Vera Kochubey traut ihren Augen kaum und starrt das Kunstwerk auf ihrem Handybildschirm an. „Das habe doch … ich gemalt?“ Der grobe Pinselstrich, die weißen, abstrakten Formen auf schwarzem Hintergrund, unverkennbar. Die Verwirrung ist groß. Wie landet ein Gemälde, das bei einer Freundin im Wohnzimmer hängen sollte, im Instagram-Feed einer wildfremden Person? Der Mann freut sich unter seinem Post: „Neuzugang: Kunst von Vera Kochubey. Aus Berlin (wo sonst?!)“.
Die Künstlerin versteht die Welt nicht mehr. Sie hatte das Kunstwerk ihrer Freundin Emma geliehen, da diese für den abgebildeten Frauenkörper Modell gestanden hatte. So bekam das Kunstwerk auch seinen Namen. „Emma“ sei Ausdruck weiblicher Stärke und nicht zu verkaufen, erklärt Kochubey im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Dem Werk käme als einzigem Porträt einer Frau eine besondere Bedeutung innerhalb ihres Oeuvres zu.

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Für 35 Euro auf einem Flohmarkt in Hamburg gekauft
Umso mehr wundert sie sich: Sie hatte Emma ausdrücklich gesagt, dass das Bild ihr als permanente Leihgabe vermacht wurde und ihr ein Verkauf nicht gestattet ist. Sie schickt dem unbekannten Instagrammer eine Nachricht. „Sorry, wie kamst du an mein Kunstwerk?“ Er antwortet zunächst nicht, doch sie bleibt hartnäckig. Nach erneutem Nachfragen erfährt sie, dass dieser es auf einem Flohmarkt in Hamburg gekauft hätte. Für 35 Euro. Eigentlich sei es um die 1500 Euro wert, sagt Kochubey.
Sie ruft Emma an und hofft auf eine Erklärung, doch diese ist zunächst genauso verblüfft. Die Freundin ist gerade in Schweden und lagert ihr Hab und Gut in Neukölln in einem Lagerraum zwischen. Ein paar Stunden später wird klar, dass in diesen Raum eingebrochen wurde. Auch andere Gegenstände aus Emmas Privatbesitz wurden entwendet. Das erklärt zumindest annähernd, wie das Bild auf einem Flohmarkt landete und für 35 Euro verscherbelt wurde.
Vom Flohmarkt zum Auktionshaus
Kochubey will jetzt nur noch eines: ihr Bild zurück. Sie fordert den Käufer auf, es zurückzugeben, doch der muss sie leider enttäuschen. Er habe es bereits an das Auktionshaus Stockholms Auktionsverk in Hamburg abgegeben. Bei ihm zu Hause sei zu wenig Platz für die anderthalb Quadratmeter große Leinwand. Außerdem würde er öfter wertvolle Dinge von Flohmärkten an Auktionshäuser verkaufen.
Der Käufer, der den Wert des Bildes offensichtlich erkannt haben muss, sieht sich selbst in keiner Schuld. Er schreibt Kochubey sogar: „Ich habe das Bild gerettet.“ Im Internet googelt sie das Auktionshaus, und tatsächlich ist ihr Bild inseriert, sein Wert wurde von den Auktionatoren auf 500 Euro geschätzt.
Die Auktion läuft bereits seit fünf Tagen, gerade habe sich ein Käufer gefunden, heißt es. Doch nach Anrufen und E-Mails von Kochubey, die mit einem Rechtsanwalt droht, wird der Verkauf gestoppt. Kochubey ist entrüstet über die Fahrlässigkeit des Auktionshauses. „Sie müssen doch meine Signatur gesehen haben. Ich bin eine renommierte Künstlerin, und die verkaufen mein gestohlenes Gemälde.“

Das Bild ist gefunden, zurück kriegt sie es erst mal trotzdem nicht
Eine Mitarbeiterin des Auktionshauses schreibt der Künstlerin in einer E-Mail, sie bedauere den Vorfall, könne aber nicht sicher sein, ob Kochubey tatsächlich bestohlen wurde. Sie könnte es auch selbst verkauft haben. Man brauche einen Nachweis, dass der Fall bei der Polizei gemeldet wurde. Daraufhin erstattete die 36-jährige Kochubey sofort Anzeige wegen Diebstahls eines Bildes, die Ermittlungen der Polizei laufen.
Kochubey meint, die Polizei sei nicht sehr optimistisch, dass genug Beweise zum Rückerhalt des Bildes gefunden werden könnten. Gegenüber der Berliner Zeitung möchten die Ermittelnden sich nicht äußern, da es sich um ein laufendes Strafermittlungsverfahren wegen Verdachts des besonders schweren Diebstahls handelt. Momentan befindet sich „Emma“ weiterhin in Hamburg, in den Händen von Stockholms Auktionsverk.
Dieses hätte laut Kochubey aber bereits mit dem Gedanken gespielt, es wieder an den Käufer vom Flohmarkt zurückzugeben. Die russische Künstlerin, die seit zwölf Jahren in Berlin wohnt, ist fassungslos. „Das ist ein echtes Verbrechen.“ Kochubey ist mittlerweile international bekannt und hat ihren Hauptsitz in einer Studiogalerie im Haus Bikini Berlin. Sie stellt auch Werke im Museum Urban Nation aus. Auch bei der aktuellen Art Week ist sie auf einer Gruppenausstellung vertreten.