Plötzlich Stagnation: Die neue Erfahrung der erfolgsverwöhnten Zalando-Gründer

Erstmals seit Gründung des Online-Modekaufhauses vor 15 Jahren wird kein Wachstum verkündet. Aus Sicht der Chefetage ist dies nur eine Delle.  

Die Zalando-Gründer David Schneider und Robert Gentz
Die Zalando-Gründer David Schneider und Robert GentzZalando

Als Robert Gentz und David Schneider am Dienstagmorgen in Jeans, Pulli und Sneakern die Bilanz des von ihnen gegründeten Dax-Unternehmens Zalando für das Jahr 2022 präsentierten, waren sie nicht gerade in Feierlaune. Hatten die beiden Enddreißiger vor einem Jahr noch mit einem Umsatzwachstum von knapp 30 Prozent und rund zehn Millionen neuen Kunden prahlen können, mussten die erfolgsverwöhnten Vorzeige-Gründer Berlins bei der Beschreibung des vergangenen Geschäftsjahres einen Begriff gebrauchen, den sie bislang nur aus Berichten der Konkurrenz kannten: Stagnation.

Tatsächlich lag der Konzernumsatz des Unternehmens, das sich selbst als eine der führenden Onlineplattformen für Mode und Lifestyle in Europa bezeichnet, mit gut 10,3 Milliarden Euro „nur“ auf dem Niveau des Jahres 2021. Allerdings muss die Referenzgröße als Ausnahmejahr gelten. Denn seinerzeit hatte Zalando als Kaufhaus ohne Lockdown, Maskenpflicht und Abstandsregeln außerordentlich von Corona profitieren und die genannten Wachstumsraten einfahren können.

2022 wurde der Rückenwind jedoch zum Gegenwind, wie es in der Firmenzentrale an der Friedrichshainer East Side Gallery heißt. Steigende Inflation, höhere Lebenshaltungskosten und der Krieg in der Ukraine ließen in der gesamten Branche die Kauflaune sinken. Das spürte auch Zalando. Dort führte dies jedoch nicht zu einem massiven Umsatzeinbruch, sondern verhinderte lediglich weiteres Wachstum. Unter dem Strich waren die Umsätze auch 2022 höher als vor der Pandemie.

Zudem konnte Zalando knapp drei Millionen neue Kunden gewinnen. Ende des Jahres hatte das 2008 gegründete Unternehmen insgesamt 51 Millionen aktive Kunden in der Kartei. So viele wie nie zuvor. Zusammen klickten oder tippten sie im vorigen Jahr 261 Millionen Mal auf den Kauf-Button und orderten damit jeweils eine Klamottenlieferung im Wert von durchschnittlich 56,70 Euro – gut achtmal in jeder Sekunde.

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Christian Thiel/imago
Zalando ...
... wurde 2008 in einer Wohnung in der Torstraße in Mitte als Onlineshop für Schuhe nach Vorbild des US-Unternehmens Zappos gegründet. Das Startkapital kam seinerzeit von Rocket Internet. 2009 bescherte der TV-Spot „Schrei vor Glück“ Zalando einige Bekanntheit. 2010 wurde das Sortiment auf Bekleidung ausgeweitet. Den ersten Gewinn machte Zalando 2014. Ebenfalls 2014 ging das Unternehmen an die Börse. Seit September 2021 ist Zalando im Dax gelistet.

Dennoch hatte man bei Zalando mehr erwartet. Zwar blieb das Geschäft im Luxussegment relativ stabil, doch verschob sich die Nachfrage von mittleren zu den niedrigeren Preislagen. Das führte zu wachsenden Lagerbeständen, die wiederum nur mit Rabatten verkauft werden konnten. Auch das ließ den operativen Gewinn schrumpfen. Am Ende blieben 184,6 Millionen Euro nach 468,4 Millionen Euro im Vorjahr. Ein Minus von 60 Prozent. Die Marge fiel von 4,5 auf 1,8 Prozent.

Dabei hatte Zalando bereits im vorigen Sommer gegengesteuert und hierzulande ebenfalls einen Mindestbestellwert für versandfreie Lieferungen eingeführt. „Wir haben schnell und entschlossen gehandelt und unsere Margen verbessert“, erklärte Zalandos Finanzvorständin Sandra Dembeck am Dienstag. Erst vor zwei Wochen hatte das Unternehmen zudem angekündigt, von Marken und Händlern zukünftig eine Grundgebühr für die Nutzung der Zalando-Plattform zu verlangen. Auch die Provisionen sollen angehoben und Logistik-Dienstleistungen anderen Firmen zur Verfügung gestellt werden.

Maßgeschneidert nach Smartphone-Fotos

Darüber hinaus verspricht sich das Unternehmen von den Entwicklungen der hauseigenen IT-Ressorts Effizienzgewinne. So will Zalando noch in diesem Jahr als nach eigenen Angaben erstes Unternehmen der Bekleidungsbranche die Körper seiner Kundschaft vermessen. Lediglich zwei mit dem Smartphone geschossene Fotos sollen genügen, um eine personalisierte Größenempfehlungen zu erstellen. Die Hoffnung dahinter ist die Vermeidung teurer Retrouren, deren Anteil seit Jahren auf durchschnittlich 50 Prozent beziffert wird. Im nächsten Schritt könnten mit dieser Technologie Hersteller quasi maßgeschneiderte Kollektionen entwickeln, die garantiert passen, während gleichzeitig weniger Material verbraucht wird und weniger Abfall anfällt.

Den kürzlich verkündeten Abbau mehrerer Hundert Stellen sieht man in Zalandos Chefetage dagegen ausdrücklich als Maßnahme zur Strukturveränderung. Es gehe darum, das Unternehmen wieder flexibler und schneller zu machen, nicht darum, Personalkosten zu sparen.

Dabei hatte Zalando auch im vergangenen Jahr kräftig eingestellt. Der Personalbestand wuchs um 940 auf 16.999 Mitarbeiter. Während deren Jahresgehalt im Schnitt um 1,8 Prozent auf 49.300 Euro stieg, mussten die beiden Gründer Gentz und Schneider herbe Einkommensverluste hinnehmen und sich jeweils mit einer Vergütung  von 1,83 statt zuvor 2,96 Millionen Euro begnügen. Ihre Vorstandskolleginnen Sandra Dembeck (Finanzen) und Astrid Arndt (Personal) wurden dagegen besser bezahlt. Sie bekamen 2,33 beziehungsweise 2,09 Millionen Euro. Dafür gehören den Gründern immer noch fünf Prozent des Unternehmens, das an der Börse aktuell mit 10,1 Milliarden Euro bewertet wird.

Und dabei soll es aus Sicht der Zalando-Lenker nicht bleiben. „Wir bleiben zuversichtlich, dass wir mittelfristig zu einem zweistelligen Wachstum zurückkehren werden“, sagt Gentz. Langfristig soll Zalando ein Zehntel des europäischen Modemarktes bedienen. Der wird derzeit auf 450 Milliarden Euro taxiert.