Das religiös motivierte Mobbing an der Tempelhofer Paul-Simmel-Grundschule ist kein Einzelfall.
Die verstörenden Vorfälle an der Paul-Simmel-Grundschule in Tempelhof haben das religiös motivierte Mobbing auf die politische Tagesordnung gesetzt. „Es ist unerträglich, dass ein Kind antisemitisch angegriffen und mit dem Tode bedroht wird“, teilte Sawsan Chebli (SPD), Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei, auf Twitter mit. „Muslime in Deutschland dürfen hier nicht schweigen.“ Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nannte die Vorfälle in der Bild-Zeitung „beschämend und unerträglich“.
Ein betroffener Vater hatte der Berliner Zeitung berichtet, wie seine Tochter von Mitschülern in den vergangenen Jahren in mehreren Fällen herabgewürdigt wurde. Sogar mit dem Tode bedroht wurde sie, weil sie nicht an Allah glaube. Als ein Mitschüler schließlich herausbekam, dass ein Elternteil des Mädchens jüdischer Herkunft ist, rief der Mitschüler bedrohlich „Jude, Jude!“. Ähnliche Fälle sind in den vergangenen Jahren aus anderen Schulen bekannt geworden.
„Es gibt diese kulturell-religiösen Einstellungen, das sind keine Einzelfälle“, bestätigte Maja Lasic, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, mit Wahlkreis in Wedding. „Viele Schüler und ihre Familien in Wedding und anderswo haben keine Erfahrung mit Vielfalt, mit verschiedenartigen Kulturen.“ Besonders dann, wenn die Segregation in Schulen bereits weit fortgeschritten sei, könnten sich religiös geprägte Einstellungen weiter verfestigen, sagt Lasic, selbst im Jahr 1993 als 14-Jährige aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland gekommen.
Berliner Schulen kümmern sich zu wenig um Religion
Sie promovierte später in Biologie und war vor ihrer politischen Karriere als Lehrerin tätig. „In meiner Arbeit an einer Weddinger Hauptschule bin ich stets dagegen vorgegangen, wenn meine Schüler bestimmte Religionen und Einstellungen nicht akzeptieren wollten“, sagt Lasic. Wahrscheinlich habe sie da als Migrantin eine besondere Glaubwürdigkeit gehabt. „Viele meiner Kollegen hatten sicherlich mehr Hemmungen.“
Lehrkräften komme im Kampf gegen kulturelle und religiöse Verhaltensmuster eine Schlüsselrolle zu, fügte die SPD-Politikerin an. In der Schule habe sie zum Beispiel stets offen gesagt, dass sie Atheistin sei. „Dass ausgerechnet eine Lehrerin, die die meisten doch recht liebhatten, nicht gläubig ist, half, gefestigte Gedankenmuster zu brechen“, erklärt Lasic.
Die Berliner Bildungspolitikerin Hildegard Bentele (CDU) lobte den Vater des Grundschulmädchens, selbst einst als Flüchtling gekommen, für seine Äußerungen in der Berliner Zeitung. „Er spricht es aus, was wir von Migranten erwarten können: die deutsche Sprache zu erlernen und sich an westliche Werte und die Umgebung anzupassen“, sagte Bentele. Eine Art Leitkultur sei oft hilfreicher als kleinteilige Projekte vor Ort. Viele Berliner Schulen würden sich zu wenig um Religion kümmern, die Gemeinsamkeiten der monotheistischen Religionen kaum vermitteln, so Bentele.
Kein 'Wir'-Gefühl in der Gesellschaft
Norman Heise, Berlins oberster Elternsprecher, regte an, in solchen Fällen mit den Opfern besonders sensibel umzugehen. Tatsächlich will das bedrohte Mädchen die Schule wechseln, während die aggressiven Mitschüler dort bleiben können. Einen Grundschüler könne man aber auch nicht einfach ohne Vorlauf suspendieren, sagte Heise. Er betonte, dass die Schule offenbar alle Regularien wie Elterngespräche und Thematisierung im Unterricht eingehalten habe. Zu hinterfragen sei insbesondere die Rolle des Elternhauses.
Eine Befragung von Berliner Lehrern im Auftrag des American Jewish Commitee hatte zuletzt Radikalisierungsprozesse von Schülern teilweise bestätigt. Ein schwuler Lehrer etwa gab dort zu Protokoll, wegen der homophoben Einstellung vieler Schüler von einem persönlichen Outing abzusehen.
Der Neuköllner Psychologe Kazim Erdogan, Gründer der ersten türkischen Väter- und Männergruppe, findet angesichts der jüngsten Vorfälle mahnende Worte: „Auch fast 60 Jahre nach den ersten Einwanderern aus der Türkei hat sich offenbar noch kein wirkliches ,Wir‘-Gefühl in der Gesellschaft herausgebildet“, sagte er. Angesichts der jüngeren Vorfälle müssten sich alle Eltern in den Bildungseinrichtungen zusammensetzen und besser kennenlernen. Es helfe nicht, in „die da“ und „wir“ zu unterscheiden. „Vertrauen entsteht dort, wo man sich kennt“, sagte Erdogan.