S-Bahn und U-Bahn in Berlin: Und, welche Linie fällt als nächste aus?
Der Nahverkehr der Stadt verlangt Nutzern derzeit starke Nerven ab. Kann man der Lage etwas Positives abgewinnen? Unsere Kolumnistin versucht es.

Vor zwei Tagen half mir die BVG wieder einmal, meine Bewegungsziele zu erreichen. Das Fitnessarmband an meinem Handgelenk vibrierte vor Freude. Ich hatte die 10.000 Schritte geschafft und mich dabei auch genug abgehetzt, um Cardio-Minuten zu sammeln. Die bekomme ich eigentlich nur, wenn ich Herz-Kreislauf-Training mache, etwa auf dem Crosstrainer im Fitnessstudio.
Mein sportlicher Erfolg kam zustande, als ich nach der Arbeit ins Kino wollte. Ein kleines Kino in Prenzlauer Berg, in dem ich noch nie war. Ich gab die Adresse in die Stadtplan-App auf meinem Handy ein, sie rechnete mir aus, wie lange ich brauchen würde. 20 Minuten mit dem Auto, kam heraus. Die „aktuelle Verkehrssituation“, der Berliner Feierabendverkehr, war schon berücksichtigt.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln würde ich 40 Minuten brauchen. Eine Verbindung sah so aus: U2, umsteigen, U2, umsteigen, U2. Die App kannte auch hier die aktuelle Verkehrssituation, den Pendelverkehr, der allen, die mit dieser Linie von Pankow oder Prenzlauer Berg auf die andere Seite des Alexanderplatzes wollen, täglich Nerven und Lebenszeit raubt.
Im Alltag rennen statt im Fitnessstudio
Ich habe kein Auto. Weil einem an dieser Stelle von Lesern stets zum Radfahren geraten wird: Ich traue mich nicht mit dem Rad durch Berlin, erst recht nicht an einem verregneten, stürmischen Abend im Januar. Ich plante 40 Minuten für den Weg zum Kino ein und dachte: Die Verkehrswende wird in Berlin vermutlich vollendet sein, wenn es mit dem Auto genauso lange dauert und genauso anstrengend ist, durch die Stadt zu kommen. Gerechtigkeit auf Berlinisch.
Als die 40 Minuten abliefen, steckte ich in einem vollen Wagen der Straßenbahnlinie M1. Mit dieser Linie kann man das U2-Desaster umfahren. Das letzte Stück zum Kino rannte ich durch den Regen. Tolle Leistung!, meldete mein Fitnessarmband.
In letzter Zeit passiert mir das oft. Ich komme zu spät oder fast zu spät. Eigentlich bin ich ein pünktlicher Mensch, aber in mein System sind offenbar die Zeiten einprogrammiert, die ich für Wege brauchte, als S- und U-Bahnen noch fuhren, wie sie sollten.
Ich wohne an der Linie U1, die seit dieser Woche nicht mehr nur an ihrem Ende, sondern auch an ihrem Anfang unterbrochen ist, arbeite in der Nähe der U2, mein Sportstudio erreiche ich am besten mit den S-Bahnen S1 und S2. Die fahren gerade auch nicht, wie sie sollten. Ich habe den Überblick über die Begründungen verloren. Aber wenn es so weitergeht, muss ich nicht mehr zum Sport, weil ich im Alltag genug renne. Was ich an Nerven verliere, spare ich am Ende dank Berlins Baustellen an Mitgliedsgebühren. Vielleicht ist alles nur eine Frage der Perspektive.
Vor ein paar Monaten hospitierte eine Kollegin aus Botswana in der Redaktion der Berliner Zeitung. Sie schwärmte vom Berliner S- und U-Bahn-Netzwerk. In ihrer Heimat gebe es überhaupt kein funktionierendes System, sie sei zu Hause noch nie mit einem Zug gefahren, erzählte sie. Manchmal muss ich an sie denken. Neulich im Bus, der die Linie U6 ersetzte, zum Beispiel. Ein Kabel in einem U-Bahnhof war kaputtgegangen.
Neben mir saßen und standen stoische Berliner. Tippten in Handys, telefonierten, kündigten Verspätungen an. Auch ich schrieb eine Nachricht, an einen Mitarbeiter der Politikerin, die ich im Wahlkampf begleiten wollte. Es war die Verkehrssenatorin. Als ich ankam, wirkte sie entspannt. Ich machte ihr keine Vorwürfe. Sie konnte ja auch nichts für das kaputte Kabel.