Berliner Bezirke wehren sich dagegen, noch mehr Flüchtlinge zu versorgen

Auch Franziska Giffey warnt, man dürfe die Strukturen nicht überlasten. Es müsse gut überlegt werden, in welcher Größenordnung sich Berlin beteiligen kann.

Migranten warten an der belarussischen Grenze. Viele wollen nach Deutschland.
Migranten warten an der belarussischen Grenze. Viele wollen nach Deutschland.dpa/Ulf Mauder

Berlins Bezirke sollen noch mehr Flüchtlinge unterbringen, in Wohnungen oder Heimen. Dagegen regt sich zunehmend Widerstand, auch aus der Partei von Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Die Linke). Sie hatte erst in der vergangenen Woche im Abgeordnetenhaus diese Absicht bekräftigt, dass die Bezirke bis zum Jahresende 100 sogenannte statusgewandelte Flüchtlinge aus den Unterkünften des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten bei sich aufnehmen sollen. Bei diesen handelt es sich um Menschen, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Deren Asylbegehren wurde also anerkannt oder sie bekamen eine Duldung. „Hundert Menschen sind kein Hexenwerk“, sagte Breitenbach und deutete an, dass das noch nicht das Ende sei. „Im Neuen Jahr werden wir dann weitersehen und weitere Menschen unterbringen lassen.“

Widerstand dagegen kommt unter anderem von Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke), der sich Sorgen um die Integrationserfolge macht. Das Thema stelle alle Bezirke vor erhebliche Probleme, schrieb er an die Integrationssenatorin. „Sie wissen, dass die Bezirke keine eigenen Wohnungen anbieten können“, formulierte Grunst in dem Schreiben, das der Berliner Zeitung vorliegt. Eine Unterbringung könne daher lediglich in freie Asog-Unterkünfte erfolgen. Sogenannte Asog-Unterkünfte sind Notquartiere nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz, die zum Beispiel Obdachlose durch das Bezirksamt zugewiesen bekommen.

In diesen gebe es insbesondere in der kalten Jahreszeit nicht nur „eine erhebliche Belegunskonkurrenz“, so Grunst. Die Einrichtungen fallen nach Einschätzung des Bezirksbürgermeisters in aller Regel auch bei den Unterbringungsstandards verglichen mit Gemeinschaftsunterkünften zurück. Es gebe in den meisten Fällen keine Sozialbetreuung.

Michael Grunst: Flüchtlinge sollen in kommunale Wohnungen

Selbst wenn es gelänge, Unterbringungsplätze in der Nähe der Gemeinschaftsunterkunft zu finden, bedeute der Wechsel in jedem Einzelfall einen Bruch in Bezug auf gewachsene Sozialkontakte und das gewohnte Umfeld. „Nach hiesiger entschiedener Überzeugung riskieren wir als Stadt mit der begonnenen Verlegungsinitiative sowohl die Integrationserfolge der vergangenen Jahre wie auch das soziale Kapital der Zivilgesellschaft“, schreibt Michael Grunst. „Letzteres werden wir jedoch angesichts anhaltender Zuwanderungsprozesse auch in Zukunft dringend brauchen.“

Deshalb müssten aus seiner Sicht die Anstrengungen auf die Akquise zusätzlicher Unterbringungskapazitäten durch die Landesebene gerichtet sein, etwa durch die Wiederinbetriebnahme ehemaliger Einrichtungen. Die Vermittlung kommunalen Wohnraums sei jedoch „klar die bessere Alternative“. Der Senat solle daher über die Aufsichtsräte der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften entsprechende Kontingente zur Verfügung stellen.

Falko Liecke: „Integrationspolitisch völliger Nonsens“

„Ich glaube nicht, dass das realistisch ist“, sagt Neuköllns neuer Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU). Das würde die bereits jetzt bestehende Wohnungsnot noch weiter verschärfen, befürchtet er. „Wir haben keine Wohnungen und es gibt große Schwierigkeiten, alternative Unterkünfte zu finden“, sagt er. Es gebe einen verschärften Druck auf die Einrichtungen. Tatsächlich sind auch die Notunterkünfte für Obdachlose nach Angaben der Träger voll. Liecke war am Montag mit dem Kältebus unterwegs und sah Obdachlose aus aller Herren Länder, wie er sagt.

Auch er sieht die Kapazitäten der Bezirke erschöpft. Diese zahlen deshalb seit längerem hohe Preise an dubiose Vermieter, die inzwischen ein lukratives Geschäftsmodell entdeckt haben. Darunter sind nach Angaben von Behördenmitarbeitern und Polizisten auch Angehörige arabischer Clans. Die Bezirke sind nach eigener Auskunft schon personell nicht in der Lage, die Unterkünfte zu überprüfen.

Nach Lieckes Ansicht widerspricht das Vorhaben, die Flüchtlinge auf die Bezirke zu verteilen dem „Masterplan Integration und Sicherheit“. Dieser wurde von Breitenbachs Verwaltung vor fünf Jahren erarbeitet. Darin steht unter anderem, dass bei einem Wechsel der Unterkunft im Einzelfall geprüft werde, „ob ein Wechsel der Unterkunft möglich, sinnvoll und der Integration dienlich ist“.

Integrationspolitisch sei die Idee „völliger Nonsens“, sagt Liecke zu den Umquartierungsplänen. Zumindest in dieser Frage stimmt er mit Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst überein. „Wir haben Kinder in Kitas und Schulen. Sie sind in Projekte des Flüchtlingsmanagements eingebunden. Jetzt müssen wir sie da rausreißen. Die zarten Pflänzchen der Integration, die wir gezüchtet haben, werden wieder totgetreten.“

Franziska Giffey: „Man darf die Strukturen nicht überlasten.“

Allerdings zieht Liecke eine andere Schlussfolgerung als die Linkspartei, der Grunst angehört: „Die Konsequenz kann nur sein, dass man weniger Flüchtlinge nach Berlin holt.“ Die rot-grün-roten Koalitionäre haben sich in der vergangenen Woche jedoch auf das Gegenteil geeinigt.

Eine Sprecherin des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) verweist darauf, dass für die Unterbringung statusgewandelter Flüchtlinge die Bezirke zuständig sind. Seit Jahren leiste das LAF lediglich Amtshilfe. Jetzt versuche das Land die Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen, so die Sprecherin am Donnerstag. Nach ihren Angaben sind von den rund 20.000 Menschen, die in LAF-Unterkünften leben, etwa 10.000 statusgewandelt. „Bis zu 100 Menschen pro Bezirk machen rund zehn Prozent aus“, sagt die Sprecherin. Für die anderen 90 Prozent leiste das LAF weiter Amtshilfe.

Franziska Giffey (SPD), die im Dezember zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt werden möchte, hat offenbar auch ihre Bedenken. Sie sagte am Rande der Koalitionsverhandlungen zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Menschen aus Krisengebieten im Rahmen von UN-Programmen sagte sie: „Berlin hat immer dazu gestanden zu helfen, aber auch so zu helfen, dass es vertretbar ist für die Stadt. Man darf aber auch die Strukturen nicht überlasten. Deshalb muss es gut überlegt werden, in welcher Größenordnung sich Berlin hier beteiligen kann.“