Bohnen im Neubauviertel: IGA-Weltacker bringt Soja, Reis und Baumwolle nach Marzahn
Berlin - Gerd Carlsson will ran an die Marzahner Erdnüsse. Er stößt die Grabgabel in die trockene Erde und hebt die kleine Pflanze samt Wurzelwerk heraus. „Da sindse“, freut sich der Gärtner. Die freiwilligen Erntehelferinnen zücken die Smartphones, schließlich sind Erdnüsse in Berlin eher in bereits gerösteter und gesalzener Form verbreitet. Der Geschmackstest allerdings enttäuscht: „Schmeckt wie unreifer Zuckermais“, meint Carlsson.
Der gelernte Landschaftsgärtner bestellt den sogenannten Weltacker auf dem Gelände der Internationalen Gartenausstellung 2017 (IGA) in Berlin-Marzahn. Er fährt in diesem September nach einem Jahr voller Experimente mit exotischen Pflanzen die erste Ernte ein. Der Name Weltacker kommt nicht von ungefähr: Darauf wachsen die wichtigen Pflanzen der Welt für den menschlichen Bedarf, von Weizen und Kartoffeln über Soja und Reis bis hin zur Baumwolle.
2000 Quadratmeter groß ist die Fläche. So viel stehe rechnerisch jedem Menschen auf der Welt zur Verfügung, wenn man die verfügbare Ackerfläche durch die Zahl der Bewohner teile, erklärt Projektassistentin Steffi Doll die Initiative der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Deren Ziel ist es, die ökologische Landwirtschaft zu stärken. Weitere 2000-Quadratmeter-Äcker von Partnern gibt es etwa in Schottland und China. In Deutschland sei die Initiative bisher einzigartig, sagt Projektleiter Benedikt Haerlin.
Hier in Marzahn, vor der Kulisse von Plattenbauten und noch in Bau befindlichem IGA-Gelände, wird also nicht weniger als die Frage der Welternährung veranschaulicht. Wenn die IGA startet, werden Kita-Gruppen und Schulklassen auf dem Acker mehr über die Herkunft ihres Essens erfahren können. Denn wie etwa die Umweltstiftung WWF schon länger warnt, schrumpft in Zukunft die verfügbare Ackerfläche pro Kopf. Die Weltbevölkerung wächst und vielerorts ändert sich der Konsumstil dahingehend, dass mehr Fläche verbraucht wird.
Weizen, Tomaten, Zwiebeln = Nudeln mit Tomatensoße
Wie sich gegensteuern lässt, lehrt der Acker indirekt. Steffi Doll zeigt ein Areal, auf dem veranschaulicht wird, wie viel Fläche für bestimmte Gerichte benötigt wird. In einem kleinen Kreis wachsen zum Beispiel eine Tomatenpflanze, etwas Weizen, Zwiebeln und ein paar Sonnenblumen. Ergibt? Na klar, Nudeln mit Tomatensoße, wobei die Sonneblumen für das Öl stehen. Flächenverbrauch: 0,5 Quadratmeter. Will man Käse dazu, braucht es annähernd noch einmal so viel Fläche für das Tierfutter - in diesem Fall Soja.
„Das ist der Aha-Effekt“, findet Benedikt Haerlin. „Man sieht, für dieses Essen muss Soja angebaut werden, obwohl man kein Soja auf dem Teller hat.“ Ein weiterer Aha-Effekt stellt sich beim Vergleich der Nudel-Fläche mit derjenigen anderer Gerichte ein. „Der Acker, der alles schlägt, ist der für Steak mit Bratkartoffeln“, sagt Doll und zeigt fünf Quadratmeter, auf denen besonders viel Soja steht - für das Rind, das am Ende als Steak auf dem Teller landet.
5 m² Ackerfläche mit Soja = ein Steak
„Das Konzept vom Weltacker hat uns sehr gut gefallen“, begründet André Ruppert von der IGA die Zusammenarbeit. Er ist Projektleiter des Umweltbildungsprogramms namens IGA Campus. Vorgesehen sind im Rahmen der IGA 2500 Veranstaltungen, allen voran für Kinder und Jugendliche, etwa in grünen Klassenzimmern oder eben auf dem Weltacker. Zum Campus gehören weitere Projekte, die Schulen beispielsweise zum Anlegen eines Gemüsegartens beraten oder Kinder an gesunde Ernährung heranführen wollen.
Für das Weltacker-Team geht die Arbeit 2017 richtig los; dieses Jahr war der Testlauf. Beim Baumwollanbau etwa lief es noch nicht richtig rund, dagegen gediehen Reis und diverse Sojabohnensorten prächtig. Carlsson hatte von den Exoten vorher selbst „keinen Schimmer“, wie er lachend erzählt. Helferin Diana, die im Internet von der anstehenden Ernte gelesen hat und spontan vorbeigekommen ist, holt unterdessen rötliche afrikanische Süßkartoffeln aus dem Boden. Eine ganze Schubkarrenladung Kartoffeln hat ein kleines Team schon geerntet.
Tatsächlich werfen die relativ überschaubaren 2000 Quadratmeter Acker viel mehr ab, als ein Mensch in einem Jahr essen könnte, sagt Haerlin. Aktuell werde zu viel an Tiere verfüttert, lande im Müll oder als Biosprit im Tank. Das sollen 2017 auch IGA-Besucher erfahren, die eigentlich der perfekten Gartenkunst wegen nach Marzahn kommen. Haerlin schnappt sich die Sense, lässt den Blick über die Plattenbauten hinter dem Wuhleteich schweifen. Er packt es an.