Mysteriöse Anti-Kriegs-Graffiti in ganz Berlin: Wer steckt dahinter?

„Das ist nicht unser Krieg“ – diese Parole sieht man an prominenten Stellen in der Stadt. Sind die Urheber organisiert, kommen sie von links oder rechts?

Immer eine klare Schrift, immer fehlerfrei: Die Parole findet sich an vielen Orten in Berlin.  Und meistens an prominenter Stelle.
Immer eine klare Schrift, immer fehlerfrei: Die Parole findet sich an vielen Orten in Berlin. Und meistens an prominenter Stelle.Emmanuele Contini

Im Herbst 2022 tauchte er in Berlin das erste Mal auf, erst einmal, dann immer öfter, immer größer. Alle sollten sie sehen, die Buchstaben, an exponierten Orten, an großen Straßen, an den großen Umsteigebahnhöfen. Inzwischen ist er in fast allen Stadtteilen zu sehen, der Schriftzug „Das ist nicht unser Krieg“. Am Frankfurter Tor an einer Wand, in der Nähe des Spittelmarktes auf einem Container, an einer Ufermauer, am Kreuzberger Wassertorplatz, bei der Heilig-Kreuz-Kirche an der Zossener Straße oder im Prenzlauer Berg an der Ecke Schönhauser Allee und Oderbergerstraße.

Die Schriftbilder ähneln sich, egal ob in Kreuzberg oder Pankow. Die Urheber bleiben anonym, und das aus gutem Grund. Laut Berliner Polizei laufen schon einige Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung. Wer also steckt dahinter?

Spricht man auf der Straße mit Brasilianern, mit Südafrikanern oder auch mit Türken, hört man oft Sätze, die ganz ähnlich klingen. Schließlich gibt es viele Länder in der Welt, die gar nicht daran denken, sich in Sachen Ukrainekrieg auf die Seite des Westens zu stellen. Und natürlich sind auch viele Deutsche dieser Meinung, ohne dass sie weit links oder rechts stehen. Auch wenn laut einer aktuellen Spiegel-Umfrage die Mehrheit der Deutschen Kampfpanzer-Lieferungen an Kiew befürwortet.  

Einer der Schriftzüge hier auf einer Mauer beim Roten Rathaus. Und das "nicht" ist auch schon durchgestrichen.
Einer der Schriftzüge hier auf einer Mauer beim Roten Rathaus. Und das "nicht" ist auch schon durchgestrichen.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Bei der Berliner Linken wisse niemand etwas von diesem Schriftzug. „Wir haben das zur Kenntnis genommen, wissen aber auch nicht, wer dahintersteht“, sagte ein Sprecher der Berliner Zeitung. Auch bei Organisationen gegen Rechts, wie etwa bei „Berlin gegen Nazis“ oder bei der Antonio-Amadeu-Stiftung, könne man nicht einordnen, „ob das ein links oder rechts konnotierter Hintergrund ist“, so ein Sprecher. 

Urheber aus der autonomen rechten Kameradschaftsszene?

Dass die Parolen eher rechts gelagert sind, glaubt „Alfonso Rigatoni“. Das ist nicht sein richtiger Name, aber so nennt er sich auf der Plattform Twitter. Er hat selbst eine aktivistische Vergangenheit und beobachtet die rechte Szene. Auf seinem Account postete er Anfang Januar mehrere Fotos der Schriftzüge.

Er ist sich sicher: „Das kommt von rechts, das ist so ein Gefühl.“ Eine progressive pazifistische Haltung klinge anders, sagt er der Berliner Zeitung. „Das hier ist eher die Ebene: Schießt doch, aber lasst uns raus aus der Nummer.“ Er ist sich sicher, dass Linke sich mehr auf den Frieden berufen hätten. „Wenn ich gegen Kriege bin, dann male ich Antikriegsparolen, fordere Abrüstung auf allen Seiten oder mache mich für die Zivilbevölkerung stark.“ 

