Schampus und vegane Frikadellen: So läuft es auf den Berlinale-Partys

Endlich wieder Partys und Events, Stars und Sternchen. Bei der 73. Berlinale ist alles wieder im Normalzustand. Das Politische darf aber auch nicht fehlen. 

Shootingstar Leonie Benesch eilt zurzeit von einem Berlinale-Termin zum nächsten. 
Shootingstar Leonie Benesch eilt zurzeit von einem Berlinale-Termin zum nächsten. John Macdougall/AFP

In einem Hotel nahe dem Potsdamer Platz sitzen sie nebeneinander auf einer Bühne – zehn aufstrebende Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Terminkalender sind voll, auch der von Leonie Benesch. Wie die anderen neben ihr ist sie ganz offiziell „European Shooting Star 2023“ der Berlinale; das ist ein Ehrentitel. Sie ist 31 Jahre alt und sehr schmal, trägt einen pinkfarbenen Hosenanzug, in dem sie zu versinken droht.

Es ist 9.30 Uhr und etwa einen Kilometer vom Hotel entfernt geht es zu wie in einem Bienenstock. Menschen laufen auf dem Potsdamer Platz hektisch umher, telefonieren, bestellen schnell einen Kaffee to go und verschwinden in den Kinos oder im Gran Hyatt Hotel. Und auch die Potsdamer Arkaden, die vor einem Jahr noch eine graue Baustelle waren und inzwischen The Playce heißen, sind wieder menschenvoll. Es brummt auf der Berlinale. Man merkt es allein am Ticketverkauf. 2022 waren es rund 156.000 verkaufte Tickets, inzwischen sind es mindestens doppelt so viele. So wie vor Beginn der Pandemie. 

Party-Hopping der Stars: Die Schauspieler Oliver Masucci, Bella Dayne, Anne Ratte-Polle und Regisseur Oskar Roehler (v.l.n.r.) kommen zum 20. NRW-Empfang.
Party-Hopping der Stars: Die Schauspieler Oliver Masucci, Bella Dayne, Anne Ratte-Polle und Regisseur Oskar Roehler (v.l.n.r.) kommen zum 20. NRW-Empfang.Jörg Carstensen/dpa

Es ist, als hätte es das Coronavirus nie gegeben. Drei Jahre wie weggewischt. Keine Maskenpflicht mehr, keine Auflage, täglich einen Negativ-Test vorzuweisen. Stattdessen geht es wieder auf Partys, Empfänge und Events. Oder zum Networking – beim Europäischen Film-Markt (EFM), dem Herzstück der Berlinale, im Gropius-Bau geht es wieder lebhaft zu. Während der Corona-Jahre gab es die Börse nur online. „Das Netzwerken ist damit ziemlich untergegangen“, sagt ein Filmschaffender aus London.

Im Hotel geben die Shootingstars alles. Sie sitzen eng beieinander, Moderator Patrice Bouédibéla hat die Aufgabe, sie vorzustellen. Manche Namen sind wahre Zungenbrecher. Wie der der Schauspielerin Joely Mbundu aus Belgien, die mit 18 das Küken in der Runde ist. Oder die Namen von Yannick Jozefzoon aus den Niederlanden, Thorvaldur Kristjansson aus Island oder Alina Tomnikov aus Finnland.

Der Name von Leonie Benesch klingt vertrauter. Und auch ihr Gesicht ist es; sie war in den Serien „Babylon Berlin“ und „The Crown“ zu sehen. Der Durchbruch gelang ihr früh, 2009 mit „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Bei den Dreharbeiten war sie 17, als der Film ins Kino kam 18. Danach holte sie erst einmal ihr Abitur nach. Und jetzt sitzt sie hier, lächelt professionell, erzählt von den Dreharbeiten für „Das Lehrerzimmer“.

„Du siehst so jung aus“, sagt der Moderator. Sie kontert, auch heute könnten Lehrer schon mit 25 im Beruf sein. „Das Lehrerzimmer“ läuft in der Sektion Panorama, man sieht Benesch auch in der Kinoadaption von Frank Schätzings „Der Schwarm“ bei den Filmfestspielen. 

