Buch „Der Krankenflüsterer“: „Medizin ist etwas Wunderbares“

Berlin - Herr Möbius, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Der Krankenflüsterer“. Worum geht es darin?

Ich erzähle darin von meinen Erfahrungen als Arzt in Krankenhäusern und Kliniken, die ich den letzten 50 Jahren gesammelt habe. In dieser Zeit hat sich medizinisch viel geändert. Das Buch beginnt mit meinen frühen Jahren in Köln – damals gab es weder Computer noch Kernspin – und endet in der Gegenwart mit meinen Erlebnissen als Arzt im Amazonasgebiet, wo ich den Schlangenbiss eines Yanomami behandeln musste.

Da schloss sich der Kreis: Auch da gab es weder Computer noch Kernspintomographie. Ich hatte auch da wie zu Beginn meiner Laufbahn als Arzt nur meine Sinne zur Verfügung und meinen gesunden medizinischen Menschenverstand.

Sagen Sie damit, dass die moderne Gerätemedizin im Grunde überflüssig ist?

Um Gottes willen, nein! Aber man darf darüber nicht die Ursprünge allen medizinischen Handelns vergessen, und das ist für mich das medizinische Rüstzeug eines Arztes. Das bedeutet das Sprechen mit dem Kranken und das Untersuchen mit den Händen. Dieses Rüstzeug muss ein Arzt einfach beherrschen. Im Katastrophenfall, auf einer Bergwanderung, auf hoher See oder eben am Amazonas, muss man sich auf die guten alten medizinischen Künste, das Tasten, das Riechen, das Hinschauen, verlassen können.

Kommen denn diese medizinischen Künste auch im ärztlichen Alltag zu kurz?

Es ist leider vor allen Dingen so, dass das ärztliche Gespräch mit dem Patienten zu kurz kommt. Es wird ja oft der Vorwurf erhoben, dass der Patient im Gespräch das erste Mal nach 18 Sekunden unterbrochen wird. Ich möchte mit meinem Buch anregen und zeigen, dass Medizin etwas Wunderbares ist. Medizinische Geschichten haben einen ungeheuren Wert als Lehrstücke, um zu zeigen, dass auch komplizierte Fälle mit Intuition und Engagement gelöst werden können.

Eine der Thesen in Ihrem Buch lautet, dass Ärzte sich zu wenig mit dem Patienten auseinandersetzen. Ist das denn die Schuld der Ärzte?

Nein, es geht mir nicht um mögliche Fehler einzelner Ärzte, sondern um die systemimmanenten Fehler. Zum Beispiel muss das Gespräch unbedingt wieder richtig honoriert werden, das ärztliche Gespräch sollte der Schlüssel zu jeder Diagnose sein.

Sie haben selbst rund fünfzig Jahre lang als Mediziner gearbeitet. Warum nun noch ein Buch. Woher nehmen Sie die Energie für solche Projekte?

Ich habe mich mit Mitte 40 gefragt, was ich in 20 Jahren machen werde und habe dann mit 65 dieselbe Frage gestellt. Ich kam zu dem Schluss, dass ich mich weiter engagieren muss, und das tue ich gerne. Das ist für mich keine Mühe, die Leidenschaft für die Medizin treibt mich an.

Betreuen Sie eigentlich noch Helmut Kohl? Sie waren ja lange Jahre sein Arzt.

Ich kenne ihn seit 33 Jahren, da ist eine Freundschaft entstanden. Wenn heute eine zweite Meinung gehört werden soll, fragen mich Helmut Kohl und seine Frau Maike. Aber immer in Abstimmung mit den Kollegen. Ich entscheide nie alleine.

Erkranken Politiker anders als herkömmliche Bürger?

Wir waren im Johanniter-Krankenhaus in Bonn das Regierungskrankenhaus, einfach weil wir in unmittelbarer Nähe des Bundestages lagen. Wir haben uns aber immer bemüht, jeden Patienten so zu behandeln, dass er Vertrauen fasst. Die Behandlung der Politiker konnte eine Herausforderung darstellen, weil sie stets unter Zeitdruck und im Fokus der Öffentlichkeit standen und so eigene Belange – auch die Gesundheit – oft zurückstellten.

Der Arzt als Therapeut?

Das war früher ja immer so. Vergil hat schon 40 vor Christus gesagt: „Menschen sind wie Musikinstrumente. Ihre Resonanz hängt davon ab, wer sie berührt.“ Heute werden viele Krankheiten im psychosomatischen Formenkreis eingeordnet. Da ist es natürlich sehr wichtig, dass man zuhört, redet mit den Patienten. Darauf müssten sich sowohl die Gesellschaft und ganz besonders das Gesundheitswesen wieder mehr einlassen.

Wie werden Sie die Lesung am Wochenende in der Kalkscheune gestalten?

Ich werde einleitend erzählen, warum Geschichten auch in der Medizin, in der Ausbildung des Nachwuchses und im Gespräch mit dem Patienten so wichtig sind. Dann nehme ich meine Zuhörer mit in meine frühe Zeit, in den „Goldenen Hirschen“ (ein medizinischer Krimi aus der Eifel), nach „Stammheim“ – meine Erlebnisse als betreuender Arzt beim Hungerstreik der RAF-Terroristen –, zum ersten Contergan-Prozess und nach Lateinamerika, wo der Wirkstoff heute neue Opfer fordert. Besonders am Herzen liegt mir die Situation alter, kranker Menschen im Kapitel „Abgeschoben“. Mit „Der Schamane“, einer Begegnung westlicher und ursprünglicher Heilmethoden, schließt sich dann der Kreis, ehe in einer hoffentlich lebhaften Diskussion das Publikum die Geschichten fortspinnt.

Das Interview führte Marcus Weingärtner.