IHK-Vize an neue Koalition: So können wir Berlin auch zur Bildungshauptstadt machen
Ein Plädoyer für eine neue Kooperationskultur in der Berliner Bildungspolitik, vor allem bei den Kitas, bei der Berufsorientierung und auf dem Ausbildungsmarkt.

An den Wechsel in der Bildungsverwaltung sind viele Hoffnungen geknüpft – auch die der Berliner Wirtschaft. Die Probleme in der Berliner Bildung sind allesamt bekannt.
Der Status quo – sei es in der Kita, bei der Schulqualität oder beim Übergang in den Beruf – ist unbefriedigend bis dramatisch. So kann und darf es nicht weitergehen. Das ist Berlin zuallererst den Kindern und Jugendlichen schuldig. Gute Bildungsqualität ist das Fundament für Bildungsgerechtigkeit und gelingende Teilhabe! Ein Wandel ist aber auch zwingend notwendig, damit Berlin als Standort attraktiv bleibt: für die Berlinerinnen und Berliner, für Unternehmen, für Fachkräfte mit ihren Familien aus dem In- und Ausland.
Dass CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag einen klaren Fokus auf das Thema Bildung gelegt haben, ist also auf jeden Fall gut und lässt hoffen. Jetzt heißt es: Umsetzen! Mein erster Umsetzungswunsch ist ein Mentalitätswechsel: Die Berliner Bildung braucht eine neue Kooperationskultur! Niemandem, und am allerwenigsten unserem Nachwuchs, ist mit Wagenburg-Mentalität und Silo-Denken geholfen. Die Berliner Bildungslandschaft mit ihren zahlreichen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren bietet so viele Potenziale, die endlich ausgeschöpft werden müssen. Wenn Verwaltung und außerschulische Partner und Akteure gemeinsam, ergebnisorientiert und auf Augenhöhe an Lösungen arbeiten, haben wir die Chance, Berlin auch zur Bildungshauptstadt zu machen.
In der Bildungs- und Ed-Tech-Branche ist Berlin jetzt schon bundesweit führend: Mit Cornelsen, Bettermarks, Teach First und vielen anderen erfolgreichen privatwirtschaftlichen und sozialwirtschaftlichen Unternehmen, Vereinen und Stiftungen ist Berlin schon jetzt Treiber vieler Entwicklungen in der deutschen Bildungslandschaft. Davon können und sollten auch die Berliner Schulen profitieren. Eine offene Bildungsverwaltung ermöglicht eine bessere Kooperation mit Akteuren in der frühkindlichen Bildung, in den Schulen, der Sozialwirtschaft, den Stiftungen sowie Verbänden und der Wirtschaft. Ein ganzheitlicher Blick auf die Herausforderungen generiert neue Lösungen, von denen wiederum die Kinder und Jugendlichen in der gesamten Bildungskette profitieren.
Kooperation und Vernetzung stärken jede einzelne Schule, die sich für die Nachbarschaft und die Unternehmen im Kiez öffnet. Auch für die Senatsbildungsverwaltung lohnen sich eine Öffnung und Kooperationen mit den staatlichen und privaten Bildungsakteuren sowie den Unternehmen dieser Stadt. Viele Akteure können und wollen einen Beitrag leisten zum Kitaausbau, zur Integration der Kinder aus der Ukraine, unterstützen bei der Sprachförderung, praxisorientierte Angebote in der Berufsorientierung machen oder an Lösungen gegen den enormen Lehrerkräftemangel mitwirken. Die Bandbreite der Akteure im Berliner Bildungsökosystem ist der größte Hebel, um sowohl pragmatisch und schnell gemeinsam Lösungen umzusetzen als auch mutig über nötige Strukturreformen nachzudenken, die Berlin ebenso dringend braucht.
Das Ziel muss mehr Bildungsgerechtigkeit sein
Erstes Feld für eine neue Kooperationskultur kann das Kita-Chancenjahr sein. Das geplante Pflichtjahr für Kinder mit Sprachdefiziten ist ein ambitioniertes Vorhaben. Es wird in der Praxis nur wirksam funktionieren, wenn sich alle Beteiligten, also freie und staatliche Kitaträger, Verbände, Vertreter von Initiativen und Projekten sowie aus der Wissenschaft, an einen Tisch setzen und gemeinsam die Umsetzung planen und verabreden. Und alle Akteure muss das übergeordnete Ziel einen, mehr Bildungsgerechtigkeit von Anfang an zu schaffen, damit Kinder nicht schon am ersten Schultag den Anschluss verloren haben.
