Minderjährige in Berlin auf dem Strich: „Warum bist du so spät noch unterwegs?“

In Schöneberg suchen nachts 14-jährige Jungen nach Freiern. Die Zuhälter: ihre Väter, Onkel oder Cousins. Unterwegs mit der Sondereinheit der Berliner Polizei.

Collage: Links der Basketballkorb auf dem Spielplatz im Regenbogenkiez in Schöneberg, rechts ein Junge aus dem Balkan.
Collage: Links der Basketballkorb auf dem Spielplatz im Regenbogenkiez in Schöneberg, rechts ein Junge aus dem Balkan.Grafik: BLZ. Verwendete Bilder: Max Zimmermann (li.), Imago

Der Fußballplatz, die Tischtennisplatte, die runden Bänke sind nur noch Schatten in der Dunkelheit. Die helle Wildlederjacke des Jungen hebt sich davon deutlich ab. Er ist nicht älter als 14 oder 15 Jahre, trägt zur Jacke eine enge Jeans. Neben ihm stehen mehrere Polizisten mit Taschenlampen und schweren Schutzwesten. Sie haben vorher weitere Jugendliche kontrolliert, hier auf dem Spielplatz im Schöneberger Regenbogenkiez. Jetzt konzentrieren sie sich ganz auf ihn. Der Junge feixt, als wäre alles ziemlich witzig.

Emil Stocker fragt den Jungen: „Warum bist du so spät noch unterwegs?“ Er ist Kriminaloberkommissar des LKA 42, zuständig für Menschenhandel und Zwangsprostitution Minderjähriger. Der Junge zuckt mit den Schultern und grinst. „Einfach so“, sagt er in gebrochenem Deutsch. Über seine Wangen ziehen sich tiefe Akne-Narben, ein dünner Schnurrbart ziert seinen Mund. „Wo kommst du her?“, fragt Stocker weiter. Er spricht ruhig, kumpelhaft. „Aus der Nähe von Craiova, Rumänien“, sagt der Junge und schaut, als wüsste der Polizist ohnehin nicht, wo das liegt.

Ein Fußballtor auf dem Spielplatz im Schöneberger Regenbogenkiez
Ein Fußballtor auf dem Spielplatz im Schöneberger RegenbogenkiezMax Zimmermann für Berliner Zeitung

Sie stehen im Herzen des Berliner LGBT-Kiezes, Fuggerstraße Ecke Eisenacher Straße, in einer lauen Sonnabendnacht um kurz nach ein Uhr. An den Spielplatz grenzen mehrere Bars. Männer sitzen davor mit ihren Cocktails. Stocker, seine Kolleginnen und Kollegen sind an diesem Abend hier, weil durch die Bars regelmäßig auch minderjährige Jungs tingeln, die sexuelle Dienstleistungen anbieten. Einen Blowjob oder mehr. Für meist nur 20, 30 Euro.

Das Berliner LKA 42 beherbergt das einzige Kommissariat in Deutschland, das sich gezielt mit der Zwangsprostitution Minderjähriger beschäftigt. Zusammen mit einer Kollegin kümmert sich Stocker seit 2017 vor allem um rumänische Jungen. Damals gab es den ersten großen Fall. Es ging um 17 Jungen, manche gerade einmal elf Jahre alt, die im Tiergarten ihre Körper verkaufen mussten. Die Täter: ihre Väter, Onkel, Brüder und Cousins. Das Verfahren endete mit acht Verurteilungen und Haftstrafen von bis zu sechseinhalb Jahren. Es offenbarte Netzwerke, die sich bis heute von Rumänien aus in viele europäische Großstädte erstrecken. Nach Mailand, London, Amsterdam, Berlin.

Eines der Kirchenfenster an der Ostseite der Zwölf-Apostel-Kirche in Schöneberg
Eines der Kirchenfenster an der Ostseite der Zwölf-Apostel-Kirche in SchönebergMax Zimmermann für Berliner Zeitung

Fast ausschließlich kommen die Jungen aus Dolj, einer Gegend im Südwesten Rumäniens. Die Hauptstadt der Region heißt Craiova – die Heimat des Jungen auf dem Spielplatz.

