In Berlin werden Rettungswagen schon wegen Verstauchung und Bauchweh gerufen

Bei der Berliner Feuerwehr stieg erstmals die Zahl der Notrufe über eine Million. Viele wählen wegen Bagatellen den Notruf 112.

Feuerwehrleute stehen zusammen, um den Einsatz zu besprechen (Symbolbild).
Feuerwehrleute stehen zusammen, um den Einsatz zu besprechen (Symbolbild).dpa/David Inderlied

Es war der längste Löscheinsatz der Berliner Feuerwehr im vergangenen Jahr: Zwei Tage lang brannten im Februar in Marienfelde mehrere Hallen einer Galvanik-Fabrik. Der Brand breitete sich rasant aus. In den Hallen lagerten mehrere Hundert Tonnen giftige und ätzende Stoffe.

Diesen und andere komplizierte Einsätze hatte die Feuerwehr im vergangenen Jahr zu bewältigen – sei es der Brand eines historischen Hühnerstalls in Dahlem oder Unwettereinsätze. Oder die nächtliche Suche nach einem Vermissten in der Spree, der von einem Partyfloß gefallen war und sich später quicklebendig bei der Polizei meldete. Oder auch ein Großeinsatz bei der Entschärfung einer Fliegerbombe im Dezember in Mitte.

Die Berliner Feuerwehr hat in allen möglichen Lagen gut zu tun und ist immer stärker ausgelastet. Erstmals stieg die Zahl der Notrufe im vergangenen Jahr auf mehr als eine Million. Durchschnittlich alle 29 Sekunden ging in der Leitstelle ein Notruf ein, und alle 64 Sekunden wurde die Berliner Feuerwehr zu einem Einsatz gerufen.

Über das Jahr waren es 492.226 Einsätze – so viele wie noch nie. Das geht aus dem Jahresbericht für das Jahr 2021 hervor, den Landesbranddirektor Karsten Homrighausen am Donnerstag vorstellte.

Nur einen geringen Teil machten davon Brände aus – 6843. Was hingegen erneut massiv anstieg, war die Zahl der Alarmierungen im Rettungsdienst: 420.246 Mal rückte ein Krankenwagen aus. Das ist ein Zuwachs von etwa 20.000 beziehungsweise 54 Einsätze mehr pro Tag. Am häufigsten wurden Rettungswagen aus Feuerwehrwachen in Neukölln und Wedding gerufen. „Wir kommen an unsere Grenzen“, sagte Homrighausen.

Krankenwagen brauchen zu lange

Wie berichtet, muss die Feuerwehr deshalb immer öfter den Ausnahmezustand Rettungsdienst ausrufen. 2020 war das nur 64 Mal nötig, im vergangenen Jahr schon 178 Mal. Und in diesem Jahr galt durchschnittlich jeden Tag der Ausnahmezustand Rettungsdienst. Am Mittwoch war es das 150. Mal. In einem solchen Fall muss die Feuerwehr zusätzliche Leute in den Rettungsdienst holen. Sie steigen dann von den Löschfahrzeugen auf leer stehende Rettungswagen um – und fehlen dann, wenn es mal brennt.

Entsprechend schlecht ist es um die Eintreffzeiten der Krankenwagen bestellt. Nur in 48,1 Prozent der Fälle schafften es die Sanitäter, innerhalb von zehn Minuten am Einsatzort zu sein. Das Ziel ist eigentlich, dass sie es zu 90 Prozent schaffen sollen.

Dass die Einsatzzahlen von Jahr zu Jahr steigen, liegt nach Auffassung von Homrighausen nicht unbedingt mehr an der wachsenden Stadt, deren Bevölkerungszuwachs inzwischen stagniert. Er rechnet damit, dass die Zahlen weiter steigen wegen einer alternden Gesellschaft und Vereinsamung. „Wir haben eine große Zahl an Menschen, die nicht wissen, wen sie anrufen sollen“, sagte Homrighausen.

Immer mehr Angriffe auf Sanitäter und Feuerwehrleute

Ein großes Problem sind Notrufe wegen Bagatellen wie kleinen Schnittwunden, Verstauchungen oder Bauchschmerzen. Immer wieder wählen Menschen den Notruf 112, mitunter auch in der Hoffnung, schneller vom Arzt behandelt zu werden.

Im vergangenen Jahr startete die Feuerwehr deshalb eine Notrufkampagne mit Flyern und Plakaten, um die „Selbsthilfefähigkeit“ der Bevölkerung zu stärken und zu sensibilisieren für die Frage, wann ist es wichtig, die 112 zu wählen? „Wir wollen mit dieser Notrufkampagne die Menschen aber nicht abschrecken, die uns berechtigterweise anrufen müssen“, so Homrighausen. „Wenn wir ein Rettungsmittel binden, steht es woanders nicht zur Verfügung.“

Etwa 20.000 der Rettungswagen-Einsätze waren zudem Fehleinsätze. Das heißt: Es war kein Patient da – etwa wenn jemand einen Rettungswagen zu einem betrunkenen Verletzten rief und dieser aber weitergelaufen ist.

Sanitäter, Notärzte oder Feuerwehrleute leben nicht ungefährlich. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Behörde 133 Angriffe und Übergriffe. Dazu kamen noch mehr als 90 Beleidigungen und Sachbeschädigungen, etwa an Fahrzeugen. Auch dies ist ein steigender Trend.

2020 wurden „nur“ 117 Angriffe registriert. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte: „Wir dürfen die Gewalt nicht dulden.“ Seit Mitte 2021 läuft daher auch ein Test mit Bodycams – kleinen Kameras an der Kleidung – bei einigen Feuerwehrleuten. Sie sollen das Geschehen aufzeichnen und aggressive Menschen abschrecken.