Streit ums Sorgerecht: Wie ein Vater beide Kinder betäubte und sie im Auto verbrannte
Vor zehn Jahren wurde der Däne Peter-Thue R. in Potsdam wegen Mordes verurteilt. Er hatte in einem Wald seine neun und zehn Jahre alten Töchter getötet.

„Ich würde mir wünschen, dass ich die Zeit zurückdrehen könnte. Das, was geschehen ist, geschah nicht aus Hass, sondern aus Liebe“, sagt Peter-Thue R. in seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündung des Landgerichts Potsdam vor fast genau zehn Jahren.
Am Morgen des 12. August 2011 springt ein Mann auf der Bundesstraße 273 bei Börnicke im brandenburgischen Landkreis Havelland vor einen herannahenden Lkw. Der Fahrer kann gerade noch bremsen. Der Unbekannte schreit und gestikuliert. Die dunklen Stellen an seiner Kleidung sehen für den 26-Jährigen, der hinter dem Lenkrad des Lasters sitzt, wie verschmiertes Blut aus. Er wähnt, einen Betrunkenen vor sich zu haben. Gegen 4.00 Uhr wählt der Lkw-Fahrer die Notrufnummer der Polizei.
Den eintreffenden Beamten sagt der verwirrt wirkende Mann, der den Laster angehalten hat, auf Englisch immer wieder: „It’s done, it’s done.“ Dann berichtet er, dass es einen Unfall gegeben habe, dass seine Kinder noch im Auto seien. Die dunklen Stellen an seiner Kleidung sind Brandflecken. Der Mann hat schwere Verbrennungen im Gesicht und an den Händen.
Im Wald, rund 200 Meter von der Bundesstraße entfernt, stoßen die Polizisten auf einen völlig ausgebrannten Kleinwagen. Die beiden vorderen Türen des Suzuki Swift stehen offen. Die hinteren Türen sind geschlossen. Erkennbar ist noch ein ausländisches Kennzeichen. Das Fahrzeug kommt aus Dänemark. Der Mann mit den Verbrennungen ist der Halter: Peter-Thue R., 40 Jahre alt, Vater von zwei Töchtern.
Im Autowrack machen die Beamten einen grausigen Fund. Sie entdecken zwei verbrannte Leichen. Die Obduktion wird ergeben, dass es die Kinder von Peter-Thue R. sind. Die neun Jahre alte Line Sofie und ihre ein Jahr ältere Schwester Marlene Marie. Sie saßen auf der Rückbank. Sie waren angeschnallt. Sie verbrannten bei lebendigem Leib. Sie hatten keine Chance.
Im Fahrzeug finden die Kriminaltechniker Brandbeschleuniger. Peter-Thue R. beteuert, dass das Auto durch einen Unfall in Flammen aufgegangen sei. Zwei Versionen wird er zum Besten geben. Version eins: Er wollte sich eine Zigarette anzünden. Doch weil es so windig war, setzte er sich ins Auto. Dann gab es einen Knall. Nach der zweiten Darstellung haben die Kinder auf den Rücksitzen mit einem Feuerzeug gespielt und das Auto aus Versehen in Brand gesetzt.
Kinder mit dem Schlafmittel Zopiclon betäubt
Der Vater der Mädchen gibt an, dass er noch versucht habe, seine Töchter zu retten. Es sei ihm nicht gelungen. Warum er sein Fahrzeug mitten in der Nacht auf den Waldweg gelenkt hat, kann er nicht erklären. Ein Rettungshubschrauber bringt ihn ins Brandverletztenzentrum des Unfallkrankenhauses Berlin-Marzahn, wo er zunächst in ein künstliches Koma versetzt wird.
Sechs Tage später muss sich Peter-Thue R. einer Eigenhaut-Transplantation an den Händen unterziehen. Die Wunden heilen gut. Und so hätte er zwei Wochen nach dem Feuertod seiner Kinder aus dem Krankenhaus entlassen werden und nach Dänemark zurückkehren können.
Wäre da nicht das toxikologische Gutachten gewesen, das kurz zuvor bei den Ermittlern eintraf. Es bestätigt den schrecklichen Verdacht, den die Fahnder schon seit dem Fund der toten Mädchen haben. In den Leichen konnten die Experten Schlafmittel nachweisen.
Für die Ermittler ist es ein Beleg dafür, dass Peter-Thue R. die Mädchen vor ihrem Feuertod bet��ubte. Er soll ihnen das verschreibungspflichtige Medikament Zopiclon verabreicht haben – in einer Menge, die als therapeutische Höchstdosis für Erwachsene gilt. Noch im Krankenhaus wird dem Vater von Line und Marlene der Haftbefehl wegen Mordes verkündet. Es besteht Fluchtgefahr.

