Brandbrief zu Quereinsteigern: Kinder könnten Schaden nehmen

Unprofessionell, unqualifiziert, überfordert: In einem drastischen Brandbrief warnen 80 namhafte Pädagogik-Professoren vor zu vielen Quereinsteigern an Schulen. Gerade Grundschulkinder könnten deshalb Schaden nehmen, heißt es in dem Schreiben der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.

Bundesweit hat Berlin mit Sachsen die höchste Quereinsteiger-Quote. Zuletzt waren berlinweit mehr als die Hälfte der neu eingestellten Grundschullehrer Quereinsteiger, nämlich 56 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil der pädagogisch nicht ausgebildeten Seiteneinsteiger ausgerechnet an den Schulen in schwieriger Lage – etwa in Wedding oder Neukölln. Es fehlt an regulär ausgebildeten Lehrern.

„Die Kommission für Grundschulforschung sieht in dieser Entwicklung sowohl einen erheblichen Rückfall hinter die geltenden Standards für die Qualifikation von Lehrkräften als auch eine massive Beeinträchtigung der Professionalität“, schreiben führende deutsche Erziehungswissenschaftler, darunter Jörg Ramseger von der Freien Universität. Und sie warnen vor bösen Folgen: „Für Kinder am Anfang ihrer Bildungslaufbahn, für ihre Bildung und Erziehung, können daraus erhebliche negative individuelle und gesellschaftliche Folgen resultieren.“

Daher leiten die Wissenschaftler Forderungen ab: Die scheinbar notwendige Einstellung von Seiteneinsteigern müsse zwingend mit Maßnahmen verknüpft werden, die die Professionalität sicherstellen. „Schnellkurse“ reichten nicht, Nachqualifizierung sowie pädagogische und psychologische Weiterbildung seien nötig.

Wenig Hilfe für Nicht-Pädagogen

Genau das aber findet in Berlin nur völlig unzureichend statt, berichtet Gesamtpersonalrat Dieter Haase. „Mittlerweile dauert es oft zwei Jahre, bis Quereinsteiger in Berlin ihr Referendariat oder ein berufsbegleitendes Studium beginnen“, sagt Haase. Der Grund: „Die Plätze reichen einfach nicht mehr aus.“ Jene Quereinsteiger hätten dann zunächst kaum eine Idee von Schulrecht, wüssten also gar nicht so genau, was erlaubt sei und was nicht. Dafür aber unterrichteten sie gleich in vollem Umfang.

„Aus pädagogischer Sicht haben sie besondere Probleme, mit den schwierigeren Schülern umzugehen und für Ruhe in der Klasse zu sorgen“, erläutert Haase. „Und wir wissen: An einer Schule spricht es sich schnell herum, wenn jemand negativ auffällt.“ Zudem würden einige Quereinsteiger aus dem Ausland nicht gut genug Deutsch sprechen. Robert Rauh, Gewinner des Deutschen Lehrerpreises und engagiert in der Initiative „Bildet Berlin!“, hatte schon lange vor der Entprofessionalisierung des Lehrerberufes gewarnt.

Eine Quereinsteigerin, die anonym bleiben möchte und an einer Grundschule unterrichtet, betont indes, dass Leute von außen eine Schule bereichern können. „Wir bringen Lebenserfahrung mit, haben schon in anderen Berufen gearbeitet.“ Ein regulär ausgebildeter Lehrer habe ja meist von der Schulbank direkt zur Uni und dann gleich wieder zurück in die Schule gefunden.„Als Quereinsteiger wissen wir besser, dass die Arbeitswelt in anderen Berufen noch härter sein kann“, sagt die studierte Kulturwissenschaftlerin. „Ich habe vor meiner Festanstellung als Grundschullehrer nur befristet oder als Freiberufler auf eigene Rechnung gearbeitet.“ Jetzt hätte sie den besten Arbeitsvertrag ihres bisherigen Lebens. „Da bin ich möglicherweise auch dankbarer und beschwere mich weniger über meine Arbeitssituation.“

Gleichwohl sieht auch sie Defizite: „Von einem Tag auf den anderen musste ich unterrichten, da hätte ich mir schon einen kleinen Vorbereitungskurs gewünscht.“ In Sachsen findet so etwas für Seiteneinsteiger statt. Als sie dann wegen der Schwangerschaft einer Kollegin die Klasse übernehmen musste, habe sie sich schnell selbst die Regelungen zur Aufsichtspflicht durchgelesen.

Eng ist es auch an Gymnasien

Selbst die Gymnasien seien längst in Mathe und naturwissenschaftlichen Fächern auf Quereinsteiger angewiesen, berichtet Ralf Treptow vom Gymnasialschulleiterverband. Da habe er auch richtig gute Erfahrungen gemacht. Seine Schule führe eigene Aufnahmeverfahren durch. Für die Tatsache, dass es in Berlin und Sachsen besonders viele Quereinsteiger gibt, hat Treptow eine einfache Erklärung. „Das sind die beiden Bundesländer, die Lehrer nicht mehr verbeamten.“