„Seit vielen Wochen keine Post“: Berliner warten verzweifelt auf Briefe

Rechnungen, Rezepte oder Behördenbriefe kommen nicht an. Seit Ferienbeginn gibt es in einigen Gegenden offenbar echte Zustellprobleme. Die Post will reagieren.

Seltener Anblick in Berlin: Postzusteller auf dem Fahrrad.
Seltener Anblick in Berlin: Postzusteller auf dem Fahrrad.dpa/Julian Stratenschulte

Die einst legendäre deutsche Pünktlichkeit ist auch in der „Post-Universaldienstleistungsverordnung“ festgeschrieben. Dort ist von sogenannten Brieflaufzeiten die Rede. Das sind Zielvorgaben für die Zustellung von Briefen, von denen etliche Berliner derzeit nur träumen können. Jedenfalls erreichten die Redaktion der Berliner Zeitung innerhalb sehr kurzer Zeit gleich mehrere Beschwerden von Lesern mit dem immer gleichen Inhalt: Seit Wochen habe man keine Briefe mehr im Briefkasten. Obwohl man Schreiben erwarte.

Dabei besagt die Post-Norm: Werden Briefe im Inland an einem Werktag in einen Briefkasten gesteckt, dann müssen im Jahresdurchschnitt mindestens 80 Prozent dieser Briefe am nächsten Tag beim Empfänger sein – 95 Prozent aller Briefe am zweiten Tag.

Barbara F. in Berlin-Kreuzberg würde sich freuen, wenn sie wenigstens einmal pro Woche die Post zugestellt bekäme, sagt sie. Die 77-Jährige sitzt im Rollstuhl. Sie ist mächtig genervt von den derzeitigen Zuständen, denn sie ist auf die Postzustellung angewiesen, weil sie wegen ihrer Behinderung nicht so mobil ist.

Sie bekommt Rezepte per Post

In ihrer Wohnung erzählt sie, dass sie regelmäßig Medikamente benötige. „Dafür schicke ich meine Krankenkassenkarte zu meinem Arzt. Und er schickt sie mir mit dem Rezept zurück.“ Doch derzeit traue sie sich das gar nicht mehr, weil sie nicht wisse, ob sie ihre Krankenkassenkarte wieder per Post zurückbekomme. „Und ich brauche meine Karte immer schnell wieder zurück, weil ich zweimal pro Woche hier in der Wohnung Hausbehandlungen bekomme.“ Bei den letzten Medikamenten habe sie dafür gesorgt, dass ihr der Arzt das Rezept nicht per Post zuschickte, sondern per Fax an die Apotheke. Aber da gab es dann auch wieder Probleme wegen der Abrechnung.

„Es ist ein ewiger Dauerstress“, sagt sie. „Wenn ich auf den Kalender schaue, dann sind es bald sechs Wochen, dass wir ohne Briefzustellung sind.“ Sie erzählt von einer Nachbarin, die seit längerem auf ihre Geldkarte warte. Eine andere Nachbarin habe einen Briefzusteller mit übervollen Taschen am Rad auf der Straße gesehen und ihn angefleht, die Probleme zu lösen. „Der hat gesagt: Wir sollen bei der Zentrale in Bonn anrufen“, sagt Barbara F. Kurz danach hätten sie immerhin einmal Post bekommen. Aber seither nicht wieder.

Barbara F. habe sich mehrfach beschwert, habe sich an die Servicestelle der Post gewendet. „Die haben gesagt, dass sie den zuständigen Regionalleiter einschalten. Aber geändert hat sich nichts.“ Sie habe auch ein Beschwerdeformular auf der Internetseite der zuständigen Bundesnetzagentur abgeschickt und Antwort erhalten. „Aber weiterhin keine Post.“ Die Frau im Rollstuhl sagt, das Chaos liege auch nicht nur am Sommer, an Corona oder der Urlaubszeit. „Ich denke, die Post hat ein grundsätzliches systemisches Problem.“

Die Berliner Zeitung fragte bei der Deutschen Post nach und leitete auch die von den Lesern genannten Straßennamen weiter. Wie ein Sprecher der Deutschen Post mitteilte, entschuldige sich das Unternehmen für die nicht rechtzeitig zugestellten Briefe. Aber die Behauptung der Leser, dass wochenlang keine Post kam, könne so nicht stimmen.