Was die Ermittler von ihren Kollegen aus Dänemark erfahren, untermauert den furchtbaren Verdacht gegen den Vater: Der Garten- und Landschaftsbauer stammt aus einem kleinen Ort an der Küste Nordjütlands. Mit 25 Jahren lernte er seine Frau Christina O. kennen. Zusammen kauften sie einen verfallenen Bauernhof. 2000 heirateten sie. Ein Jahr später kam ihre erste gemeinsame Tochter Marlene zur Welt, 2002 wurde Line geboren.
Christina O. war Laborantin, ließ sich dann zur Lehrerin ausbilden. Ihr Mann machte sich als Landschaftsgärtner selbstständig. Der Bauernhof funktionierte jedoch nicht. Der Familienvater nahm verschiedene Jobs an, er wollte sich zum Berufsschullehrer umschulen lassen, wurde schließlich arbeitslos. In seinem Heimatort leitete er die Pfadfindergruppe.
In der Beziehung kriselte es. 2009 verließ Christina O. ihren Mann, die Ehe wurde geschieden. Nach einiger Zeit lernte Lines und Marlenes Mutter einen neuen Partner kennen. Über ihren Ex-Mann sagt sie später vor Gericht, bei der Trennung habe sie das Gefühl gehabt, für ihn würde eine Welt einstürzen. Peter-Thue R. sei mit den Jahren gefühlsmäßig abgestumpft. „Er war neidisch, wenn es anderen gut ging.“
Um die gemeinsamen Töchter begann ein Streit. Zunächst waren die Kinder eine Woche im Wechsel bei der Mutter und dem Vater. Peter-Thue R. wollte wegziehen und die Mädchen mitnehmen. Ihr Ex-Mann habe das Sorgerecht auf keinen Fall verlieren wollen, erzählt Christina O. später als Zeugin. Das wäre für ihn eine weitere Niederlage gewesen. Doch im Juli 2011 ist es so weit, das Sorgerecht für Line und Marlene wird der Mutter zugesprochen.
In den Sommerferien durfte Peter-Thue R. seine Kinder für einen Ausflug bei ihrer Mutter abholen. Dass er mit ihnen nach Deutschland fahren wollte, habe sie nicht gewusst, erzählt die Mutter der Mädchen den Richtern. Sie sagt auch, dass sie in ihren wildesten Fantasien nicht darauf gekommen wäre, dass er den Kindern etwas antun könnte.
Im Februar 2012 beginnt vor einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Potsdam der Prozess gegen Peter-Thue R. Angeklagt ist er wegen zweifachen Mordes an seinen Töchtern. Der Staatsanwalt wirft ihm niedrige Beweggründe vor.
Im Prozess rückt der Angeklagte erstmals von der Unfallversion ab. Er sagt aus, dass seine Ex-Frau versucht habe, ihm die Kinder wegzunehmen. Als dann auch noch sein Bauernhof gepfändet worden sei und er ohne Job dagestanden habe, sei bei ihm jede Hoffnung gestorben.

Am 11. August 2011 sei er mit Line und Marlene nach Bispingen in der Lüneburger Heide gefahren. Dort hätten sie den Tag in der Skihalle Snow Dome verbracht. Doch statt sich abends auf den Heimweg nach Dänemark zu machen, sei er mit dem Auto nach Berlin abgebogen. Unterwegs habe Marlene über Magenschmerzen geklagt, ihr sei übel gewesen, erklärt der Angeklagte. Er gab ihr eine Schlaftablette. Und auch Line, weil sie um eine Pille gebettelt hatte.
Erst als die Kinder schliefen, will Peter-Thue R. beschlossen haben, sich und seine Töchter umzubringen. Deswegen verschüttete er den Inhalt von zwei Fünf-Liter-Benzinkanistern im Wagen, nahm auf dem Fahrersitz Platz und betätigte das Feuerzeug.
Doch Peter-Thue R. will es nicht lange in dem brennenden Fahrzeug ausgehalten haben. Instinktiv sei er aus dem Wagen gesprungen. Er habe sich auf dem Boden gewälzt, um die Flammen am Körper zu ersticken. Dann versuchter er angeblich, seine Kinder zu retten. Feuer und Hitze seien jedoch zu dieser Zeit schon zu stark gewesen.
Ein Gutachter widerspricht vor Gericht den Angaben des Angeklagten. Nach seinen Worten hat sich Peter-Thue R. höchstens zwei Sekunden in dem brennenden Auto befunden.
