Brutal Berlin: Warum Fahrradfahrer viel aggressiver sind als Autofahrer
Nahkampf auf Berlins Straßen zwischen Autos und Radfahrern: Oft sind es jedoch die Zweiräder, die den Verkehr in Berlin gefährlich machen. Ein Zwischenruf.

Vor einiger Zeit schrieb ich eine – wirklich nicht zu hundert Prozent ernst gemeinte – Kolumne über Berliner Eltern und Lastenräder und ihr oft hochherrschaftliches Gebaren im Straßenverkehr. Die Folge auf diesen Artikel war ein immenser Shitstorm im Netz, wie ich ihn persönlich so noch nicht erlebt habe. Unverständnis war noch die harmloseste Reaktion, es gab auch wirklich ernsthafte Beleidigungen.
Eine gepiercte Yvonne aus Recklinghausen, nach Eigenaussage Mitglied bei den Grünen, nannte mich bei Twitter einen „ekligen Schreiberling“. Man bezeichnete mich als bösen Menschen. Ich sei: „ein Arschloch“, „verblödet“, ein „Klimagegner“ (was auch immer das ist) und ein „Freund aller SUV-Fahrer“, was definitiv nicht stimmt.
Ein besonders unangenehmer Zeitgenosse schrieb mir, er hoffe inständig, dass ich bei einem Crash wie auf der Invalidenstraße ums Leben kommen möchte. Das war jener grauenhafte Unfall mit einem SUV und vier Toten vor etwa vier Jahren. Und schlussendlich wünschte mir ein Herr Harald R. aus Berlin per Mail, ihm bloß nicht im Straßenverkehr zu begegnen. Das wünsche ich mir auch nicht, denn ehrlich gesagt sind viele Radfahrer und Radfahrerinnen in Berlin eine echte Zumutung und auch mitunter eine Gefahr für alle Beteiligten auf den Straßen dieser Stadt.
Sonnenbrille, Kopfhörer und schwindendes Tageslicht
Ich bin selbst Radfahrer. Seit Jahren, nicht aus Prinzip, sondern weil es mich fit hält. Radfahren ist die günstigere Alternative zum ÖPNV und vor allen Dingen zum Auto. Und es macht mir wirklich viel Spaß. Eigentlich. Denn ich beobachte schon seit mehreren Monaten, wie sich Radfahrer und Autofahrer im Straßenverkehr zueinander verhalten. Die Fronten haben sich eindeutig verhärtet. Es wird gebrüllt und gedroht. Ich würde jetzt hier kein endgültiges Ergebnis meiner Beobachtung abgeben, aber was mir klar geworden ist, ist, dass Menschen auf dem Rad ein oft verkehrswidrigeres, gefährlicheres und einfach auch unbesorgteres Fahrverhalten an den Tag legen als Menschen, die im Auto sitzen.
Natürlich kann man argumentieren, dass die Kräfte vollkommen ungleich verteilt sind. Dass ein tonnenschweres Auto in voller Fahrt immer mehr Schaden anrichten kann als jemand, der „nur“ ein Rad fährt. Das ist bestimmt richtig, regelmäßig kommt es in Berlin zu Zusammenstößen zwischen Radfahrern und Autos. Die Leidtragenden sind meistens die Menschen, die mit dem Rad unterwegs waren. Und gerade deswegen finde ich es wirklich bemerkenswert, wie krass falsch und unbedacht Menschen auf dem Rad durch den an vielen Stellen dieser Stadt nicht gerade gemächlichen Verkehr brettern. Und damit meine ich nicht nur Eltern mit Lastenrädern.
Vor ein paar Wochen stand ich beispielsweise am späteren Abend an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden, es dämmerte bereits. Vor mir saß eine junge Frau auf dem Rad. Sie fuhr los, obwohl die Ampel noch Rot zeigte. Die Frau trug große Kopfhörer und eine verspiegelte Sonnenbrille. Sie entging nur haarscharf dem Zusammenstoß mit einem zu Recht mehrmals hupenden Audi, drehte sich um, zeigte dem Fahrer den Mittelfinger und fuhr weiter, als ob sie Vorfahrt gehabt hätte. Wie gesagt: Der Autofahrer hatte Grün, mittlerweile war es fast dunkel. Verspiegelte Sonnenbrille, Kopfhörer.
In derselben Woche sah ich, wie ein Mann auf der Oranienstraße in Kreuzberg mit seinem Rennrad über zwei rote Ampeln fuhr und sicherlich nur deshalb einem schweren Unfall entging, weil der Pkw, der Vorfahrt hatte, eine filmreife Vollbremsung hinlegte, so mit quietschenden Reifen und Bremsspuren auf dem Asphalt. Kurz danach beobachtete ich noch mehrere Rollerfahrer, Jungs, die lachend abbogen, ohne dass es für irgendeinen Verkehrsteilnehmer vorher ersichtlich gewesen wäre. Einer schnitt eine Bordsteinkante, stürzte auf die befahrene Straße und schlug sich aber glücklicherweise nur die Knie auf. Ein anderer verpasste nur um Zentimeter die Motorhaube eines BMW.
Fahren mit einem Kaffee und dabei aufs Handy schauen
Ich wurde Zeuge, wie Leute auf dem Fahrrad auf ihr Handy blickten, während sie sich durch den Berliner Straßenverkehr bewegten, als ob sie absolut unverletzbar wären. Einer trank Kaffee auf seinem Rennrad, während er die viel befahrene Heinrich-Heine-Straße in Richtung Moritzplatz fuhr. Im Kreisverkehr am Moritzplatz dann hielt vor mir eine Frau an, stellte ihr Rad ab und zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an, während sie telefonierte. Immerhin stoppte sie auf dem Fahrradweg und nicht auf der Straße.
Das alles sind die Beispiele aus nur einer Woche. Und ich bin sicherlich nicht alleine mit diesen Beobachtungen, oft höre ich von anderen Leuten, die Ähnliches erlebt haben. Ohne jemanden zu verurteilen, frage ich mich, warum viele Menschen auf dem Rad offenbar das Gefühl haben, sie wären quasi unverletzlich, in einem Zweikampf mit einem Auto automatisch der Stärkere. Ebenfalls aus Stahl und Kunststoff und nicht aus Fleisch, Blut und Knochen. Ich muss gestehen, ich fahre oft ohne Helm, aber ich versuche meist, defensiv und vorausschauend zu fahren, auch wenn ich mich jetzt vielleicht anhöre wie von der Verkehrspolizei. Es ist doch aber einfach so: Bei einem Unfall zwischen einem Auto und einem Radfahrer zieht letzterer meist den Kürzeren.
Die Verkehrswende in dieser Stadt wird kommen, das steht ja ziemlich außer Frage. Aber so, wie Radfahrer und Autofahrer im Moment zueinander stehen, wie sie sich den öffentlichen Straßenraum teilen in einer Art Nahkampf auf Rädern, werden die kommenden Jahre sicherlich kein Spaß im Auto oder auf dem Rad. Im Moment sehe ich ein wesentlich uneinsichtigeres und oft auch gefährlicheres Verhalten auf der Seite der Zweiradfahrer. Das sollte sich bald ändern für ein friedlicheres Miteinander.
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