Das Leben mit dem Coronavirus ist mitunter schlimm, genauso schlimm sind allerdings die Nebenwirkungen. Hat man die ärgste Passage mit tagelangem Nichtschluckenkönnen, Übelkeit und Schüttelfrost hinter sich gebracht, bleibt einem die Husterei.
Diese Welt der Kranken hält einen lange gefangen. Mitunter sogar jahrelang tat sie das auch bei den an Tuberkulose Erkrankten im schweizerischen Davos. Schriftsteller Thomas Mann (1875–1955) beschrieb die daraus entstehenden persönlichen Entwicklungen in seinem Roman „Der Zauberberg“.
Obwohl die Geschwächte es schließlich Ende der ersten Krankheitswoche vom Bett aufs Sofa geschafft hatte, bot das nur wenig Unterhaltungsgewinn. Lesen und Fernsehen sind einseitige Kommunikation, herbeigesehnt werden echte Menschen, echte Schwätzchen. Isoliert ist man sowieso noch, da im positiven Banne des Virus, raus darf man also nicht, aber es böte sich reichlich Plaudern per Phone an. Aber wie, wenn der Hals hin ist, husten statt sprechen amüsiert keinen.
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Klingt der Husten heute anders?
Also Gespräche per Nachrichtendienst auf dem Smartphone. Kurze, aufs Wesentliche reduzierte Sätze, morgens und abends mindestens die Mitteilung „Ich lebe noch“. Damit erreicht man den Bereich der medizinischen Unterhaltungen. Die tun keinem gut, ist meine Krankheitserfahrung.
So erfreulich es ist, dass sich jemand für einen interessiert, so zwiespältig ist der Kontakt auch. Der Frage-Klassiker „Wie geht es dir heute?“ führt zum In-sich-Reinspüren. So wie auf dem Zauberberg regelmäßig ängstlich das Fieberthermometer betrachtet wird. Sind die Symptome heute weniger als gestern? Klingt der Husten anders als vor einer Woche? Habe ich etwas abgehustet, wenn ja, wie viel? Detaillierte Statusmeldungen bestimmen das seelische Befinden.
Der Appetit, das Herzklopfen, die Stimme
Was man sonst im Alltag schnell durchwinkt, weil zu viel zu tun und man ständig unterwegs ist, lädt sich nun in Ermangelung von Gesprächspartnern in der Einsamkeit zu enormer Bedeutung auf. Der Appetit, das Herzklopfen, die Stimme, alles wird permanent einer Qualitätsprüfung unterzogen.
In der Abgeschlossenheit der behüteten einsamen Krankenstube entfaltet das böse Virus seine ganze morbide Macht. Sein Zauber reicht weit über Lunge und Hals hinaus. Die Rückkehr in die Welt der Gesunden wird mit jeder vergehenden Minute fraglicher. Wird man die Wiederbegegnung mit der Wirklichkeit bestehen?