„Die Gegend hier ist gefährlich für dich“, sagt Emil Stocker zu ihm. Wieder grinst der Junge. „Du kannst hier nicht bleiben, kann dich jemand abholen, der verantwortlich für dich ist?“ Der Junge antwortet, er wisse es nicht. Dann zieht er sein Telefon aus der Hosentasche und wählt eine Nummer. Ein Freizeichen ist zu hören.

Prostituierte auf den Straßen von Schöneberg

Emil Stocker heißt eigentlich anders. Sein Name soll öffentlich nicht genannt werden. Inzwischen ist er vom Sachbearbeiter zum Führungsassistenten des Dezernats aufgestiegen. Weil er noch immer bei Einsätzen dabei ist, besteht er auf Anonymität. Es ist eine der vielen Bedingungen, unter denen der Reporter die Beamten des LKA an diesem Abend begleiten darf.

Der Einsatz hat einige Stunden vor der Situation auf dem Spielplatz begonnen. In einem dunklen Van ohne Polizeikennzeichen, inmitten des Schöneberger Rotlichtmilieus.

Paragraf 232a Strafgesetzbuch: Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren veranlasst, die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen. Der Versuch ist strafbar.

Es ist etwa elf Uhr nachts. Den Tag über sind Hunderttausende Raver durch die Stadt gezogen. Die Loveparade ist zurück in Berlin. Rund um den Nollendorfplatz entwickelt sich das typische Sonnabendabendgeschehen. Vor den Bars versammeln sich junge Leute. Auf den Gehwegen torkeln Betrunkene. Mitten auf der Bülowstraße balancieren zwei Jugendliche auf einem Skateboard einen Kasten Bier. Hinter ihnen fährt Emil Stocker im schwarzen Van. Neben ihm sitzt seine Chefin, Kriminaloberrätin Sylke van Offern, die Dezernatsleiterin des LKA 42.

Das Plakat „Ball Games Instead Of Blow Jobs“ der Präventionskampagne der Polizei wird von Hilfsorganisationen kritisiert.
Das Plakat „Ball Games Instead Of Blow Jobs“ der Präventionskampagne der Polizei wird von Hilfsorganisationen kritisiert.Max Zimmermann für Berliner Zeitung

Van Offern und Stocker schauen nicht auf das Partygeschehen. Ihre Blicke gelten dem Nachtgeschäft, das sich inmitten des Getümmels entfaltet. Zwischen den parkenden Autos auf der Kurfürstenstraße stehen Frauen in Miniröcken und gepushten Oberteilen. Die Polizisten taxieren ihre Gesichter. Zwei der Frauen sehen sehr jung aus. Jünger als erlaubt?

„Es gibt eine klare Aufteilung“, erklärt Stocker. Rund um das Sexkino und den Erotikmarkt LSD an der Ecke Potsdamer Straße seien vor allem ungarische Prostituierte unterwegs. „Das ist der klassische Straßenstrich.“ Er fährt auf einen düsteren Parkplatz hinter dem LSD. Hier, in den dunklen Ecken, hätten Prostituierte oft mit ihren Freiern Sex. Im Scheinwerferlicht seines Vans huschen Ratten unter dicke Limousinen. Man sieht polnische, ungarische, bulgarische Kennzeichen. „Ziemlich sicher die Wagen der Zuhälter“, sagt Stocker.

Die meisten legalen Sexworker auf dem Straßenstrich haben ihren festen Stand. Eine Kreuzung, eine Laterne, in deren Nähe sie ihre Dienste anbieten. Dieser Ort sei hart umkämpft und werde gegen Neulinge verteidigt, sagt Stocker. Die rumänischen Jungs dagegen seien flexibler unterwegs. Je nach Bedarf, je nach Tageszeit pendelten sie zu Fuß zwischen dem Tiergarten und dem Nollendorfplatz hin und her. Die Familien schickten ihre Jungen gezielt in diese Gegenden, um die Strukturen der Sexworker, aber auch die Cruising-Plätze der Schwulen-Community auszunutzen.

