Berliner Ärztin mit 4500 Euro netto im Monat: „Mir geht es finanziell so gut wie nie“

Janina H., 28, verdient sehr gut, sie muss sich keine Sorgen machen. Der Preis dafür: Zusatzdienste ohne Ende. Die Berliner und die Inflation – unsere Serie.

Angst vor der Zukunft hat Janina H. nicht. Ihr Geld gibt sie vor allem für Skiurlaube aus und für ihr zweites sportliches Hobby: Gerade hat sie sich ein Rennrad gekauft. Gebraucht.
Angst vor der Zukunft hat Janina H. nicht. Ihr Geld gibt sie vor allem für Skiurlaube aus und für ihr zweites sportliches Hobby: Gerade hat sie sich ein Rennrad gekauft. Gebraucht.Roshanak Amini für Berliner Zeitung

Janina H. sitzt auf der Dachterrasse eines Cafés in einer Berliner Einkaufsstraße und genießt ihren freien Tag. Sie war gerade mit einer Freundin bummeln. Die junge Frau mit den blonden langen Haaren scheint in sich zu ruhen. „Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen geht es mir so gut wie nie. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Janina H.* Sie ist in der Facharztausbildung zur Chirurgin und arbeitet in einer Berliner Klinik als Assistenzärztin.

Angst vor der Zukunft hat sie nicht, auf ihrem Konto gehen jeden Monat 4500 Euro netto ein. Ihr monatlicher Verdienst liegt bei rund 5000 Euro brutto, durch die Zuschläge für Nacht- und Bereitschaftsdienste steigt ihr Gehalt jeweils deutlich an. „Es kann auch mal ein bisschen weniger als 4500 Euro sein oder ein bisschen mehr. Das hängt von der Anzahl der Dienste ab, die ich leisten muss“, erklärt Janina H. Meistens sind es acht bis zehn Dienste pro Monat. Für die Hälfte dieser Dienste muss sie in der Klinik anwesend, für die andere Hälfte im Notfall telefonisch erreichbar sein.

Für ihr Geld muss die Janina H., 28 Jahre alt, hart arbeiten. In ihrem Rekordmonat hatte sie sieben 24-Stunden-Dienste. „Schon diese Dienste allein sind 168 Stunden, also fast eine 40-Stunden-Woche“, sagt sie. In Krankenhäusern herrsche ein „unmenschliches System“; sie selbst arbeite weitaus mehr, als gesetzlich erlaubt sei, habe nur selten Zeit für eine Mittagspause. Abends mache sie nie pünktlich Feierabend.

„Da spricht niemand drüber. Keine Assistenzärztin, kein Assistenzarzt will seine Ausbildung gefährden. Uns werden sonst sehr schnell von Vorgesetzten die Daumenschrauben angelegt, indem man uns zum Beispiel droht, uns einfach aus dem OP-Plan zu entfernen. Und dann lernen wir nichts.“

Dennoch: Janina H. ist froh, in diesen Zeiten finanziell so gut abgesichert zu sein. „Es ist ein erleichterndes Gefühl, wenn man nicht jeden Cent umdrehen muss.“ Trotzdem lebt sie bescheiden, das hat sie aus Studententagen beibehalten. „Hochschrauben kann man den Lebensstandard immer. Aber wozu braucht man all den Luxus?“

Janina H.: „Ich spare das meiste Geld“

Für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung (50 Quadratmeter) in Mitte zahlt sie 600 Euro warm plus Strom (30 Euro), 60 Euro für Festnetzanschluss und Handy sowie 30 Euro für Versicherungen im Monat. Lebensmittel und Kosmetikartikel kosten sie etwa 160 Euro im Monat und für Restaurantbesuche gibt sie etwa 150 Euro pro Monat aus.

„Ich spare das meiste Geld“, sagt die Ärztin. Sie gehe nur selten zum Friseur, färbe sich nicht die Haare. Ein Nagelstudio habe sie noch nie von innen gesehen. „Ich versuche so natürlich wie möglich auszusehen und mache bei dem gesellschaftlich diktierten Schönheitswahn nicht mit“, erklärt sie. Selbst die steigenden Energiekosten können ihr wenig anhaben. Da sie die meiste Zeit in der Klinik ist und selten zu Hause, hat sie sehr niedrige Heiz- und Stromkosten.

Kassensturz: Für den Skiurlaub gibt sie auch mal 4000 Euro aus

Allerdings sei sie bei ihren Urlauben nicht knauserig, sie wolle „viel von der Welt sehen“. Der Skiurlaub im Frühjahr koste sie locker 4000 Euro, und dann kämen noch zwei Sommerurlaube für jeweils 1000 Euro dazu. „Ich möchte auch ein bisschen leben, wenn ich schon so viel arbeiten muss“, sagt sie.