Zweites Feld sollte die Berufsorientierung sein: Wenn Politik sich zur multiprofessionellen Teamarbeit in Schulen bekennt und die sozialräumliche Öffnung der Schulen stärken will, dann ist es nur richtig, dass sich auch die oberste Behörde für Bildung selbst für die Mitwirkung von außen öffnet. Der Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler muss dabei im Mittelpunkt stehen. Dieser entscheidet darüber, ob der Einstieg in Ausbildung oder Studium gelingt. Es gibt zahlreiche Punkte für die Zusammenarbeit. Ausbildungsbotschafter könnten bis Ende der Legislatur an allen Berliner Schulen im Einsatz sein. Schülerinnen und Schülern können wir schon in diesem Sommer das Angebot machen, fünf Berufe und fünf Betriebe in nur fünf Tagen kennenzulernen und somit wertvolle Praxiserfahrungen zu sammeln. Private und staatliche Schulen können voneinander profitieren.
Drittes Feld für eine neue Kooperationskultur ist der Ausbildungsmarkt. Richtigerweise setzt die neue Koalition auf eine verbesserte Datenweitergabe. Das heißt: Die Jugendberufsagentur würde endlich in die Lage versetzt, aktiv auf Jugendliche in ihrem Umfeld zugehen zu können. Bislang müssen sich die Beraterinnen und Berater darauf verlassen, dass Jugendliche ohne berufliche Pläne den Weg in die Agentur finden. Angesichts Tausender Jugendlicher, die Jahr für Jahr nach dem Schulabschluss keine berufliche Teilhabe finden, weil es keinen Datenaustausch gibt, ist diese Maßnahme ebenso notwendig wie überfällig.
Nicht zuletzt ist eine neue Kooperationskultur auch beim Thema Gewinnung von Nachwuchskräften wünschenswert. Statt mit der angekündigten Ausbildungsumlage eine Drohkulisse aufzubauen, die bei Licht betrachtet viel Bürokratie und eine Umverteilung von Geld von kleinen und mittelständischen Unternehmen hin zu Großkonzernen bedeuten würde, sollten wir über die Beiträge aller für einen positiven Ausbildungsmarkt reden und verbindliche Vereinbarungen treffen, statt uns im Klein-Klein einzelner Projekte aufzuhalten. Alles, was es braucht, sind Transparenz, Kooperationsbereitschaft und ein Vertrauensvorschuss – bei allen Partnern der Ausbildung.
Der Wille zu mehr Abstimmung ist vorhanden in der Koalition
Auch die Wirtschaft leistet ihren Beitrag: Wir beteiligen uns an der bundesweiten Ausbildungskampagne, investieren in Berlin rund drei Millionen Euro, um Ausbildung attraktiver zu machen, wir schicken Ausbildungsbotschafter in Schulen, sind Teil der modernen Berufsorientierungswelt im Berliner Talente-Check, haben eine Suchmaschine speziell für alle Ausbildungsplätze in und um Berlin implementiert und unterstützen und beraten im Rahmen unserer Ausbildungsoffensive Unternehmen zur (Wieder-)Aufnahme der Ausbildungsaktivitäten.
Ich bin vorsichtig optimistisch, dass es was werden könnte mit einer neuen Kultur des Zusammenwirkens. Der Prüfauftrag für die Einrichtung eines Landesinstituts für berufliche Bildung zeigt, dass der Wille zu mehr Abstimmung und Kooperation in der neuen Koalition vorhanden ist. Wenn berufliche Bildung zentral unter einem Dach gemeinsam von Staat, Wirtschafts- und Sozialpartnern gesteuert wird, stehen die Chancen gut für eine Aufwertung der beruflichen Bildung in Berlin. Entscheidend ist natürlich, dass nicht nur geprüft wird. Und das Gleiche gilt für all die weiteren vielversprechenden Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag. Der Wechsel muss den Wandel einleiten. Bildung in dieser Stadt muss zu einem echten Aushängeschild werden.
Stefan Spieker ist Geschäftsführer des Kitaträgers Fröbel, in rund 200 Einrichtungen werden rund 17.000 Kinder betreut. Im November 2022 wurde er zum Vizepräsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin gewählt.