Jenny Elvers (l.) und Jasmin Tabatabai feiern bei der Medienboard-Party am Holzmarkt. 
Jenny Elvers (l.) und Jasmin Tabatabai feiern bei der Medienboard-Party am Holzmarkt. Gerald Matzka/dpa

Leonie Benesch und die anderen Shootingstars erleben Tage, als wären sie beim Speeddating – mit Networking fast rund um die Uhr. Termine mit der Presse, dann Treffen mit Vertretern der Filmindustrie, mit Produzenten und Casting-Direktoren. Sehen und gesehen werden, dazu ist die Berlinale da.

Oder wie es die Geschäftsführerin der European Film Promotion, Sonja Heinen, an jenem Morgen ausdrückt: „Es geht darum, euch alle berühmt zu machen.“ European Shooting Star, das ist eine Auszeichnung, die Türen öffnen kann. Daniel Craig war mal so ein European Shooting Star, genau wie Alicia Vikander und Daniel Brühl. 

Ruby O. Fee und Matthias Schweighöfer feiern bei der Medienboard-Party am Holzmarkt. 
Ruby O. Fee und Matthias Schweighöfer feiern bei der Medienboard-Party am Holzmarkt. Gerald Matzka/dpa

Sie und die Besucher spüren in diesem Jahr wieder die Festival-Atmosphäre. Es laufen mehr als 280 Filme. Außerdem konkurrieren 19 Filme um den Goldenen und die Silbernen Bären. Allein fünf Beiträge kommen aus Deutschland. Preisverdächtig sind sie fast alle. Doch das letzte Wort hat die Jury, angeführt von der Schauspielerin Kristen Stewart, die schon bei der Eröffnungsgala einen Kreischalarm am roten Teppich ausgelöst hatte.

„Ich habe ein Autogramm von ihr bekommen“, berichtet eine junge Frau am Wochenende und hält es stolz hoch. Sie hatte sich vor der Berlinale-Gala schon mittags angestellt; als Kristen Stewart mit den kurzen, wirren Haaren den Teppich betrat, schrie sie sich fast die Kehle aus dem Hals. „Sie hat mich erhört. Als sie auf mich zukam, musste ich einen anderen Autogrammjäger wegschubsen, weil er sich vordrängeln wollte“, sagt die junge Sammlerin aus Berlin. Es sei ein hart umkämpfter Markt. Auf ihrer Liste stehen in diesem Jahr noch Cate Blanchett, Helen Mirren, Bono von U2 sowie Boris Becker, über den eine Doku gedreht worden ist.

Prominente sieht man auch abends auf den Partys, Events und Empfängen. Das geht gleich am ersten Tag los. Nach der festlichen Gala im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz drängeln sich die Promis ab 23 Uhr bei der nächtlichen Fete im Hotel Das Stue im Tiergarten, eingeladen von der Ufa, RTL und der Zeitschrift Gala. 

Eng ist es, und die Gäste stehen geduldig Schlange, bis sie reindürfen. Dieter Hallervorden zwängt sich wenig später tapfer lächelnd durch die Menge. Schauspielerin Gesine Cukrowski und Josefine Preuß sind im Getümmel zu sehen, Pasquale Aleardi, Ken Duken, Veronica Ferres, Wolke Hegenbarth, Hannes Jaenicke, Heike Makatsch, Anna Maria Mühe, Trystan Pütter, Palina Rojinski, Jannik Schümann, Clemens Schick, Karoline Schuch, Jessica Schwarz, Aylin Tezel, Sabin Tambrea, August Wittgenstein und Natalia Wörner. Die Crème de la Crème des deutschen Schauspiels ist da. Kellner reichen vegane Frikadellen und Champagner, dazu legt ein DJ funkige Musik auf.

Eine Fete jagt die nächste – das geht bis Ende der Woche

Es ist das Opening eines Party-Marathons, der bis Ende der Woche weitergeht, meist beginnen die Sausen erst nach 21 Uhr. Geladen wird in Botschaften, Restaurants oder Hotels – überall gibt es Empfänge und Feste. Nicht zu vergessen die exklusiven Partys in kleinen Runden. Produzenten laden ein, Filmverleihe oder Streamingdienste wie Netflix oder Mubi.

