50.000 Euro für eine Jagdwaffe? Dieser Mann aus Suhl baut mit Gold verzierte Gewehre
Suhl steht für Sushi, die Schwalbe - und immer schon für Waffen. Zu Besuch bei einem Büchsenmacher, der einzigartige Jagdgewehre baut. Und ein kleiner Alfred Nobel werden will.

Singen sie doch einfach mit: „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, „Alle meine Entchen“, „Ein Männlein steht im Walde“. Und natürlich der internationale Weihnachtswelthit: „O Tannenbaum“. So, und an was denken Sie jetzt? Jede Wette: Nicht an die Stadt Suhl.
Weil Suhl, würde man eine Assoziationskette von Ost nach West knüpfen, für andere Dinge steht. Cineasten fällt Sushi ein, Schraubern kultige Mopeds mit Vogelnamen und Jägern allerlei Schießgewehre, die nicht nur einem Fuchs gefährlich werden könnten, sollte er die Gans nicht wieder hergeben. Aber Volkslieder und Kinderreime? Ehrlich, wer kennt schon den in Suhl geborenen Organisten und Komponisten Ernst Anschütz?
Das und noch sehr viel mehr erfährt man, wenn man Jutta Rapp trifft und sich von ihr durch die Stadt führen lässt, durch fünf Jahrhunderte Suhler Stadtgeschichte. Es ist eine Zeitreise zu den Hennebergischen Grafen, sächsischen Herzögen und auf die Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges. Suhl galt mal als „Rüstkammer Europas“ und belieferte – Freund, Feind, egal – noch jedes Heer mit Luntenschlossgewehren.
Es war ja alles da: das bei 800 Grad zart schmelzende Roteisenerz im Boden, das Holz in den umliegenden Wäldern, die Wasserkraft aus den Flüssen, die schwere Schmiedehämmer in Gang setzte. Aus Suhl kamen später das Gewehr 98 für das preußische Heer und die Maschinenpistole MP 40 für die Wehrmacht. Bis heute werden noch einige Kriegswaffen hergestellt.
Weiter geht es zu den Brüdern Löb und Moses Simson, die 1856 eine Waffenfabrik in Suhl gründen. Ab 1964 begann im VEB Ernst-Thälmann-Werk die Produktion der legendären Schwalbe KR 51, alle zwei Minuten rollte die „Vespa der DDR“ vom Band. In der sogenannten Vogelserie folgten Spatzen, Starre, Sperber und Habichte.
Merken Sie sich schon mal vor: das Simson-Treffen im Juli, wenn das Herz von Suhl im Zweitakt schlägt. Und falls Sie schon früher nach Südthüringen fahren wollen: Ende April steht die Schwarzbiernacht im Eventkalender. Zur Festeröffnung können Sie sich dann ein halbe Tüte Erdnusschips in Ihren zuckersüßen Mund stecken und versuchen, „Kling Klang“ live mit Keimzeit zu singen.
Natürlich führt Jutta Rapp auch vor das 1993 geschlossene Restaurant von Rolf Anschütz, dessen Geschichte der Film „Sushi in Suhl“ erzählt, mit dem größten anzunehmenden Ostalgiker Uwe Steimle in der Hauptrolle. Zur Erinnerung: Sushi gab es eine Zeitlang nur an drei Orten außerhalb Japans. In Brüssel, Paris und eben in der Suhler „Waffenschmiede“ made in GDR.
Das Pagodendach über der Eingangstür ist noch da, „ehemaliges Japanrestaurant“ steht auf einer kleinen Tafel an der Hausfassade. Doch wo man früher – ohne Kontakte zur Handelsorganisation – zwei Jahre auf einen Tisch, den Pflaumenwein und ein die Seele reinigendes Nacktbad warten musste, gibt es heute, bei „Naturkost Merz“, Dinkelmehl und Tomatensauce für Kinder im Monatsangebot. Tipp: Reservieren Sie heute auch ohne HO-Kontakte einen Tisch im Gastmahl des Meeres. Von den einst 33 DDR-Fischrestaurants sind nur noch fünf übrig.
DDR-Bezirkshauptstädte: Hier geht es zur interaktiven Karte!
Es ist ein Montagnachmittag in Suhl, die Wolken hängen tief zwischen Döllberg und Domberg, gleich dahinter beginnt der von Borkenkäfern gepeinigte Thüringer Wald. Millionen Bäume sind tot. Viele Käfer haben den Winter überlebt. Förster befürchten das Schlimmste.
Haben Sie noch das AKA electic RG28 in der Küche?
Jutta Rapp, 70, hat mal Wirtschaft studiert und danach ein Leben quer durch die Arbeitswelt geführt. Heute bietet sie thematische Stadtführungen an. In Suhl und um Suhl herum. Sie ist die begeisternde Geschichtslehrerin, die ich niemals hatte. Immer wieder fällt ihr hier was ein, dort was auf, muss sie kurz den Bürgermeister oder den Leiter des Waffenmuseums grüßen, dann zieht sie neue Kärtchen aus einem Umschlag. Darauf historische Bilder von Gebäuden und Plätzen, die sie mit der Gegenwart abgleicht. Tendenz: Früher war so einiges besser.
Jutta Rapp benutzt noch heute das AKA electic RG28, ein Handrührgerät, das man selbst im Westen für seine quirlige Vielseitigkeit schätzte. Das Kombinat VEB Elektrogerätewerk Suhl produzierte auch den schicken Handstaubsauger HSS 09, mit dem sich die katzenhaarigsten Polstermöbel reinigen ließen. Einfache Gleichung damals: Haushaltsgeräte + Mopeds + Waffen = Arbeitsplätze. Jutta Rapp sagt stolz: „Suhl war ein wirtschaftlicher Riese.“ Und schiebt wehmütig hinterher: „Aber ein politischer Zwerg.“