Auch für ihr anderes Hobby, den Radsport, gibt sie viel aus. Gerade hat sie sich ein gebrauchtes Rennrad für 1000 Euro gekauft und 250 Euro in wetterfeste Fahrradkleidung investiert. Morgen wird sie sich mit gemeinsam mit ihrer Freundin zu einer dreiwöchigen Rundreise mit dem Auto durch Österreich und Italien aufmachen. „Endlich einmal ausspannen, leckeres Essen genießen und morgens kein Weckerklingeln hören.“

Im Alltag muss Janina H. um 7 Uhr im OP stehen. An das frühe Aufstehen hat sie sich gewöhnt. Abends geht sie fast immer vor 22 Uhr ins Bett. Sogar im Sommer. Ohne ausreichend viel Schlaf schaffe sie ihr Pensum nicht. Und sie habe Angst davor, Fehler zu machen. „Ich habe eine enorme Verantwortung in meinem Job, weil ich direkt am Menschen arbeite. Da kann ich mir keinen Ausrutscher wegen Müdigkeit leisten.“

Janina H. hat es gelernt zu verzichten, ihr Lebensgefährte musste sich erst daran gewöhnen, dass er so manchen Sommerabend ohne sie verbringen muss. „Inzwischen geht er aber auch gern mal allein ins Freiluftkino oder setzt sich mit einem Buch an die Spree“, sagt sie.

Die Preissteigerungen in Supermärkten bekommt Janina H. nicht so zu spüren. Sie gehe ohnehin überwiegend in Biomärkten Obst und Gemüse einkaufen, sagt sie. Da die Qualität viel besser sei als in herkömmlichen Läden.

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Janina H. ist zudem eine begeisterte Lebensmittelretterin. Sie mag es nicht, wenn verschwendet wird, und hat sich eine Lebensmittelretter-App auf ihr Smartphone geladen – um das einzusammeln, was täglich übrig bleibt. „Man kann dort Brot und Brötchen, aber auch Döner und Salate oder Überreste eines Frühstücksbuffets aus Berliner Hotels und Restaurants beziehen. Und preiswert ist es noch dazu.“ Gerade hat sie sich verschiedene Hartkäsesorten, Croissants und eine große Portion Bircher-Müsli aus einem Restaurant abgeholt. Für alles zusammen habe sie nur vier Euro gezahlt.

Sie sei, auch wenn sie persönlich nicht betroffen ist, bedrückt wegen der aktuellen Lage und habe große Sorge, dass sich die Gesellschaft immer weiter aufspalte. „Was soll eine Kassiererin im Supermarkt machen, die den ganzen Tag schuftet. Sie kann sich bald nichts mehr leisten“, sagt Janina H. Sie könne jeden verstehen, der zum Demonstrieren auf die Straße geht, weil ihn die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland unzufrieden macht.

Janina H. glaubt, dass durch die Inflation noch mehr Menschen psychische Probleme bekommen, weil sie „einfach nicht mehr können und vom Kämpfen müde geworden sind“. Gerade erst mussten sie die Pandemie überstehen, und nun stehen sie schon wieder vor neuen Problemen. Das bemerkt sie auch im Krankenhausalltag. „Die Patienten sind zum Teil sehr gereizt, brausen schneller auf.“

Ihren Beruf liebe sie dennoch, sagt sie. Ihr Vater ist ebenfalls Arzt in einem Krankenhaus, ihr jüngster Bruder studiert Medizin. „Ich wollte schon immer gern anderen Menschen helfen“, sagt sie. Der Wunsch, Ärztin zu werden, entstand schon in ihrer Kindheit und hat weniger mit dem hohen Gehalt zu tun, das im Laufe ihrer Karriere weiter ansteigt. Ein Oberarzt verdient mindestens 120.000 Euro brutto im Jahr.

Janina H.s Beweggründe, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, waren weitaus tiefgründiger. Als sie gerade 14 Jahre alt war, starb die Mutter, eine Krankenschwester, an Krebs und ließ drei Kinder und ihren Ehemann zurück. Janina H. hat bereits als Teenager lernen müssen, wie man mit Verlusten und Krisen umgeht. „Das hat mich sehr geprägt und stark gemacht“, so Janina H.

Sie will aufs Land ziehen

In den nächsten Monaten will Janina H. mit ihrem Lebensgefährten aufs Land nach Brandenburg ziehen, um dort in ihrer wenigen Freizeit mehr Erholung vom stressigen Klinikalltag zu finden. Das Paar hat sich einen alten Gutshof gekauft und will ihn umbauen. „Wir wollen uns einen Rückzugsort schaffen, an dem wir uns sicher und geborgen fühlen können und bald auch eine Familie gründen“, erklärt Janina H.

Wenn sie dann mit ihrem Partner, einem Betriebswirt, zusammenzieht, werden sich viele ihrer monatlichen Kosten halbieren. „Paare kommen besser durch die Krise, weil sie fast alles miteinander teilen können. Auch die Sorgen“, sagt sie hoffnungsvoll. Und Kinder will sie unbedingt.

Auch wenn Angst hat, dass es ihren eigenen Kindern später einmal schlecht gehen könnte, wie sie sagt. Inzwischen sei ja vieles vorstellbar, was man niemals für möglich gehalten hätte. Aber deshalb keine Kinder in die Welt setzen? „Keine Option“, sagt Janina H. „Es muss doch auch mal wieder besser werden.“ Ihren Optimismus will sie sich nicht nehmen lassen. Auf gar keinen Fall.

* Alle Namen sind verändert, der Redaktion aber bekannt.