Das Medienboard Berlin-Brandenburg feiert am Holzmarkt; 2500 Gäste sind geladen, weil Berlin eben viele Filme fördert. Es gibt Streetfood und Einlassbändchen mit Blumensamen. An diesem Abend ist Frieren angesagt, die Veranstaltung findet draußen statt. Matthias Schweighöfer erzählt den Reportern: „Dank Medienboard kann ich viele Filme hier drehen und sehe meine Kinder.“ Dann begrüßt er seine Kolleginnen und Kollegen. Es ist wie ein Klassentreffen. Oder wie es Schauspieler Johann von Bülow formuliert: „Es ist wie eine Schuhverkäufermesse.“ Er grinst. 

Am Sonntagabend hat die nordrhein-westfälische Landesregierung in ihre Residenz im Tiergarten eingeladen. Häppchen wie Lachs auf Pumpernickel oder Linsensalat werden gereicht, es gibt Wein und Bier. Der Geräuschpegel ist hoch. Als Ministerpräsident Hendrik Wüst die etwa 1000 Gäste begrüßt, versteht man ihn kaum. Und auch die Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW, Petra Müller, muss öfter mal für Ruhe sorgen. Es gelingt, wenn auch nur für ein paar Minuten. Dann reden alle weiter. „Wir haben uns alle so lange nicht gesehen und uns so viel zu erzählen“, sagt eine Filmschaffende. Nordrhein-Westfalen ist mit 15 Filmen bei der Berlinale vertreten. 

Autogrammjäger umlagern Schauspielerin Anne Hathaway vor dem Berlinale-Palast. 
Autogrammjäger umlagern Schauspielerin Anne Hathaway vor dem Berlinale-Palast. Jens Kalaene/dpa

Die Shootingstars sind auch wieder dabei. Leonie Benesch und ihre Kollegen und Kolleginnen kommen kurz auf die Bühne, eilen dann zum Teppich weiter. Nach einem kurzen Blitzlichtgewitter müssen sie fort, der Bus wartet vor der Tür. Benesch wird zur Premiere von „Der Schwarm“ gefahren. Sie hält die Tage mit viel Disziplin durch.

In der NRW-Landesvertretung feiern die, die all die Tage überall sind, einfach weiter – Lars Eidinger ist dabei, Fatih Akin, Yvonne Catterfeld, Christiane Paul, Katharina Schüttler, Regisseur Sönke Wortmann oder Meltem Kaptan, die im vergangenen Jahr den Goldenen Bären für ihre Hauptrolle in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ erhielt. Damals gab es keine großen Partys. „Das war schade“, sagt sie. Nun könne man das nachholen. Durchhaltetipps gibt es von den Stars ebenso: Einer empfiehlt grüne Bananen nach einer durchzechten Nacht, andere schwören darauf, viel Wasser zwischendurch zu trinken, oder vertrauen kühlenden Augenpads am Morgen danach. 

Neben all dem Glamour und Glanz ist es auch eine politisch geprägte Berlinale in diesem Jahr. Schon bei der Eröffnungsgala gibt es Solidaritätsbekundungen. Sean Penn tritt an jenem Abend auf die Bühne, dessen Dokumentation über den Ukraine-Krieg „Superpower“ auf der Berlinale gezeigt wird. Als der Hauptdarsteller aus dem Film, Wolodymyr Selenskyj, live zugeschaltet wird, gibt es Standing Ovations und Tränen der Rührung. Anna Thalbachs Wimperntusche ist danach verlaufen. 

Solidaritätsbekundungen auf dem roten Teppich

Am Sonnabendnachmittag stellen sich die deutsch-iranischen Schauspielerinnen Jasmin Tabatabai und Melika Foroutan sowie weitere Kollegen und Kolleginnen erneut auf den roten Teppich vor dem Berlinale-Palast, um für die Freiheit von Frauen zu demonstrieren. Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, die das Festival leiten, kommen dazu. Gemeinsam rufen alle „Jin, Jiyan, Azadi“. Das ist Kurdisch und bedeutet „Frauen, Leben, Freiheit“. Der Slogan prägt die Demonstrationen, die nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei begannen. Kristen Stewart macht in Berlin mit, natürlich ist auch die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani dabei, die inzwischen in Frankreich lebt und nicht müde wird, auf die schwierige Situation in ihrem Heimatland aufmerksam zu machen.

Es regnet, die Fans hinter der Absperrung haben ihre Schirme aufgespannt. Die Protestierenden sind ins Trockene geflüchtet. Geich beginnt eine nächste Kinopremiere. Die Show muss weitergehen, Platz gibt es für alles: Partys und Politik. Und Kino, natürlich.