „Aufeinander achten, niemanden allein lassen“

Eine Sängerin berichtete jüngst von einer Spritzenattacke im Berghain. Andrea Piest vom Berliner Präventionsprojekt Sonar spricht über Sicherheit in Clubs.

Tanzen, Spaß haben - und aufeinander achten
Tanzen, Spaß haben - und aufeinander achtendpa

Vor zwei Wochen soll die australische Musikerin Zoe Zanias, 32, im Berghain Opfer einer Needle-Spiking-Attacke geworden sein. Sie habe dort das Bewusstsein verloren, sagt sie, und das starke Gefühl gehabt, gegen ihren Willen Drogen verabreicht bekommen zu haben. Andrea Piest, die in Berlin das 2018 gestartete Nightlife- und Präventionsprojekt Sonar betreut, gibt Tipps für beunruhigte Clubbesucher.

Frau Piest, Berichte über das sogenannte Needle Spiking gab es bisher in Großbritannien und Frankreich. Nun soll es im Berghain eine Attacke nach gleichem Muster gegeben haben. Wie ordnen Sie das ein?

Andrea Piest vom Nightlife- und Präventionsprojekt Sonar
Andrea Piest vom Nightlife- und Präventionsprojekt SonarVolkmar Otto

Wir nehmen das sehr ernst. Es fehlen aber leider belastbare Aussagen zum Tathergang und der verwendeten Substanz. Auch in Großbritannien gab es bisher keine einzige Verurteilung wegen Needle Spikings. Ein Problem ist, dass die Betroffenen hier schnell handeln müssen. Nur so können die Substanzen durch Tests im Blut und Urin nachgewiesen werden.

Wie beunruhigt sollten Clubbesucher sein?

Man sollte sich generell mit Spiking auseinandersetzen. Das beinhaltet ja auch das Beifügen von Substanzen in Getränken. Auch im privaten Umfeld gibt es Fälle, dass jemand unwissentlich Substanzen verabreicht bekommt. Ich denke da an das Glas Bowle, von der nicht bekannt war, dass sie MDMA enthielt. Ziel muss ein achtsamer Umgang miteinander sein. Eine Mitarbeiterin hinter der Theke hat mich vor Kurzem darauf aufmerksam gemacht, dass ich beim Tanzen mein Getränk zu weit weg von mir abgestellt hatte. Das fand ich toll.

Needle Spiking: Narkosemittel wie Ketamin oder Opiate kommen infrage

Welche Substanzen kämen für das Needle Spiking infrage und welche Folgen könnten Angriffe haben?

Wir haben mit unterschiedlichen Medizinern gesprochen. Es können nur Substanzen sein, die mit einem Epipen, also einem Injektor zur Verabreichung einer Einzeldosis eines flüssigen Medikaments, gespritzt werden könnten. Der Stich mit einer normalen Kanüle würde bemerkt werden. Also muss es ein Stoff sein, der in einer geringen Dosis wirkt. GHB, das oft in sogenannten K.-o.-Tropfen enthaltene Betäubungsmittel, halte ich deshalb für unwahrscheinlich. Narkosemittel wie Ketamin oder Opiate könnten eher Kandidaten sein. Das Problem ist hier, dass diese Stoffe leicht überdosiert werden können. Der Täter muss sich also auskennen. Für den Betreffenden ist gefährlich, was nach der Verabreichung erfolgt. Es geht ja darum, jemanden wehrlos zu machen.

Besucher von Clubs können sich im Gedränge auf einer Tanzfläche schwer vor Spritzenattacken schützen. Das schürt Ängste. Was raten Sie?

Aufeinander achten und niemanden allein lassen, dem es schlecht geht. Von Mitteln, die einen Schutz vor Spiking versprechen, raten wir ab. Die gibt es, allerdings zielen sie auf den Schutz vor Beimischungen in Getränken ab. Armbänder oder Nagellack erkennen aber oft nur eine Substanz, und dann müssen bei schlechten Lichtverhältnissen auch die Farben richtig erkannt werden. Die Sicherheit ist hier trügerisch.

