13-Jähriger im Monbijoupark erstochen: Lebenslange Haft wegen Mordes für Täter
Der Fall wurde zum zweiten Mal verhandelt. Diesmal erhielt Gökhan Ü. Höchststrafe. Er reagierte mit einem Wutanfall – und hörte der Urteilsverkündung nicht zu.

Das neue Urteil fällt um 14.20 Uhr am Dienstag: Der 42-jährige Gökhan Ü., der vor zwei Jahren den Jungen Momo in Berlin erstach und einen zweiten jungen Mann schwer verletzte, muss lebenslang in Haft. Wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Die Tat sei aus niedrigen Beweggründen geschehen, begründet die Richterin Ingrid Wagner-Weßel das Urteil.
Erklärt werden könne das Geschehen mit dem narzisstischen männlichen „Aufblähen“ des Angeklagten. Gökhan Ü. vertusche seine Minderwertigkeitsgefühle mit klischeehaftem Männlichkeitsgebaren. Am Tattag habe er dem 13-jährigen Mohammed, genannt Momo, eine Lektion erteilen, ihn für sein angeblich respektloses Verhalten bestrafen wollen.
Wagner-Weßel sagt auch, dass der Angeklagte um seine Aggressivität gewusst habe. Und als bedürfe es dafür eines Beweises, fängt Gökhan Ü. an, wütend und laut zu werden. „Sie haben den Zeugen nicht zugehört“, ruft er der Vorsitzenden Richterin entgegen. Das hier sei kein Rechtsstaat. Und als ihn Ingrid Wagner-Weßel auffordert, still zu sein, hebt er noch mehr die Stimme: „Ich soll einfach die Schnauze halten, oder was?“, fragt er aufgebracht.
Dann springt Gökhan Ü. auf, verlässt durch die Tür, durch die die Angeklagten hereingeführt und hinausgebracht werden, den Saal. Zweimal wird ein Wachtmeister zu ihm geschickt. Zweimal kommt der Beamte wieder. Gökhan Ü. wolle nicht mehr erscheinen, sagt er. Also wird die Urteilsverkündung ohne Gökhan Ü. fortgesetzt.
Es ist das zweite Verfahren, dem sich der Angeklagte stellen musste. In einem ersten Prozess um den gewaltsamen Tod des 13-jährigen Momo war der gelernte Fleischer im vergangenen Jahr wegen Totschlags zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Momos Eltern sahen das Urteil als zu milde an. Als Nebenkläger legten sie Revision ein. Mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung zumindest im Schuldspruch auf. Das Mordmotiv der niedrigen Beweggründe sei in der ersten Instanz nicht ausreichend geprüft worden, hieß es. Das holten die Richter nun nach.
„Sie haben eine ganze Familie zerstört“
Momos Eltern, die vor sechs Jahren mit ihren Kindern als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, waren an jedem Verhandlungstag dabei. Momos Mutter trägt wie so oft auch an diesem letzten Prozesstag das weiße T-Shirt mit dem Konterfei ihres Jungen und dem Satz: „Momo, wir vermissen Dich.“ Sie brach in Tränen aus, als sie am Mittag noch einmal das Wort ergriff und von ihrem Jungen sprach. Sie träume nachts von ihrem Sohn. Und zum Angeklagten Gökhan Ü. gewandt fügte sie hinzu: „Sie haben eine ganze Familie zerstört.“
Momos Mutter hört nun mit versteinertem Gesichtsausdruck, was die Vorsitzende Richterin über den Tathergang am Halloween-Abend 2020 sagt: Gökhan Ü. hatte das zweite Date mit seiner neuen Freundin. Es war ein harmonischer Abend, sie kamen aus einem Restaurant, Gökhan Ü. drehte sich zur Entspannung einen Joint. Das Paar lief Hand in Hand.
In der Unterführung zwischen James-Simon-Park und Monbijoupark in Mitte kam ihnen Momo entgegen. Er war mit ein paar Freunden unterwegs, hatte Ecstasy genommen und starrte auf sein Handy. Dabei rempelte er beinahe die Freundin von Gökhan Ü. an. Die Frau musste ausweichen. Nichts wäre passiert, wenn das Paar weitergegangen wäre.
Doch die Fastrempelei hatte ein tödliches Ende. „Der Angeklagte war erbost über die angebliche Respektlosigkeit des Jungen“, sagt die Vorsitzende Richterin. Er raunzte Momo an. Der fragte zurück: „Was willst du?“ Das habe Gökhan Ü. noch mehr empört, sagt Wagner-Weßel. Die erste Beleidigung sei von dem Angeklagten ausgegangen. Ein Wort habe das andere gegeben. Gökhan Ü. wollte nicht zurückweichen. „Der Angeklagte wollte als Sieger vom Platz gehen“, sagt die Richterin.

Der mehrfach vorbestrafte Ü. zog ein Messer. Der zehn Zentimeter tiefe Stich ging direkt in das Herz des Kindes. „Es gab für die Tat keinen berechtigten Anlass“, erklärt die Richterin. Lediglich die Unaufmerksamkeit des Jungen. Eine Bagatelle. Ein Zurückweichen vor einem Jüngeren, Kleineren, Schmächtigeren, Unbewaffneten hätte Gökhan Ü. als Versagen empfunden. Zu seiner Freundin sagte er später: Der kleine arabische Hurensohn habe keinen Respekt gezeigt. Seine Mutter solle weinen.
Angeklagter hatte von Todesangst gesprochen
Die Gründe für die Wut des Angeklagten, die zum Tod des Jungen führten, sind laut Wagner-Weßel menschlich nicht nachvollziehbar. Die Reaktion war übertrieben. Daher gehe die Kammer von niedrigen Beweggründen als Mordmotiv aus.
Wagner-Weßel macht auch deutlich, dass die Kammer dem Angeklagten nicht geglaubt habe. Der hatte noch vor der Urteilsverkündung beteuert, angegriffen worden und in Todesangst gewesen zu sein.
Mit ihrem Urteil folgt die Kammer den Anträgen des Staatsanwalts und der Anwältin der Nebenkläger, Momos Eltern. Lediglich Sylvia Frommhold, die Verteidigerin des Angeklagten, hatte gefordert, bei einer Verurteilung wegen Totschlags zu bleiben.