Berliner Abgeordnetenhaus: Ein früher Feierabend kann verwirren

Wer an diesem Donnerstagabend, so gegen halb acht, orientierungslose Menschen in der Nähe des Potsdamer Platzes antrifft, der braucht sich nicht zu wundern. Es sind ein paar Parlamentarier auf dem Weg nach Hause. Sie kommen aus dem Abgeordnetenhaus von Berlin, das liegt um die Ecke, gegenüber vom Gropiusbau. Dort, im ehemaligen Preußischen Landtag, tagt das Landesparlament der deutschen Hauptstadt. Was die derzeit 149 Mitglieder an diesem Donnerstag so verwirren wird wie es noch kein Bankenskandal, keine Regierungserklärung und keine Flughafeneröffnungsverschiebung vermochte, das ist: ein früher Feierabend.

Jahrzehntelang, also auch zu Mauerzeiten im Rathaus Schöneberg, tagte das Abgeordnetenhaus an jedem zweiten Donnerstag immer ab 13 Uhr. Und zwar „open end“. Die offizielle Tagesordnung sah dann schon mal gegen 23.35 Uhr eine Aussprache aller Fraktionen zur Evaluation der Straßenausbaubeitragsordnung vor oder auch die erste Lesung des sechsten Gesetzes zur dritten Änderung des Berliner Hochschulrahmengesetzes.

Letzter unumstößlicher Ausweis für den Teilzeitstatus

Derlei Themen wurden angesichts der fortgeschrittenen Zeit regelmäßig vor leeren Zuschauer- und oft ebensolchen Pressetribünen verhandelt. Manche Sternstunde demokratischer Debattenkultur blieb so gänzlich ohne öffentliche Resonanz. Meistens hatte die Sitzungsleitung irgendwann ein Einsehen, kürzte das Programm radikal und schickte die vom Debattieren, Zuhören und Abstimmen völlig erschöpften Abgeordneten in die Berliner Nacht.

Dieses Elendsszenario hat nun ein Ende. Denn das Abgeordnetenhaus von Berlin, wie in allen drei deutschen Stadtstaaten ein Teilzeitparlament, hat sich jüngst eine Reform verordnet. Es wird seine Plenarsitzungen ab sofort zwei Stunden früher, also um elf Uhr, beginnen und dank exakt definierter Redezeitkontingente pünktlich um 19 Uhr beenden.

Dies mag aus der Außensicht wie ein Reförmchen anmuten. Dabei ist es eine kleine Revolution. Denn der 13-Uhr-Starttermin (bis 1960 begann man sogar erst um 15 Uhr) war für viele der letzte unumstößliche Ausweis für den Teilzeitstatus des hohen Hauses. Vormittags konnte und wollte man in Kanzlei, Büro und Betrieb einem bürgerlichen Beruf nachgehen, nachmittags wurde parliert. Und jetzt? Der Mut, sich gleich zum Vollzeitparlament zu erklären, hat im Abgeordnetenhaus zwar noch gefehlt. Aber professioneller wird es jetzt doch, denn auch die Debattenabfolge wurde gestrafft und publikumsfreundlicher terminiert. Und für den ungewohnt freien Donnerstagabend wird sich sicher noch etwas finden.

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