Suizidversuch vor der Aussage der Kindesmutter
Insgesamt 28 Zeugen sind für das Verfahren geladen, die Mehrheit stammt aus Dänemark. Auch Christine O., die Mutter von Line und Marlene, soll am 22. März 2012 ihre Aussage machen. Doch der Angeklagte kann nicht vorgeführt werden. In der Nacht zuvor hatte er versucht, sich in der Untersuchungshaft das Leben zu nehmen.
Gegen 5.30 Uhr war er bewusstlos in seiner Zelle gefunden worden. Er hatte Tabletten von seiner medizinischen Behandlung im Gefängnis gehortet und die Antidepressiva und Schmerzmittel geschluckt. Die Zeugin Christina O. muss wieder abreisen.
Als sie sechs Wochen später ihrem einstigen Ehemann gegenübersitzt, ist kein Hass bei ihr zu spüren. Im Gegenteil. Die 41-Jährige sagt, dass Peter-Thue R. alles ihm Mögliche getan habe, um ein guter Vater zu sein. Und dass es auch eine schöne Zeit gegeben habe.
Doch die Frau spricht auch über den Streit um die Kinder. Wenn er sie nicht bekomme, dann werde sie auch kein anderer bekommen, soll Peter-Thue R. gedroht haben. Und er sprach davon, dass es einmal grausam enden würde, sollte er weiter unter Druck gesetzt werden. Mehrfach sei es bei der Übergabe der Kinder zu Handgreiflichkeiten gekommen, habe sie die Polizei rufen müssen, erklärt die Zeugin. Peter-Thue R. dreht sich demonstrativ weg, als seine geschiedene Frau aussagt. So, als habe er Angst, ihrem trauernden Blick zu begegnen.
Auch andere Zeugen schildern den Angeklagten als einen liebevollen Vater. Etwa eine langjährige Nachbarin der Familie und gute Bekannte. Sie erzählt, dass Peter-Thue R. traurig gewesen sei, dass die Mädchen bei der Mutter leben sollten. Er habe über die Entscheidung nicht geschimpft, er sei nur still und ruhig geworden.
Nach Angaben der psychiatrischen Sachverständigen war Peter-Thue R. während der Tat in einem emotionalem Ausnahmezustand. Er habe unter Hoffnungs- und Ruhelosigkeit gelitten und Suizidgedanken gehegt. Zudem leide der Angeklagte unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Doch sei dies alles nicht so schwerwiegend, um das Strafmaß zu beeinflussen. Sie hält Peter-Thue R. für voll schuldfähig.
Am letzten Maitag 2012 spricht das Gericht sein Urteil. Peter-Thue R. wird wegen Mordes an seinen beiden Töchter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Für viele Prozessbeobachter überraschend, erkennt die Kammer die von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage geforderte besondere Schwere der Schuld nicht an. Bei der Entscheidung habe es sich um einen Grenzfall gehandelt, so die Begründung.
Dabei sieht die Kammer zwei Mordmerkmale. Peter-Thue R. tötete seine Kinder heimtückisch, nutzte ihre Arg- und Wehrlosigkeit aus. Der Richter sagt, dass Line und Marlene nicht damit gerechnet hätten, dass ihr eigener Vater ihnen etwas antun würde.
Außerdem handelte der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen. Das Motiv für die furchtbare Tat sei verachtenswert, so der Richter. Peter-Thue R. konnte es nicht ertragen, dass die Kinder bei der Mutter leben sollten. „Er missgönnte ihr das Glück.“
Die Tat entsprang nach Überzeugung des Gerichts keinem spontanen Entschluss. Vielmehr habe Peter-Thue R. sie langfristig geplant. Demnach ließ sich der Vater der Kinder erstmals starke Schlaftabletten verschreiben. Und er lud vor dem Kurztrip nach Deutschland zwei Kanister Benzin in den Kofferraum. Die Kammer geht auch davon aus, dass Peter-Thue R. sich nicht selbst umbringen wollte. Dazu habe er zu kurz im Auto gesessen, erklärt der Vorsitzende Richter.
Dreieinhalb Jahre nach dem Urteilsspruch wird Peter-Thue R. aus einer deutschen Haftanstalt in ein Gefängnis in seinem Heimatland überstellt. Ein dänisches Gericht bestätigt das Urteil der Potsdamer Richter.
„Ich bitte nicht um Vergebung“, hatte Peter-Thue R. in seinem letzten Wort gesagt. Er könne sich selbst nicht vergeben.
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