Der Erotikmarkt LSD in der Potsdamer Straße in Schöneberg
Der Erotikmarkt LSD in der Potsdamer Straße in SchönebergMax Zimmermann für Berliner Zeitung

Paragraf 182 Strafgesetzbuch: Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

Die Ermittlungen des LKA sind langwierig. Es dauert, bis ein Täter überführt werden kann. Die Straftat – die Vermittlung an einen Freier – geschieht meist im Verborgenen. Täter, das sind in dem Fall die Familienangehörigen. Sie sind die Zuhälter. Täter können aber auch die Freier sein, die die Situation der Jungen kennen und sie für ihre Neigungen bewusst ausnutzen. Immer wieder komme es vor, sagt van Offern, dass man bei diesen Menschen Kinderpornos sicherstelle, Pädophilen-Netzwerke im Internet auftue. Als würde man in ein Wespennest stoßen.

Die Familie steht für die Jungen über allem

Lukas Weber, der Geschäftsführer des Vereins Hilfe für Jungs, kennt das Problem der minderjährigen Rumänen gut. Zweimal die Woche sind seine Streetworker in Schöneberg und im Tiergarten unterwegs. In den Räumen seines Vereins finden die Jungen einen Ort, an dem sie sich waschen können, schlafen, und keine Sorge haben müssen vor Jugendamt oder Polizei. Er sagt: „Das sind Jungen, die schon sehr früh im Leben lernen mussten, dass Geld wichtig ist und das jeder in der Familie etwas beitragen muss, damit welches reinkommt.“ Deswegen sei es sehr schwer, an die Jungen heranzukommen. „Die Familie steht über allem.“ Als Opfer würden sich die wenigsten empfinden.

Es ist ein Problem, von dem auch Sylke van Offern erzählt. „Wenn wir die Jungen zum Jugendnotdienst bringen oder in eine Notunterkunft, haben sie die Einrichtungen meist innerhalb kürzester Zeit wieder verlassen“, sagt sie. Während sie spricht, presst Emil Stocker den Finger auf das rechte Ohr. Er hat den Wagen angehalten, ist in Kontakt mit weiteren Teams des LKA, die in der Nähe unterwegs sind. Einige beobachten in Zivil, ob sich minderjährig aussehende Jungen vor oder in den Bars aufhalten.

Jungen und Zwangsprostitution – ein lange ignoriertes Thema

„Es ist reichlich Bewegung im Kiez“, sagt Stocker. Viele Touristen seien unterwegs, in den Bars sei die Hölle los. Er gibt wieder, was die Kollegen ihm durchgeben: „Rote Adidas-Jacke, hellbraunes Cappy. Goldgelb karierte Jacke, ganz schlank, ganz klein. Goldene Jacke hat gerade das Objekt betreten.“ Es klingt kryptisch, doch gemeint sind Minderjährige, die möglicherweise als Stricher unterwegs sind.

Eine ältere Dame tritt an den Wagen der Polizisten und unterbricht ihn. „Na, ihr beiden Hübschen?“ Stocker antwortet freundlich: „Na, wir sind von der Polizei.“
„Ist nicht verkehrt“, sagt die Dame und lacht. Sie trägt ein enges Korsett, hat angegrautes Haar. „Es kommen auch oft Pärchen her, die wat wollen.“
„Darf ich was fragen“, sagt Stocker. „Ich habe da vorne zwei junge Frauen gesehen, die kenne ich hier eigentlich nicht.“
„Es werden immer mehr“, sagt die Frau. „Ungarinnen sind das, irgendwie müssen sie alle leben.“

„Ich weiß nicht, ob die das alle so toll finden. Einige sind noch recht jung, oder?“, sagt Stocker.
„Man hört so einiges. Teilweise werden die ja schon mit 14 Jahren verheiratet“, sagt die Frau. Dann verabschiedet sie sich. Manchmal, sagt Stocker, bekomme man aus solchen Gesprächen auf dem Strich wichtige Informationen. Und Mädchen, die von Zwangsprostitution betroffen seien, gebe es ebenso. Das Problem der Jungen allerdings sei der Gesellschaft kaum bekannt.

