Bombenfund am Berliner Hauptbahnhof : „Wie lange schläft diese Bombe da schon?“

Berlin - Um 13.35 Uhr kommt die Entwarnung: Zünder entfernt, Gefahr gebannt. Eine halbe Stunde zuvor hatten Experten der Polizei mit der Entschärfung der sowjetischen 100-Kilo-Fliegerbombe begonnen. Der sogenannte Kopfaufschlagzünder habe sich problemlos aus dem Gewinde in der Bombenhülle drehen lassen, erklärt Matthias Rabe, einer der Polizei-Feuerwerker, nach dem Einsatz. „Das war unsere erste Bombe dieses Jahr“, so der 48-Jährige.

„Routine ist so ein Einsatz nie für uns“, sagt der Feuerwerker. Die Gefahr, dass die Bombe dabei explodiere, sei nicht auszuschließen. Unfälle, wie die Detonation einer Bombe in Göttingen 2010, bei der drei Entschärfer starben, zeigten dies. „Aber Gefühle wie Angst habe ich in dem Moment nicht im Kopf. Man konzentriert sich auf seine Arbeit“, sagt Rabe.

Am Vormittag, kurz nach 10 Uhr, beginnt die Polizei mit der Evakuierung von Wohnungen in der Lehrter Straße in Moabit. Im Umkreis von mehr als 400 Metern um die Bombe dürfen sich während der Entschärfung keine Menschen aufhalten. Während 250 Polizisten die Häuser durchkämmen, fährt ein Lautsprecherwagen die Straße auf und ab. Die Mieter werden aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Überall strömen sie aus den Hauseingängen, Familien mit Kindern, alte Leute.

Eine Studentin, die aus dem Schlaf gerissen wurde, reibt sich müde die Augen. „Ich hatte nur zehn Minuten Zeit, das Haus zu verlassen“, sagt sie. Der 24-jährige Eduardo Rodriguez hat sich noch schnell seinen Kontrabass unter den Arm geklemmt und sucht in einem Café Schutz vor der Kälte. „Das Instrument ist über 20.000 Euro wert“, sagt der Musiker aus Spanien, Stipendiat bei den Berliner Philharmonikern. Es zurückzulassen im potenziellen Explosionsradius einer Bombe, sei ihm nicht geheuer.

An der Ecke zur Perleberger Straße wird eine Kita geräumt. Die Polizei nimmt die kleinen Kinder in einem Mannschaftswagen mit zu einer Notunterkunft. Das Bezirksamt Mitte hatte dafür eigens die Mensa einer Oberschule in der benachbarten Stephanstraße zur Verfügung gestellt. Rund 150 der Geräumten lassen sich dort mit Würstchen, heißem Tee und Kaffee versorgen. Mitarbeiter des Ordnungsamtes verteilen Lollies an die Kinder. Bei einer 79-jährigen Anwohnerin aus der Lehrter Straße indessen kommen Erinnerungen an den Krieg hoch. Nur wenige Straßen weiter, erzählt Irmgard Paschke, habe sie die letzten Bombennächte 1945 erlebt.

Obwohl die meisten Anwohner Verständnis haben, gibt es auch Verärgerung. Der Inhaber eines Cafés verlässt sein Geschäft erst nach wiederholter Aufforderung der Polizei. Er versteht die Aufregung nicht. „Wie lange schläft diese Bombe da schon?“, schimpft er. „Das ist doch normal in Berlin.“