Berliner Kinderchor: „Da werden Glückshormone produziert“

Berlin - Der Blick aus dem Büro von Domkantor Tobias Brommann ist einzigartig. Aus einem Seitenfenster hoch oben im Berliner Dom blickt man auf die Spree und den Schlossplatz. Brommann ist immer wieder begeistert von dieser Aussicht. Begeistert ist er aber auch von der Initiative „Klasse! Wir singen“, mit der er Grundschüler zum gemeinsamen Singen bringen will.

Herr Brommann, sind Menschen, die gemeinsam singen, die glücklicheren Menschen?

Ich denke schon. Wenn ich in einem Chor singe, geht es nicht darum, dass Einzelstimmen heraus zu hören sind. Es geht darum, dass ein Chorklang geformt wird. Es gibt anders als beim Sport keinen Gewinner, nur alle zusammen können gewinnen. Als Chorsänger muss ich mein Engagement, das ich einbringe, in ein Verhältnis setzen zu der Zurückhaltung, die ich üben muss. Dabei zeigt sich, dass Singen etwas ganz Emotionales ist.

Was passiert mit den Menschen?

Da werden Glückshormone produziert. Genau das ist die Idee von „Klasse! Wir singen!“: Eine große Gemeinschaft von Singenden an einem Ort zu vereinen. Das ist dann Balsam für die Seele.

Wie viele Schüler können bei Berlins größtem Kinderchor mitmachen?

Wir können mehr als 20 000 Kinder in den Konzerten Anfang Mai unterbringen. Pro Konzert wären das 4 000 Schüler, aber auch die 4 000 Besucher können mitsingen.

Was ist die Idee dahinter ?

Schüler sollten wieder über ein gemeinsames Liedgut verfügen. Deshalb haben wir 16 Stücke vorbereitet, von „Bruder Jakob“ über „Kein schöner Land“ bis „Morning has broken“. Schüler aus verschiedenen Klassen einer Schule können sich doch heute gar nicht mehr auf ein Lied einigen, das alle kennen.

Chorsingen ist nicht gerade angesagt bei Kindern und Jugendlichen.

Heutzutage wird so viel Musik wie noch nie gehört und konsumiert. Aber es wird viel weniger Musik selbst gemacht. Dabei ist Singen wie Sprechen ein Grundbedürfnis des Menschen. Aber wir bekommen es leider „aberzogen“. Das hängt auch mit den Brüchen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zusammen.

Wie reagieren die Grundschullehrer?

Es haben sich schon 200 Klassen von etwa 100 Grundschulen angemeldet. Die Elizabeth-Shaw-Grundschule in Pankow ist mit fast allen Klassen dabei. Aber es gibt an vielen Schulen auch Klassenlehrer, die sagen, sie können selbst nicht singen. Und deshalb könnten sie die Schüler auch nicht anleiten. In den sechs Wochen vor den Konzerten sollen die Klassen ja jeden Tag wenigstens ein Lied singen. Und manche Lehrer fühlen sich beim gemeinsamen Singen an Pioniernachmittage oder Parteiveranstaltungen in der DDR erinnert. Und wollen deshalb nicht teilnehmen.

Welches von den 16 Liedern ist Ihr Lieblingslied?

Zweifellos „Der Mond ist aufgegangen“ – das hat eine sehr schöne Melodie.

Viele Grundschüler würden wahrscheinlich lieber rappen oder Lady Gaga nachsingen.

Deshalb denken wir über eine weitere Initiative nach. Die könnte dann „Klasse! Wir rocken“ heißen.

Das Gespräch führte Martin Klesmann.