Die Fassade des Metropol in Schöneberg gegenüber vom Nollendorfplatz
Die Fassade des Metropol in Schöneberg gegenüber vom NollendorfplatzMax Zimmermann für Berliner Zeitung

Emil Stocker fährt weiter, biegt in eine dunkle Straße ein und stoppt abrupt. An der Ecke, vor einer Billard-Bar, stehen zwei junge Männer. „Das sind unsere Jungs“, sagt Stocker und wendet. Er wolle keine Aufmerksamkeit erzeugen. Unsere Jungs – das seien Betroffene oder solche, die es einmal waren. Stocker kennt sie schon länger. Inzwischen seien einige von ihnen über 18. Doch noch immer fühle man sich für die Jungen verantwortlich. „Die, die wir nicht rausgeholt haben, sind noch dabei“, sagt er. „Sie sind in der Hierarchie aufgestiegen, sind von Opfern zu Tätern geworden.“

2021 wurden in Rumänien 429 Personen Opfer des Sexhandels. Die Hälfte von ihnen waren Kinder. Das berichtete die britische BBC.

Schon in den 80ern gab es Jungen, die Opfer von Zwangsprostitution waren

Das Problem, dass rumänische Jungen von ihren Familien sexuell ausgebeutet werden, ist ein altes. Emil Stocker vermutet, dass es das Phänomen schon in den 1980er-Jahren gab. 2003 machte der bei CNN ausgestrahlte Dokumentarfilm „Cutting Edge – The Child Sex Trade“ auf die Situation aufmerksam. Der Film beginnt in Bukarest, wo er Straßenkindern folgt, die zwischen Kanalschächten und Bahnhofstoiletten aufwachsen, abhängig vom Industriemittel Aurolac, dessen Dämpfe sie aus Plastiktüten inhalieren. Um zu überleben, verkaufen sich die Kinder an Pädosexuelle – für ein paar Münzen, warme Stiefel, etwas zu essen. Es wird das Netzwerk eines Briten aufgedeckt, der Deutschen, Holländern und anderen Touristen ein paar Stunden mit rumänischen Jungen verkauft und sie in ganz Europa verteilt. Und dann reist der Regisseur mit seiner Kamera nach Mailand. Dort trifft er auf dunklen Straßen rumänische Kinder, die ihm von ihren Vätern angeboten werden.

Am Nollendorfplatz in Schöneberg hängt eine Regenbogenfahne.
Am Nollendorfplatz in Schöneberg hängt eine Regenbogenfahne.Max Zimmermann für Berliner Zeitung

Es gibt kaum Forschung zum Phänomen. Es ist ein weitestgehend ausgeblendetes Thema. Deswegen ist es schwer, Aussagen darüber zu treffen, aus welchen Gründen Familien ihre Kinder auf diese Weise ausbeuten.

Christoph Gille, Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Düsseldorf, hat sich 2007 in seiner Doktorarbeit unter anderem mit rumänischen Männern beschäftigt, die in Deutschland Geld in der mann-männlichen Prostitution verdienen. Zwar geht es in seiner Arbeit vor allem um volljährige Sexworker. Doch Gilles Untersuchungen können zumindest in Teilen auch Aufschluss über die Motive der Familien der Minderjährigen geben. Er macht für die Migration der rumänischen Sexworker nach Deutschland zwei entscheidende Motive aus: die Flucht vor großer Armut und das Streben nach Luxus. Sexarbeit werde teils als letzte Chance gesehen, einerseits zu überleben, andererseits auch das große Geld zu machen. Dieses Verständnis erlaube es auch Männern, sich anderen Männern anzubieten, die sich eigentlich nicht als schwul betrachten.

