Berliner Foto-Projekt: Gib Gummi!
Die blinkenden Verzierungen auf den Freundschaftsringen sahen aus wie echte Diamanten, die Flummis sprangen hoch und die Kaugummis waren süß, sie schmeckten nach Chemie. Auf seinem Schulweg kam Max Schwarck, der in Marburg aufwuchs, an zwei Kaugummiautomaten vorbei. Sie hingen an Häuserwänden, nicht weit oben, Kinder kamen gut heran. Einen Teil seines Taschengeldes steckte Max Schwarck in diese Automaten, dafür bekam er billigen Kinderschmuck, Spielzeug und Kaugummis. Für ihn waren das damals wertvolle Dinge. Er erinnert sich immer noch gut daran.
Heute lebt Max Schwarck in Berlin, er hat dort Kommunikationsdesign studiert. Dem 31-Jährigen gehört ein Designbüro in Kreuzberg. Auf seinen Radtouren durch die Stadt entdeckte er die Kaugummiautomaten seiner Kindheit an den Wänden alter Häuser wieder. Sie waren bemalt, besprüht, beklebt, ramponiert und zum Teil zerstört. „Die Apparate sind oft so dreckig wie die Wände, an denen sie hängen“, sagt er. „Saubere Automaten habe ich nirgendwo gefunden.“
Max Schwarck begann, die Automaten zu fotografieren, anfangs mit dem Handy, wenn er zufällig ein Gerät entdeckte. Später ging er mit einer Fotokamera gezielt auf Entdeckungstouren durch Kreuzberg, Neukölln und Moabit. Dort hängen die meisten Geräte. Sein Fotoarchiv wurde größer. 200 Kaugummiautomaten gehören heute zu seinem Projekt „Sticky Art Machines“. Mit den Motiven hat er Postkarten und Plakate bedruckt, später kamen auch T-Shirts und Jutebeutel hinzu. Er verkauft sie in seinem Online-Shop, das Geschäft läuft gut.
Max Schwarck sagt, Kaugummiautomaten seien Projektionsflächen für Botschaften, oft findet er darauf politische Statements, wie „Nazis Raus!“-Aufkleber, Demo-Termine, Werbe-Aufkleber und mit dicken Stiften gekritzelte Schriftzüge. Einige Automaten würden aber auch als Mülleimer oder als Theke genutzt, wenn etwa Späti-Kunden darauf Bier- und Schnapsflaschen abstellen. „Kein Automat gleicht dem anderen. In jedem steckt eine eigene Geschichte“, sagt Max Schwarck.
An manchen Tagen fährt er mit seinem Fahrrad große Umwege, weil er sehen will, ob Automaten, sich immer noch dort befinden, wo er sie einst entdeckt hat. Er stellt fest, dass Kaugummiautomaten meist an Wänden unsanierter Häuser hängen, also in Gegenden, wo die Mieten noch günstig sind. Max Schwarck vermutet, in Berlin gibt es immer weniger Automaten. „Werden Häuser saniert, findet man dort später keine Automaten mehr.“ An sauberen Fassaden wollen Hausbesitzer wohl keine Schmuddel-Apparate mehr sehen.
Die Betreiber der etwa 60.000 Geräte in Berlin brauchen keine Genehmigung zum Anbringen an die Wand, sie müssen sich nur mit den Hauseigentümern einigen. Deutschlandweit gibt es noch etwa 500.000 bis 800.000 Kaugummiautomaten, so genau weiß das niemand, auch nicht der Geschäftsführer des Verbandes der Automaten-Fachaufsteller, Paul Brühl.
Etwa 100 Mitglieder hat der Verband und der Chef glaubt an die Zukunft seiner Branche, immer vorausgesetzt, die Apparate seien „gut in Schuss“, also „aufpoliert und lackiert“ und die Waren darin in guter Qualität. Wenn zum Beispiel ein Automat das Geld einbehält, ohne dass die gewünschte Ware herauskommt, enttäusche das die Kunden, sagt Brühl, vor allem die Kinder. Sie sind die Zielgruppe im Automatengeschäft – und für sie sind selbst wenige Cent viel Geld.
Kunst in Automaten
Apropos Kinder: Paul Brühl hat für sie eine eigene Theorie mit einem pädagogischem Erziehungsansatz entwickelt. „Kinder vollführen am Kaugummiautomaten ihr erstes kaufmännisches Geschäft“, sagt er. Und sie kaufen noch ganz altmodisch ein: Erst das Geld, dann die Ware. Kinder würden am Automaten zudem lernen, dass nicht jeder Wunsch in Erfüllung gehe.
Wünsche sich etwa ein Kind einen roten Kaugummi, es komme aber ein blauer heraus, sind Kinder oft enttäuscht. Aber sie könnten ja mit ihren Freunden tauschen, auch das lerne man. Für Brühl ist klar: „Kaugummiautomaten vermitteln ein Lebensgefühl fernab von Sterilität und Stress. Sie sind die Wundertüte der Automatenbranche und können Kinder glücklich machen.“
Trotzdem sind manche der robusten Geräte so ramponiert, dass sie ausrangiert werden. Für diese Exemplare haben Künstler wie Lars Kaiser aus Potsdam eine neue Verwendung gefunden. Er baut die Apparate zu Kunstautomaten um. Darin verkaufen Künstler ihre Mini-Werke in Schachteln: Zeichnungen, Kollagen, Skulpturen, Geschichten und Gedichte. Eine Schachtel kostet vier Euro, die Automaten hängen in Cafés und auf der Straße. „Es werden immer mehr“, sagt Lars Kaiser.