Post sagt: Es gab keine wochenlangen Ausfälle

Die Post verweist auf die „Sommer-Corona-Infektionswelle“, die auch an der Post nicht spurlos vorbeigehe. Auch in Berlin steige in den Betriebsstätten der Krankenstand. Hinzu komme die aktuelle Urlaubs- und Ferienzeit. Aufgrund „der meist krankheitsbedingten Personalausfälle“ hätten in Einzelfällen bestimmte Zustelltouren aufgeteilt werden müssen. „In diesen Fällen kann es zu Verzögerungen bei der Postzustellung kommen.“ Dann wird in der Mitteilung extra hervorgehoben: „Wir können jedoch ausschließen, dass es in Berlin irgendwo wochenlange Zustellausfälle gegeben hat.“

Es sei extra noch einmal der Zustellbereich von Barbara F. geprüft worden. Das Ergebnis: In ihrer Straße gebe es gleich drei verschiedene Zustelltouren. Auf zwei Routen fehlten die beiden Stammzusteller. Es waren jeweils Vertreter im Einsatz, die sich in den örtlichen Gegebenheiten nicht so gut auskannten, heißt es. „Daher kam es an einzelnen Tagen zu Zustellabbrüchen und zur nicht taggleichen, sondern zeitverzögerten Belieferung der am Tourende liegenden Haushalte.“ Aber alle Beschwerden seien bearbeitet und die vorliegenden Sendungen – „mit geringen Verzögerungen“ ausgeliefert worden.

Alexander H. aus Mitte, in der Nähe zu Prenzlauer Berg, hat seit Ferienbeginn ähnliche Probleme wie die Rollstuhlfahrerin aus Kreuzberg. Der 26-jährige Student aus Österreich ist seit einem Jahr in Berlin, und bis vor kurzem lief mit der Post alles ganz glatt. „Doch seit bald vier Wochen kommen keine Briefe mehr“, sagt er. Alles andere werde zugestellt, Pakete oder Sendungen über den Zusteller PIN Mail oder andere Dienstleister. „Nur Brief und Päckchen, also die Dinge von der Deutschen Post, kommen nicht mehr“, sagt er.

„Wir wohnen hier zu zweit und bekommen normalerweise jeden zweiten Tag Briefe“, sagte er. Er und sein Mitbewohner wüssten auch von mehreren Schreiben, die unterwegs seien: eine Karte von der Bank, eine Rechnung, ein Brief von der Bank und ein Behördenbrief. „Aber seit mehr als drei Wochen ist der Briefkasten leer.“ Nur ein einziges Mal sei ein Brief gekommen – und der hatte drei Wochen Verspätung.

„Da rennt man gegen Wände“

Alexander H. sagt, er habe auch bei der Post angerufen, ihm wurde etwas von Corona und Überlastung erzählt. Er habe sich auch über die Internetseite der Bundesnetzagentur beschwert, aber seit einer Woche keine Antwort bekommen. „Da rennt man gegen Wände.“ Er habe sich extra erkundigt: Auch die Nachbarn würden darüber klagen.

Wie die Post mitteilt, gab es im Zustellbereich des Studenten „bei einigen Hausnummern in den vergangenen drei Wochen vermehrt Zustellabbrüche der Kollegen“. Der Grund dafür: Ihre Höchstarbeitszeit war erreicht. „Deshalb konnten die auf der Zustelltour noch verbleibenden Haushalte nicht taggleich, sondern verspätet erst am Folgetag mit Post beliefert werden.“

Alexander H. erlebte das anders und wartet weiter auf die angekündigten Briefe. Der Wiener erzählt, dass er solche Zustände aus Wien nicht kennt. „Dort gibt es noch echte Postfilialen in den Wohngebieten, von denen aus die Zustellung der Briefe passiert“, erzählt er. „Dadurch haben wir dort auch noch echte Ansprechpartner, die wirklich Ahnung haben.“ In seinem Berliner Kiez gäbe es weit und breit keine Post. „Da gibt es nur Spätis, die Pakete annehmen.“

Offensichtlich sind die Zustellprobleme eben doch keine Einzelfälle. Wie die Post mitteilt, hätten die Betriebsleitungen für Mitte und Kreuzberg „sehr zeitnah reagiert und betriebliche Entlastungsmaßnahmen eingeleitet“. So wurden beispielsweise Kollegen aus anderen Zustellbereichen geholt. Ziel sei es, nicht gelieferte Briefe am Folgetag zuzustellen. „Wir haben bereits Einstellungen vorgenommen und schulen die neuen Kollegen“, heißt es bei der Post. Und es werden auch weiterhin zusätzliche Mitarbeiter gesucht.

Service: Grundsätzlich können sich Post-Kunden bei Problemen an die zentrale Kunden-Hotline 0228/43 33 112 wenden.

Hinweis: Wenn Sie ebenfalls Probleme bei der Zustellung der Post haben, melden Sie sich bitte bei uns unter:
leser-blz@berlinerverlag.com