Die meisten der Jungen sind nicht mal schwul

Das LKA in Berlin geht ebenfalls davon aus, dass viele der rumänischen Jungen auf dem Berliner Strich nicht schwul sind. Auch für Emil Stocker spielen die Armut in Rumänien und der Drang nach einem besseren Leben eine entscheidende Rolle für die Motive der Familien, die ihre Kinder ausbeuten. 2019 reiste er nach Dolj, woher die meisten der zwangsprostituierten Jungen in Berlin herkommen, und traf sich dort mit rumänischen Polizisten, die das Problem vor Ort bekämpfen. Er erzählt von großer Armut, von einfachsten Verhältnissen, in denen die Menschen dort leben.

Er sagt: „Menschenhandel betreiben die Familien, sie haben die Tatherrschaft über die Jungen, sie bestimmen, wo sie hinkommen, behalten das Geld ein.“ Und auch aufseiten der Freier, der pädosexuellen Kriminellen, gebe es Strukturen, Mittelsmänner, die dabei unterstützen, dass die Jungen nach Westeuropa kommen. Berlin sei vor allem nach der Wende als – in Anführungszeichen – Arbeitsort attraktiv geworden. „Im Osten gab es viele leer stehende Gebäude, in denen die Familien unterkommen konnten.“

Paragraf 232 Strafgesetzbuch: Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn diese Person ausgebeutet werden soll bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person.

Viele der Schaufenster in Schöneberg werden in der Nacht vergittert.
Viele der Schaufenster in Schöneberg werden in der Nacht vergittert.Max Zimmermann für Berliner Zeitung

Es ist inzwischen kurz nach Mitternacht. Stocker presst wieder den Finger auf das Ohr. Die Teams des LKA schließen sich kurz. Die Jungen, die beobachtet wurden, sollen jetzt kontrolliert werden. Die Polizisten, elf sind es insgesamt, ziehen ihre Westen an. Dann fahren sie zum Spielplatz, auf dem auch der Junge mit den Akne-Narben steht. Von allen Seiten strömen sie auf den Platz und beginnen, die Jugendlichen zu befragen und ihre Identität zu kontrollieren. Im Hintergrund hängt ein Plakat, auf dem steht: „Ballspielen statt Blowjobs“.

Die Polizei ist im Kampf gegen die Ausbeutung der Jungen auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. „Wir können nicht überall sein“, sagt van Offern. Es sei auch nicht gut, wenn die Polizei andauernd Kontrollen durchführe, überpräsent sei. Es könne schnell geschehen, dass sich eine Community diskriminiert fühle. Im Fall der minderjährigen Jungen gibt es gleich mehrere Personengruppen, die regelmäßig unter Stigmatisierung leiden. Unter anderem die LGBT-Szene und die legale Sexarbeiter-Szene.

Berliner Polizei: Die Jungen sind Opfer, aber teilweise auch Täter

Kürzlich hat das LKA die Präventionskampagne gestartet, deren Plakat auf dem Spielplatz zu sehen ist. „Ballspielen statt Blowjobs – gegen Zwangsprostitution“ richtet sich an Anwohner, Freier und Touristen. Die Bevölkerung müsse aufmerksamer für das Problem gemacht werden. „Wenn mitten in der Nacht ein Junge mit einem älteren Mann auf einem Spielplatz steht, dann ist das nicht normal“, sagt van Offern. Doch viele Leute, die etwas sehen, meldeten sich nicht. Als wollten sie lieber nichts mit dem Schicksal der Jungen zu tun haben. Vielleicht auch, weil es ein zweischneidiges Schwert mit ihnen sei.

„Die Jungen sind Opfer“, sagt van Offern, teilweise seien sie aber auch Täter. „Sie treten insbesondere mit Diebstählen in Erscheinung und werden von ihrem Umfeld überwiegend als Täter oder Störfaktor wahrgenommen.“ Die Kampagne des LKA versucht, den Blickwinkel zu ändern.