Jedenfalls war keine DDR-Bezirkshauptstadt kleiner. Und keine hat die Wende so hart getroffen. Hier gilt: Treuhand = Abwicklung + Arbeitslosigkeit + Abwanderung. Potenziert mit dem nicht nur in Suhl unauslöschbaren Gefühl, verarscht worden zu sein. Von 56.000 Einwohnern sind heute nur noch 36.000 übrig und das trotz mehrerer Eingemeindungen.
Das ab 1978 hochgezogene Plattenbaugebiet Suhl-Nord, in dem 15.000 Menschen lebten, wird seit 2001 zurückgebaut. Ein CO2-neutraler Stadtteil für Gewerbe und Forschung soll hier entstehen. Die Ansiedlung läuft schleppend. Am ehesten ziehen noch Leute aus Bayern und Hessen in die Stadt. Mit ihren Westrenten können sie sich die Altersheime hier leisten.
Mehr Hörgeräte im Ohr als Piercings in der Nase
Suhl trägt auch deswegen einen Titel, der wie ein Wanderpokal herumgereicht wird im Osten, mal in Hoyerswerda Station machte, mal in Chemnitz. Jetzt ist eben Suhl die älteste Stadt Deutschlands. Durchschnittsalter 51, bundesweit sind es 44,6 Jahre. Seit 2000 stieg der Anteil der Über-65-Jährigen von 15 auf 33 Prozent. Nirgendwo in Deutschland verläuft die Vergreisung der Bevölkerung so schnell. Und das lässt sich auch in der Innenstadt beobachten, wo Menschen eher Hörgeräte im Ohr als Piercings in der Nase tragen.
Die Stadt reagiert darauf und veranstaltet regelmäßig ein Seniorenkino, Seniorentanzabende, seniorengerechte Verkehrsteilnehmerschulungen, der Verein „Senioren helfen Senioren“ hält, was er verspricht. Einer ZDF-Deutschlandstudie zufolge bietet Suhl die zweitbesten Lebensbedingungen für Senioren in Deutschland. Auf Platz Nummer eins: das Rentnerparadies Jena.
Wo Jagdgewehre wie Maßanzüge angefertigt werden
Jutta Rapp führt jetzt raus aus der Innenstadt, wir wollen den Büchsenmacher Horst Knopf in seiner Werkstatt treffen. Weil er wie kein zweiter für die Suhler Tradition steht. Und weil beim ihm vielleicht die Antwort zu finden ist auf die Frage: Wie bekommt man junge Leute nach Suhl?
Vorhin, beim Vorgespräch und trotz einer großen Fanta auf Verlagskosten, sperrte er sich noch gegen einen Besuch. Seine Bedingung dann doch: keine Fotos, denn die könnten im Internet landen und seine Berufsgeheimnisse verraten. Horst Knopf, 81, sagte: „Es ist eine kleine ungeschmackvolle Werkstatt, aber darin wird Weltklasse gemacht.“ Seine Weltklasse besteht darin, Jagdgewehre wie Maßanzüge anzufertigen. Nach zwei bis drei Jahren Handarbeit können diese Zehntausende Euro kosten. Manche noch mehr.