Man findet die Sprüche überall: Auf Hauswänden, Bauzäunen, Containern. Hier in der Nähe des Petriplatzes.
Man findet die Sprüche überall: Auf Hauswänden, Bauzäunen, Containern. Hier in der Nähe des Petriplatzes.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Im Internet kommt das Zitat „Das ist nicht unser Krieg“ tatsächlich häufiger aus einer eher rechtskonservativen Ecke. Zwar stößt man beim Suchen auch auf die Wochenzeitung "Freitag", aber mehr Einträge kommen von der anderen Seite: vom ehemaligen Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen, bekannt für seine rechten Positionen, oder vom rechts gelagerten Onlinemagazins Rubikon. AfD-Rechtsaußen Björn Höcke schreibt auf Twitter: „Die Kriegsrhetorik auf allen regierungsnahen Medien ist unerträglich geworden. Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich — aber es ist nicht unser Krieg!“ Die rechtsgerichtete Zeitung Junge Freiheit überschreibt ein Interview mit dem AfD-Politiker Gauland mit dem Zitat.

Steht also womöglich eine Wahlkampagne der AfD dahinter? Die Berliner AfD distanziert sich von den Graffitis: „Von uns ist das nicht“, sagt die Landesvorsitzende Kristin Brinker der Berliner Zeitung. Ihr selbst seien die Schriftzüge gar nicht aufgefallen. "Mir ist auch nicht bekannt, dass jemand aus unseren Reihen das macht.“ Und auch wenn sie grundsätzlich gegen Krieg sei, auch gegen diesen: "In dieser Parole ist so wenig Inhalt. Das Thema ist viel komplexer."

Auch „Alfonso Rigatoni“ glaubt nicht, dass eine Partei hinter den Graffitis steht: „Die neuen Rechten sind ja keine Springerstiefelnazis mehr, die sind viel smarter. Ich denke, dass die Initiative aus der autonomen rechten Kameradschaftsszene kommt.“ Dort seien manche auch in der Sprayerszene unterwegs.  Diesen Verdacht findet Jurij Paderin von der Graffiti Lobby Berlin problematisch: "Wir als Graffiti Writing und Urban Art Szene distanzieren uns vom rechtsradikalem und neonazistischem Gedankengut. Wir Sprayer kämpfen für die Freiheit und die Demokratie!"

Profis am Werk

Es spricht jedenfalls einiges dafür, dass die Macher wissen, was sie tun. Das Schriftbild ist sauber, fehlerlos, die Buchstaben sind klar und gleich hoch, die Sprayer haben offensichtlich nicht gewackelt oder gezittert. Und der Ex-Aktivist „Rigatoni“ meint zu erkennen, dass hier keine Anfänger am Werk waren: "Es ist ein Unterschied, ob man Sprühlack aus dem Baumarkt holt oder aus dem Graffitiladen. Das sind ganz andere Sprühköpfe, da ist mehr Druck dahinter.“ Und selbst wenn einmal eine Parole offensichtlich nicht ins Raster passen sollte: Trittbrettfahrer gibt es immer.

Hier einmal richtig groß: Die Parole auf einem Bauzaun beim Haus der Statistik
Hier einmal richtig groß: Die Parole auf einem Bauzaun beim Haus der StatistikMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Mittlerweile offensichtlich auch einige Berliner, die sich einmischen: Immer öfter ist das „nicht“ aus dem Satz gut sichtbar durchgestrichen. Und neben einem der Sprüche am Wassertorplatz sammeln sich etliche Kommentare: „Lasst euch nicht verarschen“, „Der Krieg hat nichts mit unseren Preiserhöhungen zu tun“, „Geht auf die Barrikaden Jungs & Mädels“ oder: „Das Volk muss sich dagegen wehren“. Ein anderer Spruch ist unleserlich, weil er schon wieder überpinselt wurde. Ebenso wie eine Parole am Konzerthaus in Mitte, die übermalt wurde – um dann ein paar hundert Meter weiter wieder aufzutauchen. 

Wie viele Anzeigen wegen der Parolen schon bei der Polizei eingegangen sind, könne man nicht sagen: Man zähle Anzeigen wegen Sachbeschädigung nicht nach Themen getrennt. Klar ist nur: Wer laut Strafgesetzbuch rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. 


Empfehlungen aus dem Ticketshop: