Tod eines Hertha-Fans: Angeklagter gibt Faustschlag nach Relegationsspiel zu
Im Prozess um den Tod eines 55-Jährigen Mannes hat sich der angeklagte Mann aus Rostock bei der Familie des Opfers entschuldigt.

Es war ein einziger Schlag, der Michael R. nach dem Relegationsspiel Hertha BSC gegen den HSV im Mai vorigen Jahres traf. Der 55-jährige Hertha-Fan schlug mit dem Hinterkopf auf den Boden auf, zog sich lebensgefährliche Verletzungen zu. Er lag lange im Koma, verstarb einen Monat später.
Seit Freitag muss sich der 25-jährige mutmaßliche Schläger vor einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann aus Rostock Körperverletzung mit Todesfolge vor. Er soll dem Hertha-Fan am 19. Mai 2022 gegen 23 Uhr außerhalb des Olympiastadions einen „derart wuchtigen Faustschlag mitten ins Gesicht“ versetzt haben, „dass der Geschädigte ungebremst zu Boden fiel“, so Staatsanwalt Philipp Hujo.
Auf der Anklagebank sitzt Brandon H., ein junger Mann und Fan des Fußballclubs Hansa Rostock. Eine Jacke mit dem Logo des Vereins trug er an jenem Abend, wohl auch deswegen konnte er mehr als zwei Monate nach der Tat identifiziert und verhaftet werden. Bis Ende August saß der gelernte Hafenlogistiker in Untersuchungshaft, ist seitdem haftverschont.
Brandon H. gibt die Tat zu. In einer Erklärung, die sein Anwalt verliest, erklärt er, der Tod von Michael R. „tut mir unendlich leid“. Er könne sich bei der Familie des Mannes nur in aller Form entschuldigen, obwohl er wisse, dass so eine Entschuldigung niemals angenommen werden könne.
Angeklagte konsumierte Alkohol und Kokain
In seiner Einlassung berichtet er, wie es zu dem tödlichen Schlag gekommen ist. Am Nachmittag des Tattages sei er mit Michael K., dem Onkel seiner Verlobten, in dessen Auto nach Berlin gefahren - zum Relegationsspiel. Er habe auf dem Beifahrersitz gesessen, Bier und Wodka getrunken, kurz vor Berlin Kokain genommen. Auch während und nach dem Spiel will er Bier konsumiert haben.
Als sie später mit dem Auto nachhause fahren wollten, seien von überallher Fußgänger über die Straße gelaufen, Michael K. habe sehr langsam fahren müssen. Dann sei ein Mann vor dem Auto aufgetaucht, so dass der Fahrer abrupt habe bremsen müssen. Der Mann habe auf die Motorhaube geschlagen, ihnen mit beiden Händen den Stinkefinger gezeigt. Extrem wütend sei der Mann gewesen.
Der Angeklagte stieg nach eigenen Worten aufgebracht und sauer aus dem Auto, „weil ich ihm eine Ansage machen wollte“. Er habe den Mann, von dem er heute wisse, dass es Michael R. gewesen sei, gefragt, was er wolle. Beide hätten sich angeschrien. Michael R. sei selbstsicher und deutlich größer und korpulenter gewesen, berichtet der Angeklagte.
Michael R. gab ihm links und rechts „was auf die Ohren, was mir wehtat“, heißt es in der Erklärung. Er, Brandon H., habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Mann die Situation deeskalieren würde. Deswegen habe er selbst ausgeholt „und einfach nach vorn geschlagen“.
Verblüfft sei er gewesen, dass dieser große, starke Mann einfach so umgefallen sei. Brandon H. will nicht gesehen haben, dass das Opfer auf eine Bordsteinkante gefallen sei. Fünf Leute verfolgten ihn daraufhin, traten auf ihn ein. Später fuhr er mit dem Onkel seiner Verlobten nach Rostock zurück.
Augenzeuge nennt Angeklagten den Aggressor
Dass Michael R. so schwer verletzt worden sei, im Koma gelegen habe, will er erst später erfahren haben. „Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht damit gerechnet, dass die Sache für mich noch ein Nachspiel haben könnte“, so Brandon H. Er sei verzweifelt, traurig und fast erleichtert gewesen, als er festgenommen worden sei.
Den Angaben von Brandon H. widerspricht Oliver S., ein Augenzeuge. Er nennt den mutmaßlichen Täter den Aggressor und das Opfer einen Mann, der in Feierlaune vor dem Auto gestanden habe. Der Zeuge, ein 45-jähriger Filmemacher, war selbst im Stadion. Er hatte sein Fahrrad dabei, wollte damals schlichten. Er habe gemerkt, dass seine Worte den „Aggressor“ nicht mehr erreicht hätten, sagt der Zeuge. Damals habe er gespürt, dass etwas passieren würde.
Oliver S. beschreibt, dass der bedrängte Michael R. dem Angreifer ins Gesicht gegriffen habe. Dann sei es auch schon zu dem Faustschlag gekommen. „Wie eine Bahnschranke ganz gerade“ sei das Opfer umgefallen. Oliver S. hörte, wie der Schädel ungebremst auf den Boden schlug. „Den Aufprall werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, erzählt der Zeuge.
Damals war Oliver S. dem in seinen Augen angetrunkenen Schläger hinterhergelaufen, hatte geschrien, dass er stehenbleiben solle, dass er einen Mann totgeschlagen habe. Doch der „Aggressor“ sei über eine Absperrung geklettert und in der Menschenmenge verschwunden.
Den Stinkefinger, den Michael R. nach den Worten des Angeklagten den Männern im Auto gezeigt haben soll, sah der Zeuge nicht. Es müsse aber so etwas gegeben haben, sagt Oliver S. Der Angreifer habe beim Aussteigen aus dem Auto sinngemäß gefragt: Was zeigst du den Stinkefinger?
Die Mordkommission hatte damals nach Zeugenaussagen ein Phantombild des Schlägers erstellt und veröffentlicht. In dem Fahndungsaufruf war auch zu lesen, dass der Gesuchte Oberbekleidung mit dem Vereinslogo des FC Hansa Rostock getragen habe und aus einem schwarzen BMW-Kombi mit Rostocker Kennzeichen gestiegen sei.
Für den Prozess sind insgesamt acht Verhandlungstage vorgesehen. Auch die Ehefrau von Michael R. soll dabei als Zeugin gehört werden. Sie ist in dem Verfahren Nebenklägerin.