Berliner Plagiatsaffäre: CDU-Fraktionschef Graf ohne Doktortitel
Berlin - Eigentlich wollte Florian Graf, der CDU-Fraktionschef, die Debatte um seine abgeschriebene Doktorarbeit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als die Uni Potsdam ihn vergangene Woche mit dem Thema konfrontierte, eilte er sofort mit Promotionsurkunde im Gepäck zum Dekanat nach Potsdam. Er verzichtete auf den Doktortitel, sprach sich selbst der Täuschung schuldig, bevor es andere tun konnten.
Am Mittwoch entzog die Universität Potsdam Graf den Doktortitel, den er seit 2010 geführt hatte. Graf habe an mehreren Stellen in seiner Dissertation abgeschrieben, teilte der Promotionsausschuss der Wirtschaftlich-sozialwissenschaftliche Fakultät mit. Graf selbst hatte einen Antrag auf Entzug gestellt. „Ich werde gegen die Entscheidung der Universität keine Rechtsmittel einlegen“, ließ Graf mitteilen.
Er werde nun sein Schicksal als Fraktionschef „mit der Vertrauensfrage in die Hände der Kollegen“ legen, hieß es weiter. Für Graf geht es jetzt darum, seine Karriere zu retten. Politisch ging es für ihn bisher stets nach oben: Büroleiter des Fraktionschefs, Kreischef in Tempelhof-Schöneberg, parlamentarischer Geschäftsführer, Fraktionschef – alles binnen sechs Jahren. Dazu gehört viel Zielstrebigkeit, auch Härte der Konkurrenz gegenüber.
Widersprüchliche Informationspolitik
Am Donnerstagmorgen stimmt die Fraktion über Grafs Zukunft ab. Wie das Ergebnis aussehen soll, haben führende CDU-Funktionäre schon vorher deutlich gemacht. CDU-Landeschef Frank Henkel sagte bereits vergangene Woche, dass die Debatte mit dem Verzicht auf den Doktorhut beendet sei. Auch der Koalitionspartner fand offenbar nicht Anstößiges daran, dass ein Chef der Regierungsfraktion betrogen hat. Einzig eine grüne Abgeordnete, Anja Schillhaneck, meldete sich zu Wort und zweifelte daran, ob die CDU einfach so weitermachen kann. Graf habe die Berliner eineinhalb Jahre zum Narren gehalten, sagte sie.
Graf fuhr in den vergangenen Tagen eine widersprüchliche Informationspolitik. Es passt nicht ganz zu dem Aufklärer-Image, das er sich in den letzten Jahren als Oppositionspolitiker in diversen Untersuchungsausschüssen erarbeitet hat.
Er zeigte sich zwar in gewisser Weise offen, sprach von seinen Zweifeln, die ihn wegen seiner Arbeit seit einiger Zeit geplagt hätten. In seiner ersten Erklärung hatte er aber nur von wissenschaftlichen Fehlern, nicht von Plagiat gesprochen. Dass er erst auf Druck der Universität gehandelt hat, davon will er nichts wissen.
Die Veröffentlichung seiner Dissertation wollte er lange verhindern. Angeblich aus urheberrechtlichen Gründen. „Ein Plagiat hat mit Urheberrecht nichts zu tun“, sagt die Professorin Debora Weber-Wulff von der Hochschule für Wirtschaft und Technik, die als Plagiatsexpertin bekannt geworden ist. Auch sie will Grafs Arbeit jetzt lesen.
Demnächst hat sie die Gelegenheit dazu: Bald wird ein Ansichtsexemplar in der Universitätsbibliothek Potsdam zur Verfügung stehen, das bestätigte eine Mitarbeiterin am Mittwoch. Dann kann man selbst nachlesen, was Graf über die Krisenzeit der Berliner CDU berichtet. Die Arbeit mit dem Titel „Der Entwicklungsprozess einer Oppositionspartei nach dem abrupten Ende langjähriger Regierungsverantwortung“ befasst sich mit der CDU zwischen 2001 und 2006.
Graf war damals Büroleiter des Fraktionschefs, hat viel mitbekommen. In Unionskreisen wird befürchtet, dass einige Bewertungen in der Arbeit, wie das Versagen der Führungskräfte, ranghohen CDU-Politikern schaden könnten. Es gibt Spekulationen, dass die Arbeit deshalb zwei Jahre unter Verschluss gehalten wurde.
Grafs Doktorvater schweigt
Bisher war die 2010 eingereichte Dissertation gesperrt, auf Grafs Wunsch. Er wollte zuerst ein Manuskript in einer Fachzeitschrift veröffentlichen, hieß es, schob die Aufgabe aber immer vor sich her. Im Februar erhielt die Universitätsbibliothek eine Anfrage von einem externen Interessenten, der Grafs Arbeit ausleihen wollte. Dahinter steckte ein früherer Parteifreund Grafs aus dem CDU-Kreisverband Tempelhof, der sich gewundert hatte, dass Graf den Titel nicht auf Wahlplakaten benutzte.
Die Anfrage brachte das Verfahren in Gang, das dem Fraktionschef den Titel kosten sollte. Nachdem die Uni wissen wollte, wann denn die Veröffentlichung stattfindet, setzte sich Graf wieder an den Schreibtisch. Unter Zugzwang kam Graf vergangene Woche, als die Universität ihm mitteilte, dass die Sperrfrist aufgehoben und die Arbeit veröffentlicht werden soll. Er wurde von der Uni auch mit dem Plagiatsvorwurf konfrontiert.
Warum der Universität Potsdam der Betrug nicht schon früher aufgefallen ist, blieb ungeklärt. Im Oktober 2010 wurde die Arbeit noch mit der Note „cum laude“ bewertet, das entspricht der Note zwei. Grafs Doktorvater, Jürgen Dittberner, war für eine Stellungnahme am Mittwoch nicht zu erreichen. Auch der Promotionsausschuss der Uni Potsdam äußerte sich nicht.
Dittberner hat sich wie Graf in der Landespolitik engagiert. Während er an der Uni Potsdam Politikwissenschaft lehrte, war er als FDP-Fraktionschef im Bezirksparlament Charlottenburg-Wilmersdorf tätig.