Berliner Stadtentwicklung: Das Ende einer Vorzeigesiedlung
Berlin - Bei Gisela Ackermann auf dem Sofa stellt sich das klassische Reihenhausgefühl ein. Mit 30 Quadratmetern ist der helle Wohnbereich großzügig geschnitten. Durch die Fensterfront blickt man auf die noch einmal so große Terrasse, auf der Topfpflanzen auf den Frühling warten. Eingang und Küche sind etwas enger. Über die offene, schmale Treppe geht es ins Obergeschoss. Zwei kleine Kinderzimmer, Schlafzimmer, Bad. Aber es ist kein Haus. Es ist eine Wohnung in der dritten und vierten Etage, in der die Ackermanns seit 28 Jahren leben. Mitten in der City-West am Lützowplatz – für gut 800 Euro warm. Noch. Die zur Internationalen Bauausstellung 1984 im sozialen Wohnungsbau entstandene, eigenwillige Siedlung für einst 250 Menschen soll abgerissen werden. Auf dem bis 2001 landeseigenen Grundstück soll ein Hotel- und Gewerbekomplex entstehen.
„Das war die Idee: Innerstädtisch Reihenhäuser stapeln“, sagt Gisela Ackermann. Mit Mann und zwei kleinen Kindern gehörte sie damals zu den ersten Mietern in dem neuen Quartier zwischen Wichmannstraße und Lützowufer. Jetzt gehört sie zu den vier letzten.
Der damals CDU-geführte Senat verfolgte für die IBA das Ziel, das West-Berliner Zentrum wieder als Wohnstandort zurück zu gewinnen, vor allem für junge Familien. Schwerpunkt war die später bundesweit als beispielhaft gefeierte, sogenannte behutsame Stadterneuerung: der Erhalt der Altbau-Quartiere etwa in Kreuzberg unter Einbeziehung der angestammten Mieter.
Aber es gab auch IBA-Neubauprojekte, etwa in der südlichen Friedrichstadt oder im Tiergartenviertel. Dazu gehörte die Anlage am Lützowplatz, mit 84 bezahlbaren Maisonette-Wohnungen, alle mit großzügiger Terrasse, einer Raumhöhe von teils drei Metern und Blick in den grünen Innenhof mit Spielplatz. Entworfen hatte sie der renommierte, 2007 verstorbene Architekt Oswald Mathias Ungers.
Verändert hat sich seit den 80er Jahren am Lützowplatz vor allem die Nachbarschaft. Gegenüber steht jetzt der Glaspalast der Beratungsgesellschaft KPMG, gleich nebenan die vor zwölf Jahren bezogene futuristische Parteizentrale der CDU. Etwa in dieser Zeit, 1998, ersteigerte die Dibag Industriebau GmbH des Münchner Immobilienunternehmers Alfons Doblinger nach der Insolvenz des Vorbesitzers die Ungers-Bauten. Im Mai 2001 kaufte Doblinger vom Land das zunächst nur per Erbbaurecht überlassene Grundstück. Der Preis für die gut 7 000 Quadratmeter in Berlins neuer politischer Mitte soll bei zwölf Millionen Euro gelegen haben. Schon zwei Monate vor dem Grundstückskauf hatte die Dibag den ersten Abrissantrag für die IBA-Bauten gestellt, begründet mit dem desolaten baulichen Zustand der Wohnanlage.
„Ich zeige meine Wohnung gerne“, sagt Gisela Ackermann. „Vom ersten Tag an. Bis heute.“ Zur IBA seien manchmal Studentengruppen durch die Räume spaziert. Sogar aus Japan. Die heute 57-Jährige ist vom Fach, hat Bauzeichnerin gelernt, später Architektur studiert und als Bauleiterin gearbeitet. Auch wenn die auffällige Giebelfassade hin zum stark befahrenen Lützowplatz nicht jedermanns Sache sei, rühmt Gisela Ackermann die hohe Wohnqualität der Ungers-Bauten. Und den in zehn Jahren Abwehrkampf gegen den Abriss gewachsenen Zusammenhalt unter den ehemaligen Nachbarn. Und die Lage.