Personal in Clubs kann sich schulen lassen

Wie bewerten Sie die Reaktion der Betreiber?

Ich kann die Clubcommission nur loben. Sie haben sich mit unserem Netzwerk bei allen öffentlichen Beiträgen abgestimmt. Prävention und Unterstützung für die Betroffenen sind wichtig, jetzt in jedem Clubs Kameras aufzuhängen, wäre nicht hilfreich. Die von der Clubcommission 2020 gestartete Awareness Akademie und Sonar bieten Schulungen an für das Personal. Besucher, die unter starkem Drogeneinfluss stehen, sollten nicht einfach auf die Straße gesetzt werden. Stattdessen braucht es eine Notfallinfrastruktur in den Clubs. Einer kümmert sich um den Berauschten und jemand anders organisiert, sofern es nötig ist, weitere Hilfe. Es ist zunächst irrelevant, ob die Situation selbst herbeigeführt wurde oder durch Fremde.

Die Clubs leiden nach den Schließungen wegen Corona unter Personalmangel. Ist das zu stemmen?

Es braucht ja kein medizinisch geschultes Fachpersonal. Wichtig ist, zu wissen, was man selbst bewältigen kann und wann Hilfe von außen nötig ist. Die Clubs sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Berlin. Von daher könnte auch der Senat sich einbringen und Schulungen von Sonar und der Awareness Akademie fördern.

Kommen wir zu den Tätern. Welche Motive könnten sie antreiben?

Es müssen Menschen sein, die sich genau auskennen. Wer andere wehrlos machen will, kann sexuelle oder kriminelle Beweggründe haben. Aber es kann auch darum gehen, ein Gefühl von Macht über andere auszuleben.

Was bedeutet die Angst vor dem Needle Spiking für das Sicherheitsgefühl vulnerabler Gruppen in den Clubs? Sind sogenannte Safe Spaces für Frauen oder Queere letztlich eine Illusion?

Es hat sich zum Glück endlich durchgesetzt, von Safer Spaces zu sprechen. Bei Menschen, die ohnehin Angst vor verbalen oder tätlichen Übergriffen haben, wie zum Beispiel nichtbinäre Menschen, ist schon eine Verunsicherung zu spüren. Jetzt kommt noch ein Risiko hinzu. Mich erinnert das an die Berichte um die Verabreichung von HIV mit Spritzen auf der Loveparade. Am Ende hat es keine einzige Infektion gegeben. Es ist also wichtig, das Thema jetzt sachlich zu diskutieren.

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Volkmar Otto
Andrea Piest
Andrea Piest arbeitet seit zehn Jahren als Referentin für niedrigschwellige Hilfe und Gesundheitsförderung beim Drogennotdienst Berlin. Die 38-Jährige betreut das 2018 gestartete Nightlife- und Präventionsprojekt Sonar. Es wird im Auftrag des Senats getragen vom Berliner Notdienst, dem Suchthilfeträger Fixpunkt und Vista gGmbH. Ziel ist die Prävention im Berliner Club- und Nachtleben. Sonar arbeitet eng mit der Berliner Clubcommission zusammen. Sie vertritt die Interessen der Clubbetreiber.

Ekstase gibt es nicht ohne Kontrollverlust. Wer die Kontrolle abgeben will, geht oft auch Risiken ein. Was müsste geschehen, um dem Ziel eines sicheren Nachtlebens zumindest näherzukommen?

Ich sehe in einer Stigmatisierung und in der Verbotskultur große Hürden. Wer Angst hat, aus einem Club zu fliegen, weil er sich berauscht fühlt, holt sich eher keine Hilfe. Wir brauchen Offenheit. Berlin verdient viel Geld mit seiner besonderen Clubkultur. Ich finde, dass die Stadt auch investieren muss, um das Feiern so risikoarm wie möglich zu machen. Wenn der Ruf der Berliner Clubs leidet und weniger Touristen kommen, hat Berlin den wirtschaftlichen Schaden.

Wer nach einem Spiking-Vorfall Hilfe sucht, kann sich an folgende Einrichtungen wenden: Lara Berlin e. V., MUT und Sonar.