Wir stehen vor einem mit Schiefer verkleideten Haus, die Holztür sieht aus, als wäre sie seit vielen Jahren nicht mehr geöffnet worden. Auf einem angenagelten Pappschild der Hinweis: „Bin zu Hause.“ Darunter ein Pfeil nach rechts. Ein enges Gässchen führt in den Innenhof: Betonsteine, Holzscheite, Schaufeln, vor der Werkstatt eine graue Mülltonne. „Horst“, ruft Jutta Rapp, „bist du da?“
Horst Knopf, geboren 1942 in Suhl, wollte eigentlich kein Büchsenmacher werden. Nicht wie sein Großvater, Vater und Onkel, wie so viele, die davor und danach bei den Waffendynastien Haenel, Merkel, Sauer, Simson oder Spangenberg in die Lehre gingen. Er liebt den Wald, er wäre gern Förster geworden. Und wenn er könnte, würde er jeden Borkenkäfer einzeln aus Thüringen vertreiben.
1956 begann Knopf seine Ausbildung als Systemmacher, er musste. Dazu sollte man wissen: Ein Jagdgewehr, grob vereinfacht, besteht aus einem Lauf, einem Schaft und dazwischen liegt das sogenannte System mit dem Abzugsmechanismus, eventuell dem aufgebockten Zielfernrohr. Die Arbeit des Systemmachers ist die wichtigste. Und so kann man sie sich vorstellen: feilen, messen, passen, wieder feilen, wieder messen …

Horst Knopf, wacher Blick, die schlohweißen Haare akkurat nach hinten gekämmt, ist da und schiebt gleich die Mülltonne zur Seite, öffnet einen fensterlosen Verschlag, in dem früher fünf Ziegen und zwei Schweine lebten. Heute riecht es süßlich nach Öl und Holz und Eisen. Knopf sagt: „Das ist meine Werkstatt. Die meiste Zeit verbringe ich hier.“ Es ist ein für alle außer einem undurchsichtiges Chaos. Wohlwollend: ein nachlässig kuratierter Ausstellungsraum. Da sind Feilen, Zangen, Hämmer und Durchschläger, eine Fräsmaschine, ein hundertjähriger Schraubstock, Plastikboxen mit Einzelteilen, Rohlinge, Rohre, Halbfertiges, an der Wand ein Kalender von 1990 und irgendwo dazwischen ein vergilbter Zeitungstext: „Büchsenmacher ohne Zukunftsangst“. Daneben ein Foto von Horst Knopf, etwa zwanzig Jahre jünger.
1977, als Mitglied der Handwerksgenossenschaft und ohne VEB-Anbindung, machte sich Horst Knopf selbstständig. Zusammen mit den besten Rohrmachern und Schäfern und Graveuren der Gegend hat er seitdem genau 500 Jagdgewehre angefertigt. Darunter eine Doppelflinte mit Seitenschloss, der Schaft aus türkischem Nussbaumholz, das System mit Blumenornamenten und Goldeinlagen verziert, alles im Wert von etwa 50.000 Euro. „Ein Jagdgewehr aus der zweiten Reihe“, sagt Knopf. „Die erste zeige ich ihnen nicht.“ Da kommen noch Edelsteine dazu oder was sich jagende Scheichs oder reiche Russen so wünschen. „Man kann Waffen ins Unendliche teuer machen“, sagt Knopf. Der Markt sei da, er selbst sei bis 2030 ausgebucht.

Auf den Suhler Lautenberg befindet sich die in Deutschland einzigartige Berufsfachschule für Büchsenmacher und Graveure. Seit 1982 ist Knopf Vorsitzender des Gesellenprüfungsausschusses und Mitglied im Ausschuss für die Meisterprüfung. Er gibt sein Wissen weiter. Er ist einer der Letzten, der das noch kann. Der Unikate anfertigt und nicht auf Masse produziert. Der das Handwerk am Leben hält und nicht kaputtmacht. So sieht er das. Aber er ist unzufrieden mit den jungen Leuten: „Da ist zu viel Bequemlichkeit in unserem Land, es fehlt der Esprit, die richtige Arbeitseinstellung.“
Horst Knopf, der immer nur für seine Arbeit lebte, keine Kinder hat, versteht einfach nicht, warum jeder vierte die Büchsenmacherausbildung abbricht.
Spenden Sie für den Thüringer Wald!
Wer 81 Jahre alt ist, der macht sich so seine Gedanken, und Knopf hat diese Angst: „Wenn ich die Tür zuschließe, ist es vorbei mit dem Büchsenmacherhandwerk.“ Also hat er einen Plan gefasst: „Ich werde eine Stiftung ins Leben rufe, mit all dem, was von mir übrig geblieben ist. Alfred Nobel im Kleinen.“ Wenn er tot ist, soll das Handwerk weiter leben, mit seinem Geld. Horst Eisenherz. Das ist sein Vermächtnis.
Und das ist mein Vorschlag: Wenn Sie dann also demnächst in Suhl sind, buchen Sie eine Stadtführung bei Jutta Rapp, um zu erfahren, wie hier fast die Jeans erfunden worden wäre. Danach können Sie für den Thüringer Wald spenden. Und sollten Sie jemanden kennen, der jung und handwerklich begabt ist und, nun ja, eine Flinte niemals ins Korn werfen würde, fragen sie nach Horst Knopf. Er ist zu Hause.