Betrunkener überfährt drei Obdachlose: Refail A. akzeptiert nun doch milde Strafe
Im Juli 2020 raste der Angeklagte in Berlin auf einen Gehweg – mit fatalen Folgen. Wie es den Opfern heute geht und warum Refail A. seine Berufung zurückzog.

Marcus B. wartet an diesem Mittwoch vor dem Saal 606 des Kriminalgerichts. Er sitzt im Rollstuhl. Vor acht Jahren hat er bei einem Bahnunfall sein linkes Bein verloren. Er erzählt, dass er eine Prothese bekommen hätte. Doch diese Hoffnung sei am Morgen des 26. Juli 2020 gestorben.
An jenem Sonntag schlief er auf dem Gehweg des Hardenbergplatzes in Charlottenburg, als ein schwerer Mercedes-SUV ihn und zwei weitere Obdachlose erfasste. Der Geländewagen war mit hoher Geschwindigkeit von der Straße abgekommen, zunächst gegen einen Schildermast geprallt, dann mit einem Mülleimer kollidiert, bevor er die drei schlafenden Männer überrollte und lebensgefährlich verletzte.
Marcus B. hat ein Video auf seinem Handy, das er zeigt. Zu sehen sind darauf der Platz nach dem Crash, die Polizeiabsperrung, die Krankenwagen, ein Verletzter auf einer Trage. „Das bin ich“, sagt Marcus B. Ihm sei damals das noch gesunde Bein zertrümmert, die Hüfte beidseitig gebrochen worden. Eine Prothese könne er nun nicht mehr tragen, erzählt der 47-Jährige.
Refail A. im ersten Verfahren zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt
Marcus B. ist an diesem Tag ins Gericht gekommen, um sein Recht wahrzunehmen. Er will in dem zweiten Verfahren, dem Berufungsprozess, gegen den Fahrer des Geländewagens als Nebenkläger auftreten.
In einem ersten Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten war Refail A. im Juli vorigen Jahres wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässiger Körperverletzung sowie Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Und das, obwohl er alkoholisiert gefahren und in einer Kurve viel zu schnell unterwegs gewesen war. Doch offenbar fand Refail A. die Strafe zu hoch. Deswegen legte er gegen das Urteil Berufung ein.

Insgesamt fünf Verhandlungstage plante die 27. Strafkammer für das nun vorgesehene Verfahren, in dem diesmal auch Marcus B. als Nebenkläger vertreten sein sollte. Doch dann kommt alles ganz anders. Hinter verschlossenen Türen wird unter den Prozessbeteiligten verhandelt. Und offenbar macht der Vorsitzende Richter dem Angeklagten klar, dass eine Berufung ohne große Erfolgsaussichten sei: Der 26-Jährige zieht seine Berufung zurück.
Damit kommt es nicht mehr zu dem zweiten Prozess, wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten rechtskräftig. Neben der Bewährungsstrafe muss der bisher nicht vorbestrafte Refail A. somit auch 3600 Euro an Robert T. zahlen, den damals am schwersten verletzten obdachlosen Mann. Zudem wurde A. dazu verurteilt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Und der Führerschein wird für zwei Jahre gesperrt.
36-Jähriger verlor linken Unterschenkel
Der Richter am Amtsgericht hatte festgestellt, dass Refail A. aus völlig belanglosem Anlass mit dem Geländewagen unterwegs gewesen sei. Demnach hatte sich der Angeklagte am Morgen des Tattages nach einem Streit mit seiner damaligen Freundin voller Wut und alkoholisiert ans Steuer des Fahrzeugs gesetzt, das nicht ihm gehörte. Viel zu schnell sei er in der Kurve an der Joachimsthaler Straße Ecke Hardenbergstraße unterwegs gewesen, habe die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und die Obdachlosen am Hardenbergplatz überrollt. Drei weitere Personen konnten sich in Sicherheit bringen, sie wurden leicht verletzt. Teilweise hatte Refail A. die Vorwürfe eingeräumt und sein Bedauern geäußert.
Robert T. wurde unter dem Fahrzeug eingeklemmt, ihm wurde dabei das linke Bein derart schwer zerschmettert, dass der Unterschenkel nicht zu retten war und amputiert wurde. Sieben Mal in zwei Wochen wurde der 36-Jährige operiert. Auch Robert T. ist in dem Verfahren Nebenkläger. „Er ist unverändert pflegebedürftig, lebt aber heute in einer Wohnung“, sagt sein Anwalt Olaf Sydow am Mittwoch. Noch sei unklar, ob auch das rechte Bein abgenommen werden müsse. Bis heute leide sein Mandant unter Schmerzen. Aus der Haftpflichtversicherung des Autohalters habe Robert T. bisher 75.000 Euro erhalten.
Sydow zählt die Verletzungen auf, die Robert T. damals erlitten hat: Rippen, Brustkorb und Schlüsselbein wurden gebrochen, es gab offene Brüche der Beine und schwere Kopfverletzungen, auch Milz und Leber wurden verletzt. Es grenze an ein Wunder, dass sein Mandant überlebt habe, sagt der Anwalt. Dass Refail A. Berufung eingelegt hatte, kann er nicht nachvollziehen. „Das Urteil von vor eineinhalb Jahren war doch ein Geschenk“, sagt er.
Marcus B. fährt unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Er sagt, er lebe seit dem Unglück nicht mehr auf der Straße, sondern sei in einer guten therapeutischen Wohneinrichtung untergekommen. Noch immer habe er Schmerzen. Auf den Rollstuhl werde er wohl für immer angewiesen sein.