Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther will weniger Autos in der Leipziger Straße
Berlin - Weniger Platz für Autos, mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und den Nahverkehr. Mit dieser Losung ist der rot-rot-grüne Senat vor zweieinhalb Jahren angetreten. Vielen Beobachtern nicht nur aus dem Grünen-Spektrum geht die versprochene Verkehrswende viel zu langsam voran, Forderungen nach einem Rücktritt der Senatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) wurden laut.
Doch jetzt präsentierte Günthers Verwaltung erste Pläne für ein Projekt, das eine radikale Umgestaltung eine der wichtigsten Hauptverkehrsstraßen in Berlin vorsieht. In jedem Fall müssten Autofahrer in der Leipziger Straße in Mitte auf Raum verzichten. Dafür erhielt Günther nicht nur Kritik, auch Beifall.
Viele Berliner fühlten sich von starkem Autoverkehr beeinträchtigt, sagte Günthers Staatssekretär Ingmar Streese, als er Bürgern die Pläne für die Straßenbahn vom Alexander- zum Potsdamer Platz vorstellte. Die 4,1 Kilometer lange Neubaustrecke, die 65 Millionen Euro kosten und 2027 fertig werden soll, sei „ein Stück Verkehrswende“, so der Grünen-Politiker. Ziel: mehr Lebensqualität.
Eine irre Idee, meint die FDP
„Die Furcht, dass Autos keinen Platz mehr haben werden, ist unbegründet. Aber es wird weniger Platz für Autos geben – weil weniger Autos durch die Straßen fahren werden.“ Eine Gruppe von Vorplanungsvarianten läuft darauf hinaus, dass es auf dem knapp 22 Meter schmalen Abschnitt zwischen Charlottenstraße und Leipziger Platz nur noch einen Fahrstreifen pro Richtung gibt.
Zudem sollen die Fahrspuren von Autos und Lastwagen gemeinsam genutzt werden. „Die Bahnen geben den Takt vor“, so Planer Holger Kölling-Orb. Ampelschaltungen sorgen dafür, dass die Bahn vorfährt und die Kraftfahrzeuge ihr im Pulk folgen. Die zweite Gruppe von Varianten belässt zwei Fahrstreifen pro Richtung – die aber sehr schmal werden. Der Platz wird benötigt für bis zu 2,85 Meter breite Radfahrstreifen und für breitere Fußwege.
Auch wenn viele Details noch zu erarbeiten sind: Das Projekt, die M4 nach Westen zu verlängern, hat das Zeug, Ausgangspunkt einer erneuten Debatte über die Verkehrspolitik zu werden. Wenn die Strecke wie vorgestellt gebaut wird, werde das den Autoverkehr auf dieser wichtigen Ost-West-Verbindung „massiv einschränken“, warnte Sandra Hass vom ADAC.
Lob und Kritik für Verkehrssenatorin Regine Günther
Auf dem schmalen Abschnitt seien täglich mehr als 50.000 Fahrzeuge unterwegs. „Schon jetzt stockt es regelmäßig, vor allem im Berufsverkehr. Kaum vorstellbar, wie es dort aussieht, wenn Autos nur noch auf einer Spur je Richtung unterwegs sein können, dann noch im Pulk hinter der Straßenbahn. Wir befürchten extreme Rückstaus weit über den genannten Abschnitt hinaus.“ Der ADAC bekräftigte eine Forderung aus den 1990er-Jahren, auf der Französischen Straße Gleise zu verlegen.
Doch es gab auch Lob. „Klimaschutz und SmartCity ist, wenn man Platz für den Radverkehr und die neue Straßenbahn macht und die Autos mit cleverer Ampelschaltung den Trams im Rudel folgen lässt. Bravo!“, kommentierte Heinrich Strößenreuther von der Agentur für clevere Städte.
„Gute Pläne: Vorrang für flächeneffiziente Verkehrsmittel“, so Denis Petri von Changing Cities. „Berlin braucht eine radikale Wende bei der Verkehrspolitik. Wenn es in der Leipziger Straße klappt, dann klappt es überall in Berlin“, twitterte Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB.
Henner Schmidt von der FDP hielt dagegen: „Die Idee, auf einer stark belasteten Straße eine Spur wegzunehmen und Tram und Autos gemeinsam auf eine verbleibende Spur zu zwingen, ist nicht radikal, die ist irre.“ Er hatte den Senat schon zuvor während der letzten Plenarsitzung im Abgeordnetenhaus vor der Sommerpause aufs Korn genommen.
Senat verschlafe es, Nahverkehr attraktiver zu machen
Schmidt sprach sich dafür aus, an den richtigen Stellen in die Infrastruktur zu investieren. Dass dies zu lange unterblieb, sehe man nun ganz deutlich auch an den Brücken – Schmidt nannte die Salvador-Allende-, Elsen-, Oberbaum- und Monumentenbrücke. „Wenn rechts und links die Brücken zusammenfallen, dann muss mehr getan werden. Der Senat muss schneller als geplant sanieren und erhalten.“
Eine ähnlich desaströse Bilanz zog Oliver Friederici von der CDU. „Seitdem diese Linkskoalition regiert, wurde nicht ein weiterer Straßenbahnkilometer eröffnet, es gibt keine weitere Buslinie, es mangelt an Busfahrern“, sagte er. Der Senat verschlafe es, den Nahverkehr attraktiver zu machen. Es gebe weder neue Park-and-Ride-Plätze noch eine gemeinsame Planung mit Brandenburg. Friederici nannte das Ergebnis eine „rot-rot-grüne Chaosbilanz“.
Er forderte ein strategisches Programm für tausend neue Busse und ebenso viele Fahrzeuge mehr bei der U-Bahn, der Straßenbahn und der S-Bahn.
Er sagte voraus, dass die rot-rot-grüne Regierung ohnehin 2021 ende. „Das werden dann fünf verlorene Jahre gewesen sein“, so Friederici. Berlin wolle mehr als „ein linkes Biotop und die kleine DDR“ sein.
Allein für Brückensanierung seien 64 Millionen Euro vorgesehen
Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) nannte die Forderungen der Opposition „völlig unfinanzierbar“. Seit 2014 würden die Finanzmittel für Investitionen erhöht. „Und sie werden weiter steigen“, sagt Kollatz. Allein für die Brückensanierung seien im Doppelhaushalt 2020/2021 64 Millionen Euro vorgesehen.
Den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und die Investition in neue Entwicklungen betreibe der Senat „mit Entschlossenheit“. Der CDU-Redebeitrag sei „schlecht gelaunt und leicht cholerisch“.