Betonkrebs und Risse: In Berlin muss die nächste Brücke abgerissen werden
Die Marggraffbrücke in Baumschulenweg ist nicht mal 60 Jahre alt, doch sie kann nicht stehenbleiben. Auf einer wichtigen Straße wird der Verkehr eingeschränkt.

Die Diagnose ist schlecht. Die Marggraffbrücke in Baumschulenweg, Teil einer der wichtigsten Straßenverbindungen im Südosten Berlins, leidet unter Betonkrebs und Korrosion. Wie andere Spannbetonbauwerke muss sie abgerissen und neu gebaut werden. Inzwischen haben die Vorbereitungen für das 23-Millionen-Euro-Projekt begonnen. Autofahrer, die von Adlershof und Schöneweide ins Stadtzentrum wollen, müssen sich auf Einschränkungen einrichten. Wie sehen sie aus? Und was passiert gerade? Rolf Dietrich, Leiter des Wasserstraßen-Neubauamtes (WNA) Berlin, informiert über das nächste große Berliner Brückenbauprojekt– das kaum einer kennt.
Ist da eine Rakete gelandet? Wozu ist der lange schmale Zylinder da, der auf der Westseite der Marggraffbrücke am Rand der Köpenicker Landstraße lagert? Etwas fremdartig wirkt es schon, das weiß gestrichene Rohr. Rolf Dietrich weiß natürlich, worum es sich handelt: um einen Teil der neuen Fernwärmeleitung, die den Britzer Verbindungskanal überbrücken wird. „Voraussichtlich im März wird der Überbau auf die neuen Widerlager gehoben, die neben der Marggraffbrücke entstanden sind“, erklärt der Amtsleiter. Dann wird die alte Leitung, die derzeit unter der Brücke verläuft, entfernt.
„Aktuell befinden wir uns in der Bauphase 0“, berichtet der Ingenieur. Leitungen werden umverlegt, damit sie nicht stören und die Versorgung weitergehen kann. Doch die nächste Phase des Bundesprojekts wird schon vorbereitet.
Statt drei Fahrstreifen pro Richtung gibt es nur noch zwei
„Der östliche Überbau der Marggraffbrücke wird so umgebaut, dass jeweils zwei stadtein- und stadtauswärts führende Fahrstreifen über diesen Überbau geführt werden können“, so Dietrich. Anders formuliert: Damit die westliche Brückenhälfte abgerissen werden kann, wird der motorisierte Verkehr in beiden Richtungen vorübergehend auf der östlichen Hälfte konzentriert. Das bedeutet: Auf der Marggraffbrücke, die täglich im Schnitt von 30.000 bis 40.000 Fahrzeugen genutzt wird, ist weniger Platz für Autos, Lastwagen, Busse und Motorräder. Statt drei Fahrstreifen pro Richtung gibt es bis 2026 nur noch zwei. Dabei hat die Bundesstraße 96a, zu der die Brücke gehört, bereits ein Nadelöhr: Die Elsenbrücke nach Friedrichshain wird bis 2028 ebenfalls neu errichtet.
„Erst wird der östliche, dann der westliche Überbau errichtet“, sagt Rolf Dietrich. Für Fußgänger und Radfahrer entsteht eine Behelfsbrücke. Die neue Brücke wird wie die alte aus zwei getrennten Hälften bestehen, und sie wird genauso breit sein, sodass wieder Platz für drei Fahrstreifen ist. Auch der Namensgeber bleibt: Carl Arnold Marggraff (1834 bis 1915) hat als Stadtrat in Berlin den Bau der Kanalisation vorangetrieben.

„Das angestrebte Bauende ist Ende 2026“, so der Amtsleiter. Vielleicht geht es ja etwas schneller. „Ich freue mich, dass wir mit der Berger Bau einen Auftragnehmer beauftragen konnten, der seine Kompetenz und Zuverlässigkeit gerade erst bei dem vorfristig fertiggestellten Ersatzneubau der Rammrathbrücke in Teltow unter Beweis gestellt hat“, sagt Caroline Heine, Sachbereichsleiterin im WNA Berlin. Diese Brücke konnte drei Monate früher als angekündigt dem Verkehr übergeben werden, wegen guter Organisation der Baustelle, wie Rolf Dietrich lobt.
Vor einem Jahr hatte es Ärger gegeben. Thema war die Straßenbahn, die bis 1973 über die Brücke gefahren war und deren Trasse in diesem Bereich wiederaufgebaut werden soll. Der Berliner Nahverkehrsplan sieht vor, den Potsdamer Platz und Schöneweide von 2035 an mit einer Tramstrecke zu verbinden. Das Planwerk wurde 2019 verabschiedet, erste Ideen für die Verbindung gab es seit 2016. Doch weil das Wasserstraßen-Neubauamt bereits 2015 mit der Brückenplanung begonnen hatte, blieben diese außen vor – was der Berliner Fahrgastverband IGEB heftig kritisierte.
Auch die neue Brücke ist stabil genug für die Straßenbahn
Im Februar 2022 wurde Entwarnung gegeben. Wenn die Schienenstrecke gebaut wird, soll der Straßenraum neu geordnet werden. Der jeweils dritte Fahrstreifen für den Kraftfahrzeugverkehr fällt dann weg, dort werden Gleise verlegt. „Was die Geometrie und die Leistungsfähigkeit anbelangt, passt das“, sagt Rolf Dietrich. Das Gewicht einer Straßenbahn sei mit dem eines Lastzugs vergleichbar. So gesehen war die Brücke von Anfang an für das zusätzliche Verkehrsmittel ausgelegt.
Inzwischen spreche der Senat wieder mit der Bundesbehörde – diesmal darüber, ob der Platz auf der neuen Marggraffbrücke auch für breitere Radverkehrsanlagen reichen würde, wie der Amtsleiter berichtet. Änderungen können aber dazu führen, dass sich die jeweilige Kommune an der Finanzierung beteiligen muss. Die Kostenverteilung ist auch Thema beim geplanten Neubau der Knesebeckbrücke, die den Teltower Damm über den Teltowkanal führt. Berlin wünscht breite Radwege, die Stadt Teltow möchte dafür kein Geld ausgeben. Gesprochen wird außerdem über die Bäkebrücke, die Lichterfelde und Lankwitz verbindet und ebenfalls neu errichtet wird. Weil der Senat sich auch dort für die fernere Zukunft eine Straßenbahnstrecke wünscht, sind Finanzierungsfragen zu klären.
Eins ist klar: Wie bei der Elsenbrücke und künftig bei der Mühlendamm- und der Gertraudenbrücke führt kein Weg am Abriss vorbei. Die Marggraffbrücke, die von 1963 bis 1965 entstand und ein Bauwerk von 1930 ersetzte, wird ihre Aufgabe nicht mehr lange erfüllen können. Bei Bauwerksprüfungen wurden Risse und Schäden an den Betonwiderlagern festgestellt. Der Unterbau ist massiv geschädigt. Eine Alkali-Kieselsäure-Reaktion, auch als Betonkrebs bekannt, lässt den Beton bröseln. Weitere chemische Reaktionen haben einen ähnlichen Effekt – Ettringittreiben nennen das die Fachleute. Spannungsrisskorrosion schädigt die Spannstähle, die im Innern der Brücke für Stabilität sorgen. Kein Zweifel: Die Marggraffbrücke muss weg, nur 58 Jahre nach der Freigabe.