Die Rückseite des Spielplatzes in der Eisenacher Straße in Schöneberg
Die Rückseite des Spielplatzes in der Eisenacher Straße in SchönebergMax Zimmermann für Berliner Zeitung

Für Lukas Weber vom Verein Hilfe für Jungs ist die Kampagne des LKA wichtig, auch wenn sie für die Jungen unglücklich formuliert sei. „Es ist nicht richtig, den Kindern zu suggerieren, sie hätten eine Wahl und könnten einfach Fußball spielen gehen“, sagt er am Telefon. „Die Wahl haben sie nicht.“ Vor allem die Übersetzung auf den englischen Plakaten (Ball Games Instead Of Blow Jobs) hält er für problematisch. Das englische „ball“ diene auch der umgangssprachlichen Bezeichnung für Hoden und könne deshalb in der Kombination mit „blow jobs“ leicht missverstanden werden.

Auf dem Spielplatz taucht, während Emil Stocker mit dem Jungen aus Craiova spricht, ein junger Mann mit großen Oberarmen auf. Sein Bart ist fein rasiert. „Was geht hier ab?“, ruft er und lacht. „Was macht ihr mit meinem Cousin?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hastet er noch mal zur Straße, bezahlt ein Taxi, kommt zurück, fängt mit den Polizisten ein Gespräch an, gibt unterdessen einem anderen Mann, der bei ihm ist, einen Zehn-Euro-Schein, schickt ihn wieder weg. Er benimmt sich, als gehöre ihm die Welt.

Es dauert lange, bis ein Täter der Zwangsprostitution überführt wird

Stocker wendet sich an ihn. „Sie wissen, dass das hier eine gefährliche Gegend für die Jungen ist, oder?“
„Ja, ich weiß“, antwortet der Mann.
„Wir sind hier, weil hier minderjährige Jungen dazu gezwungen werden, sich zu prostituieren, wussten Sie das?“
„Ja, ich weiß, es ist schwierig“, antwortet der Mann. Dann muss er wieder weg. Seinem Cousin kann oder will er offenbar nicht helfen. Die Polizisten schauen ihm hinterher, ehe sie sich wieder an den Jungen wenden. Fast wirkt es, als habe der Mann gerade ein bisschen zu viel gesagt.

Ein Beamer strahlt Werbung auf die Fuggerstraße in Schöneberg. Ein Fahrrad fährt daran vorbei, der rote Strich ist das Rücklicht.
Ein Beamer strahlt Werbung auf die Fuggerstraße in Schöneberg. Ein Fahrrad fährt daran vorbei, der rote Strich ist das Rücklicht.Max Zimmermann für Berliner Zeitung

Der Einsatz des LKA dauert seit vier Stunden an. Bis auf den rumänischen Jungen wurden alle anderen des Platzes verwiesen. Aus den Bars dröhnt Schlagermusik, gegenüber wirft jemand schon zum zweiten Mal seinen Roller um. Stocker geht mit zwei Kollegen in eine der Bars, die direkt neben dem Spielplatz liegen. Sie schlängeln sich durch die eng beieinanderstehenden Männergruppen. Es gibt Kommentare: „Oh, der könnte mich auch mal verhaften.“ Im hinteren Teil des Ladens steht ein junger Mann in zerrissenen Jeans. Stocker kennt ihn. Ein ehemaliger Betroffener. Sie unterhalten sich. Wie geht es dir, fragt Stocker. Es gehe ihm gut, er habe inzwischen ein Kind, sagt der Mann. Was er dann noch hier mache? „Geld verdienen.“

Draußen auf dem Spielplatz sind inzwischen zwei ältere Männer in einem Wagen aufgetaucht. Es sind diejenigen, die der Junge mit der Akne angerufen hat. Sie wollen ihn abholen. Die Polizisten kennen auch diese Männer. „Hey dein Deutsch ist gut geworden“, sagen sie, als begrüßten sie alte Bekannte. Der Junge darf gehen. Stocker schaut ihm hinterher. Dann ruft er: „Wir wollen dich hier nicht mehr wiedersehen, ja!“ Der Junge dreht sich nicht einmal mehr um, steigt mit den beiden Männern in den Wagen. Man hört noch ein lautes Lachen von ihnen, dann knallt die Tür zu und sie brausen davon.