Encrochat-Razzia in Berlin: Bande soll massenhaft Drogen eingeschmuggelt haben
Bei Durchsuchungen findet die Polizei 27 Kilo Heroin. Eine Bande von Drogenschmugglern hatte über den Messengerdienst Encrochat kommuniziert.

Die Berliner Polizei ist am Mittwochmorgen zu Durchsuchungen ausgerückt. Die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt ermitteln gegen eine Bande, die Drogen in „nicht unerheblicher Menge“ eingeschmuggelt haben soll. „Es gab mehrere Festnahmen“, sagte die Polizeisprecherin. Einzelheiten konnte sie noch nicht nennen.
Durchsucht wurden unter anderem eine Wohnung in einem Neuköllner Hochhaus sowie in der Bülowstraße in Schöneberg. Dort wurde auch ein Porsche beschlagnahmt. Im Einsatz waren Beamte mehrerer Einsatzhundertschaften, das Spezialeinsatzkommando (SEK) sowie Drogenspürhunde.
Die Ermittler beschlagnahmten rund 27 Kilogramm Heroin, über ein Kilogramm Kokain, mehr als 13 Kilogramm Marihuana, knapp sechs Kilogramm Haschisch und Bargeld im unteren sechsstelligen Bereich, drei scharfe Schusswaffen samt Munition und zwei hochwertige Fahrzeuge.
Durchsucht wurden insgesamt 15 Objekte - Wohnungen und Gewerbebetriebe wie Kioske und Cafés in Britz, Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln, Schöneberg und Gropiusstadt. Ein 50 Jahre alter Mann wurde aufgrund bereits bestehenden Haftbefehls verhaftet, ein 38-Jähriger wurde vorläufig festgenommen und sollte noch am Mittwoch einem Ermittlungsrichter zum Erlass eines Haftbefehls vorgeführt werden.
Bezirksamt macht Cafés und Kioske dicht
Ein 42 Jahre alter Mann wurde aufgrund eines in anderer Sache bestehenden Haftbefehls verhaftet. Alle drei Männer sind nach Angaben der Polizei verdächtig, Betäubungsmittel aus den Niederlanden nach Berlin geschmuggelt zu haben. Das Bezirksamt Neukölln sprach den Inhabern der Kioske und Cafés Betriebsuntersagungen aus und machte die Läden dicht.
Die Razzia resultiert aus Auswertungen der sogenannten Enchrochat-Daten. Encrochat war ein europäischer Dienstleistungsanbieter, der verschlüsselte Kryptohandys angeboten hatte. Seine Dienstleistungen wurden vor allem von Mitgliedern der organisierten Kriminalität – etwa für den Drogenhandel und Geldwäsche – genutzt, die über das Netz in verschlüsselten Chats kommunizierten.
In einem von Europol eingeleiteten Verfahren gelang es der französischen Polizei im April 2020, das Netzwerk zu infiltrieren und Spionagesoftware auf den Geräten zu installieren. So konnten sie Millionen Nachrichten abfangen. Die daraus gewonnenen Informationen übergab Europol an die Polizeien der europäischen Länder.
Clan-Mitglied handelte mit Kriegswaffen und Drogen
Das Bundeskriminalamt prüft derzeit mehrere Hunderttausend Chatverläufe und führt Ermittlungen gegen mehrere Tausend Nutzer in Deutschland. Allein in Berlin laufen rund 750 Ermittlungsverfahren mit Bezug zu Encrochat und rund 1,6 Millionen Chatnachrichten. Die Berliner Staatsanwaltschaft richtete eine Schwerpunktabteilung ein, um die Datenflut zu bewältigen. In rund 40 Fällen wurde bislang Anklage erhoben.
Erst im vergangenen Monat wurden in einem Encrochat-Prozess durch das Berliner Landgericht ein Clan-Mitglied und ein weiterer Dealer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der 43-Jährige aus einem arabischstämmigen Clan bekam neun Jahre Gefängnis. Ein 23-Jähriger erhielt elf Jahre. Beide hätten unter Nutzung des Krypto-Messengerdienstes Encrochat gewerbsmäßig mit verschiedenen Waffen und mit Drogen gehandelt, so das Gericht.
„Encrochat ist Fluch und Segen zugleich“, erklärte Benjamin Jendro vom Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei. „Das ist eine Goldgrube für alle Ermittlungsbehörden, weil Kriminelle hier vollkommen offen über Straftaten kommuniziert haben. Gleichzeitig bindet die Abarbeitung der ausgewerteten Daten auf Jahre große personelle Kapazitäten unseres Landeskriminalamts und der örtlichen Kriminalpolizei.“
Polizisten fordern bessere technische Ausstattung für die Auswertung
Um eine ernsthafte Chance gegen organisierte Kriminalität haben zu können, brauche man mehr Personal, eine moderne technische Ausstattung, bessere internationale Vernetzung zwischen Polizei und Justiz und auch in Deutschland die Möglichkeit der Quellen-TKÜ, um nicht von anderen Sicherheitsbehörden abhängig zu sein.
Bei einer Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) kann die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen die Kommunikation erfassen, bevor diese verschlüsselt wird oder nachdem diese entschlüsselt wurde.
Dabei greift sie auf ein Endgerät (Quelle) wie ein Smartphone oder Notebook zu, um die laufende Kommunikation auszulesen. In welchen rechtlichen Grenzen Ermittler dies anwenden dürfen, das ist derzeit rechtlich umstritten. Mehrere Gerichtsverfahren, auch zur Verwertbarkeit von Encrochat-Daten sind anhängig.