Comics und Graphic Novels: Berlin im Comic-Rausch

Berlin - Als Bert Henning um 11 Uhr die Tür zum Comic-Laden Grober Unfug öffnet, steht schon eine ältere Frau davor. Sie kauft ein Asterix-Heft, natürlich das neueste, das letzten Oktober erschienen ist. „Das hat sich super verkauft“, sagt Henning. Er hatte es nicht anders erwartet. Es ist das erste, das der Erfinder nicht selbst gezeichnet hat. „Es ist interessant, zu sehen, wie jemand anderes mit den Figuren umgeht“, sagt Henning, der selbst Comic-Zeichner ist und einer der Inhaber von Grober Unfug, einer Berliner Institution in Kreisen von Comic-Liebhabern.

Der kleine Laden in der Zossener Straße ist ein farbenfrohes Universum. Die hohen Regale sind beschriftet mit Neuerscheinungen, Fantasy, Helden, Kindercomics, oder Berlin, die meisten der bunten Bände darin sind keine zeitschriftenartigen Heftchen, wie man sie vielleicht noch mit Mickey Mouse in Verbindung bringt, sondern hochwertige Bücher mit Hardcover auf dickem, glänzenden Papier.

Bedruckte Shirts hängen zwischen den Regalen, darauf thronen kreischbunte Stofftiere der Serie Ugly Doll, Asterix und Obelix in Plüsch oder eine Darth Vader-Maske. Vor einer Vitrine stehen Simpsons-Kaffeebecher, darin baden Plüsch-Snoopys, Tim und Struppi-Figuren und einiges mehr. Schon kurz nachdem die ältere Dame gegangen ist, ist der Laden voll: Zwei Zehnjährige erstehen ein Lucky Luke-Heft, ein Paar um die Fünfzig blättert in einer Ausgabe des Agenten-Comics XIII und nimmt gleich zwei Bücher mit, eine Mutter kauft ihrem Sohn das neueste Batman-Abenteuer.

Nicht etwas für Doofe

Als ein paar comic-enthusiastische Lehrer den Laden 1982 gründeten, war nicht abzusehen, dass Comics jemals einen breiten gesellschaftlichen Zuspruch finden würden. Damals galten die gezeichneten Geschichten als Kinderkram oder als „etwas für Doofe“, wie Bert Henning es formuliert. „Der Laden sollte mit seinem handverlesenen Programm zeigen, dass Comics auch für intelligente Menschen sind.“ Zu den Gründern gehört keiner der drei jetzigen Inhaber, doch alle kamen nicht lange nach der Eröffnung dazu. Henning, 53 Jahre alt, ist seit 1987 Besitzer und hatte davor schon hin und wieder ausgeholfen. Auch Didi und Stulle-Zeichner Fil oder Touché-Zeichner Tom standen hier als Verkäufer hinterm Tresen.

In den Anfangsjahren, also im West-Berlin der 80er Jahre, erzählt Bert Henning, war die Berliner Comic-Szene sehr politisch und vor allem links. „Mittlerweile ist sie stilistisch breiter geworden und viel interessanter“, sagt er. Thematische Schwerpunkte hatte der Laden nie, in Grober Unfug werden alle Sparten abgedeckt. „In England oder Japan könnte man auch einen Laden machen, der nur Mangas oder nur antiquarische Hefte verkauft“, sagt Henning. In Deutschland gehe so etwas nicht. Zwar sei die Akzeptanz für Comics schon größer als früher, doch so groß wie in anderen Ländern noch lange nicht.

Die Schwerpunkte im bei Grober Unfug haben sich je nach den jeweiligen Trends geändert. Und mit den Trends die Kunden: Anfangs kamen vor allem Studenten, Linke, Hausbesetzer und Leute aus dem Kiez. „Zum Superhelden-Heftchen-Boom kam dann ein ganz anderer Menschenschlag“, sagt Henning. „Und mit der Manga-Welle viele Frauen.“ Mit diesem Trend ging allerdings die Stammkundschaft aus dem Kiez verloren. „Mangas konnte man an jedem Bahnhof kaufen, also kamen die Leute nicht mehr zu uns.“ Momentan stehen Graphic Novels, also gezeichnete Romane, hoch im Kurs. „Dadurch kommen jetzt auch Leute, die intellektueller und bürgerlicher sind“, sagt Henning. Ein großer Teil der Kunden sind aber Touristen. „Sie sind sehr wichtig für uns“, sagt er, „schon seit zehn Jahren“, denn der Kiez habe ja schon vor zwanzig Jahren begonnen, sich zu ändern, als die Bergmannstraße zur „Fressmeile“ wurde. Fürs Geschäft war das gut.

Der 50-jährige Punk

Neben dem Geschäft in der Zossener Straße, das vor allem deutschsprachige Comics führt, haben Henning und seine Kollegen 1997 eine Filiale in Mitte eröffnet. Dort bieten sie insbesondere internationale Comics in den Originalsprachen an: aus Japan, Großbritannien, den USA, Frankreich oder Belgien.

Mit englischen und französischen Heften sind sie an diesem Samstag zum zweiten Mal beim Comicfestival im Urban Spree auf dem RAW-Gelände dabei. Neben Büchertischen von Verlagen, Händlern und Zeichnern gibt es auch eine Ausstellung, Konzerte und Live-Zeichnen. „Es ist eine kreative und heimelige Atmosphäre dort“, sagt Henning, dem es letztes Jahr sehr gefallen hat, auch weil dort viele Leute hinkommen, die sonst nichts mit Comics zu tun haben: Studenten, Touristen, Leute, die einfach vorbeischlendern und in Heften blättern.

Um denen etwas zu bieten, wird er paar Nischenprodukte wie schwul-lesbische Comics oder englische Fanzines dabei haben und auch einen neuen Berliner Comic anbieten: „Der 50-jährige Punk“.

Den hat er selbst gezeichnet.