Berliner Verfassungsgerichtshof: Eine besondere Kammer für Mietrecht
Berlin - Detlef Wagner wohnt ihm Hausburgviertel im Prenzlauer Berg, auf dem Gelände des Alten Schlachthofes. Die 2002 fertiggestellte, einst öffentlich geförderte Siedlung mit 191 Wohnungen hat mehrfach den Besitzer gewechselt. Es gibt Streit um Mieterhöhungen. Das Amtsgericht Tiergarten hat die Forderungen des Vermieters abgewiesen. Bei den Berufungsverfahren vor dem Landgericht ist dann aber etwas Merkwürdiges passiert. Die rund 60 verklagten Mieter landeten vor zwei verschiedenen Berufungskammern.
In den meisten Fällen entschied die 67. Zivilkammer – und gab den Mietern ebenfalls recht. „Aber wir hatten Pech“, sagt Detlef Wagner. Weil sein Fall vor einem Wechsel der Geschäftsverteilung einging, war noch die 63. Kammer zuständig. Er muss nun rückwirkend zum 1. Juni 2012 die geforderten Mieterhöhungen zahlen.
Die Entscheidungen der 63. Zivilkammer werden seit geraumer Zeit kontrovers diskutiert. Bundesweite Aufmerksamkeit erlangte der Rechtsstreit um das Mietshaus Calvinstraße 21 in Moabit, wo einer Mieterin die Fenster von Küche und Bad zugemauert wurden. Aber auch die rege Vortragstätigkeit der Vorsitzenden Richterin Regine Paschke bei Vermieterverbänden sorgt für Argwohn. Am heutigen Freitag will die Kammer über geplante Modernisierungen in der Calvinstraße entscheiden. Das Verfahren findet auf Anordnung von Paschke unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt.
Auch beim Berliner Verfassungsgerichtshof nimm die 63. Zivilkammer eine gewisse Sonderstellung ein: Mindestens drei ihrer Urteile wurden im laufenden Jahr dort aufgehoben. Drei von nach Angaben des Gerichts insgesamt nur 15 erfolgreichen Verfassungsbeschwerden. Und erst am Mittwoch kassierte auch der Bundesgerichtshof eine Entscheidung der Mietberufungskammer: Über die Kündigung einer kranken Mieterin muss neu entschieden werden.
Grundrecht verletzt
In all diesen Fällen monieren die übergeordneten Instanzen, dass die Situation der Mieter nicht ausreichend gewürdigt wurde. Das Verfassungsgericht führt an, das Grundrecht auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Neben der unterschiedlichen Rechtsauslegung kritisiert der BGH zudem, dass ein medizinisches Gutachten „rechtsfehlerhaft nicht zur Kenntnis genommen“ wurde.
Zudem sorgt die Vorsitzende Richterin der Kammer, Regine Paschke, durch ihre intensive Vortragstätigkeit bei Vermieterverbänden für Aufsehen. Dies veranlasste Landgerichtspräsident Bernd Pickel erst Anfang der Woche zu dem ungewöhnlichen Schritt, in einem Pressegespräch zu erläutern, dass Paschkes Aktivitäten rechtlich nicht zu beanstanden seien und keinen Anlass gäben, ihre richterliche Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen. Aber er sagte auch: „Ob es klug ist, muss jeder selbst entscheiden.“
Regine Paschke hat sich entschieden: Unter dem Titel „Neueste Rechtsprechung und Praxishinweise für Verwalter von Mietwohnungen“ referierte sie erst am Mittwoch wieder für den Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) im Hotel Esplanade. Im Sommer war ein solches Seminar wegen protestierender Mieteraktivisten kurzfristig verlegt worden. Die Richterin selbst mag sich zu der um ihre Person entbrannten Debatte um die richterliche Unabhängigkeit nicht äußern.
Aber die BFW-Geschäftsführerin Hiltrud Sprungala nimmt sie in Schutz. „Wenn wir Referenten bräuchten, die die Winkelzüge im Mietrecht erläutern, könnten wir andere holen. Richterin Paschke ist eine unter Juristen hoch angesehene Person und bekannt für ihre ausgewogenen Entscheidungen.“