Chinesische Touristen in Berlin: Konsumfreudige Chinesen kurbeln den Berlin-Tourismus an
Der jungen Chinesin ist vor allem die Vielfalt der Menschen ins Auge gesprungen. „Es gibt hier extrem unterschiedliche Typen“, sagt die 25-jährige Zhang Nan. „Die einen sind wie Punks angezogen, andere ganz fein, wieder andere ganz nachlässig.“
Zhang reist viel, erst kürzlich war sie auf Touren durch Europa und Südasien. Sie stammt aus der Hafenstadt Xiamen an der Pazifikküste, wo zahlreiche Handelswege zusammenlaufen. Berlin hat sie beeindruckt: „Die Stadt wirkt vielfältiger und farbiger als andere Städte, die ich gesehen habe.“ Dann ziert sie sich etwas, einen anderen Eindruck preiszugeben, den sie aus Berlin zurück nach China mitgebracht hat: „Im Vergleich zu anderen deutschen Städten ist die Hauptstadt etwas schmutzig.“ Sie beeilt sich aber hinzuzufügen: „Es gibt jedoch enorm viel Kultur und Museen.“ Und der Unterschied zwischen Ost und West sei schließlich weltweit einzigartig.
Mehr individuelle Touristen
Zhang steht für einen gewaltigen Trend, der derzeit das Gastgewerbe weltweit verändert: Nach Jahren des industriellen Erfolgs hat die Mittelklasse des Schwellenlandes jetzt reichlich Geld, um sich die Welt anzusehen. Während chinesische Staatsbürger vor 30 Jahren das Land kaum verlassen konnten, sind sie heute die größte Gruppe von Touristen weltweit. Nach Zahlen der Nationalen Touristenakademie reisten 2014 rund 116 Millionen Chinesen ins Ausland und gaben dabei 140 Milliarden Dollar aus. Das waren 18 Prozent mehr als im Jahr davor. Der Anstieg soll sich fortsetzen.
Der Deutschen Tourismus-Zentrale zufolge verzeichnete Deutschland im Jahr 2014 rund 617.000 Übernachtungen chinesischer Touristen, ein Fünftel mehr als 2013. Berlin bekommt bereits einen ordentlichen Teil des Kuchens ab: Dem Statistischen Landesamt zufolge kamen 2014 knapp 90.000 chinesische Besucher nach Berlin. Doch die Zahl sieht schwach aus im Vergleich mit der Konkurrenz, den wahren Top-Zielen: Paris hat mehr als 500.000 Chinesen angezogen. Auch nach München sind mit 117.000 Besuchern mehr Chinesen gekommen als nach Berlin.
Ein Grund für jene Zurückhaltung: Die chinesischen Touristen sind noch an dem Punkt, an dem Japan sich vor 30 Jahren befand – sie fühlen sich nur wenig weltgewandt und verstecken sich lieber in der Gruppe. Sie wollen mit ihrem Tourbus dann aber nur die Top-Ten-Sehenswürdigkeiten eines Kontinents abklappern.
Berlin zieht daher bisher überproportional viele Individualtouristen wie Zhang Nan an. Diese widmet sich nach ihren Museumsbesuchen dennoch der Lieblingsbeschäftigung asiatischer Touristen – und stürmt die Geschäfte. Der Euro steht niedrig, der Yuan hoch: Gürtel, Schuhe, Kleider, Taschen und Koffer sind allesamt Schnäppchen.
Auf der Jagd nach Koffern sind auch vier Schwestern in den mittleren Jahren, die aus Taiwan kommen und auf einer Hochzeit in Schleswig-Holstein waren. Nun nutzen sie die Gelegenheit und sehen sich Hamburg, Berlin und weitere Orte an. Auch sie finden Berlin im Vergleich zu Hamburg und asiatischen Städten chaotischer und dreckiger. Doch sie sind vorerst mit der Stadt versöhnt, als sie feststellen, dass Koffer der begehrten Marke Rimowa hier nur „ungefähr die Hälfte dessen“ kosten, was sie daheim bezahlen müssten.
Das Schloss Charlottenburg kommt dagegen nicht sonderlich gut an – „wir haben schon größere europäische Schlösser gesehen.“ Auch die Kaufhäuser erscheinen bei weitem nicht so prächtig wie in Paris – klar, die Berliner Filiale der Galeries Lafayette ist klein im Vergleich zum Haupthaus in Paris. Selbst die East Side Gallery am Friedrichshainer Spreeufer verwirrt die müden Damen aus Taiwan.
Mehr herzliche Begegnungen
Doch nach dem Spaziergang über die Oberbaumbrücke und weiter Richtung Treptower Park steigt die Stimmung wieder. Im Restaurant „White Trash Fast Food“ an der Spree geht es dann sogar hoch her, denn hier entdecken die taiwanischen Tanten das wahre Berlin. Die Kellner haben Tattoos und Piercings (wie cool!), sind aber extrem nett zu den ausländischen Besucherinnen. Nach dem ersten Hefeweizen folgt ein Scherz auf den anderen. Die Gerichte, darunter Steak und Flammkuchen, stellen sie nach chinesischer Sitte in die Mitte und bedienen sich alle von allem. Nach dem zweiten und dritten Weizen plus Dessert verlassen die Damen den Laden in Hochstimmung.
Berlin ist halt nicht so prächtig wie Paris – doch wer sucht, kann hier auf viel herzlichere Erlebnisse hoffen als bei den Franzosen, die bei Touristen aus China zunehmend als „hochnäsig“ und „distanziert“ gelten, wie sie in Reiseforen klagen.
An vielen chinesischen Touristen wie der kunstinteressierten Zhang Nan gehen die Kneipenrestaurants und das Nachtleben jedoch vorbei, denn sie wissen meist einfach nicht, wohin sie gehen sollen. Die organisierten Gruppen werden dagegen allzu oft von ihren Bussen in der Filiale des Hofbräuhauses am Alex abgeladen – und halten das dann für typisch deutsch. Kein Wunder, dass sie kaum einen Unterschied zu München erkennen. Beim Hinausgehen knipsen sie dann immerhin noch ein Selfie mit dem Fernsehturm im Hintergrund.