City Farming: Oben sonnt sich die Tomate, unten blubbert der Fisch

Berlin - Ilse Aigner hat ihren Fisch Nepomuk genannt“, erzählt Christian Echternacht und streut Futter ins 1000-Liter-Aquarium. „Sie ist seine Patin.“ Er zeigt auf die Barsche, die sich an der Wasseroberfläche drängeln und nach dem Futter schnappen: „Mit den Patenschaften finanzieren wir das Bio-Futter, am Ende bekommen die Leute den Fisch.“ Wie die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die vor ein paar Wochen bei der jungen Firma „Efficient City Farming“ zu Besuch war. Ihr Patenbarsch ist einer von 200 Tilapias, das sind robuste Speisefische. Sie wohnen im Inneren eines umgebauten Industriecontainers, auf dem Hof einer ehemaligen Malzfabrik mitten in Berlin. Früher wurde hier Schultheiss-Bier gebraut.

In einem Gewächshaus auf dem Containerdach wachsen Tomaten, Gurken und Kräuter. Ihre Wurzeln liegen zwischen Steinwolle in Wasserwannen, genährt von nährstoffreichem Wasser aus der Fisch-Etage unter ihnen. Während oben knallrote Tomaten und sattgrüne Gurken in der Sonne glänzen, blubbert und gurgelt es unten in Pumpen, Becken und Rohren.

„Wir arbeiten mit einem System, das Stoffwechselvorgänge der Natur nachahmt“, erklärt Echternacht. Das Aquaponik genannte Verfahren erlaubt eine platz- und wassersparende, CO2-neutrale Fisch- und Gemüse-Produktion. Sie kommt ohne Antibiotika aus, belastet die Umwelt nicht mit Abwässern, sondern düngt damit – ganz biologisch – das Gemüse. Um Fische und Pflanzen kümmern sich Echternacht, Karoline vom Böckel und Nicolas B. Leschke, die im März die „Efficient City Farming“ (ECF) GmbH gegründet haben. Ihre Firma konzipiert und plant Aquaponik-Anlagen. Sobald ein Auftraggeber es wünscht, baut sie die auch. Die drei lernten sich in der Malzfabrik kennen, einem Ort der nicht nur auf Kreativität und Kultur, sondern Nachhaltigkeit setzt. Wer hier arbeitet oder Räume mietet, muss Ökoseife, Fair-Trade-Kaffee, Biomilch, Leitungs- statt Flaschenwasser, Recyclingpapier und Mülltrennung mögen.

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Herzstück der City Farmen

„Klar wollen wir die Umwelt schützen“, erklärt Echternacht, der in seinem T-Shirt nicht gerade wie ein glatter Jungunternehmer aussieht. „Wir suchten nach einem Weg, Ökologie und Ökonomie“ zu verbinden.“ Die junge Firma arbeitet eng mit dem Leibnitz Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei am Müggelsee zusammen. Deren patentiertes System ASTAFPRO, eine besonders effiziente Variante der Aquaponik, ist das Herzstück jeder ihrer City Farmen.

Echternacht und seine Freunde vermarkten eine innovative „grüne“ Technologie, die auf globale Probleme reagiert. Immerhin lebt seit 2008 mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten. Wasser, Öl und auch Platz werden knapper, die CO2-Bilanz eines Produkts immer wichtiger. Was liegt da näher, als die Nahrung dort zu produzieren, wo die Verbraucher sind? Echternacht zeigt auf die Tomaten: „Die Leute haben es satt, dass ihr Essen von weither angefahren wird – in der eigenen Stadt können sie sehen, wie es wächst.“ Immer mehr Menschen gärtnern mitten in der Stadt, auf Balkons, in Schreber- und Gemeinschaftsgärten.

Im Oktober landet Nepomuk auf den Grill

Die 16m²-Containerfarm in der Malzfabrik dient allein Probe- und Vorführzwecken, sie zeigt im Kleinen, was im Großen möglich ist – auf Dächern und Brachen, in alten Industrieanlagen. Die auf dem Containerdach geernteten Tomaten, Chilis und Gurken werden verschenkt. An Besucher, Journalisten, Freunde oder Leute, die auf dem Malzfabrik-Gelände arbeiten. Als Nena und ihre „Popstars“ dort drehten, bekamen sie auch welche ab. „Und natürlich essen wir sie auch selber“, erzählt Caroline vom Böckel und lacht.

Für das nächste Jahr plant das ECF-Team eine eigene 1000m²-Stadtfarm auf einer Brache neben der Malzfabrik. „Wir wollen zwar eigentlich nicht selbst im großen Stil Stadtfarmer werden, müssen aber zeigen, dass es geht“, erklärt Echternacht. „Ein Quadratmeter bringt nach unseren Schätzungen im Jahr ungefähr 35 kg Tomaten hervor, die Farm also entsprechend 35 Tonnen.“ Über die Abnahme solcher Mengen macht sich das Team keine Sorgen. „Wir sind im Gespräch mit Vertretern großer Einzelhandelsketten.“ Außerdem arbeiten die drei gerade an einer Machbarkeitsstudie für die Rathenau-Hallen in Berlin Köpenick. Wo man früher AEG Transformatoren baute, könnten bald Barsche schwimmen und Gurken reifen.

Die Container-Fische werden übrigens am 3. Oktober geschlachtet und bei einem „Barsch-Barbecue“ verspeist. Dann landet Nepomuk auf den Grill. Starkoch Tim Mälzer hat auch einen Fisch reserviert. Echternacht freut sich schon darauf: „Die Zubereitung übernimmt Kai Neumann von Foodpol. Er hat die letzten Echo-Verleihungen ausgerichtet, bekocht The Voice of Germany und nun auch unsere Gäste. Das wird lecker!“