Das sinnliche Erlebnis in einem Berliner Carsharing-Wagen
Alle fünf menschlichen Sinne werden beansprucht, wenn man sich in Berlin ein Fahrzeug teilt.

Der Mensch verfügt über fünf Sinne: Sehen, Tasten, Riechen, Hören, Schmecken. Insofern ist die Buchung eines Carsharing-Autos eine sehr sinnliche Angelegenheit. Der Reihe nach: Wer sich hinters Steuer setzt oder als Beifahrer einsteigt, kann sofort sehen, dass die erhöhte Häufigkeit der Innenraum-Reinigung, die die Anbieter zu Beginn der Pandemie eingeführt hatten, mittlerweile als abgeschlossenes Projekt gelten darf. Ein Unternehmen berechnet bei der Vorbuchung eines Wagens sogar extra Gebühren, wenn das Fahrzeug gereinigt bereitgestellt werden soll. Deutlich sichtbar sind Rückstände voriger Fahrerinnen und Fahrer, die benutzte Getränkedosen oder Taschentücher in den Ablagen hinterlassen haben, was immer an deren Sozialkompetenz zweifeln lässt, in Corona-Zeiten aber ein geradezu vernichtendes Urteil über sie spricht.
Auch der Tastsinn wird auf eine harte Probe gestellt. Würde „Wetten, dass...?“ noch regelmäßig ausgestrahlt, könnte man sich so bewerben: Ich wette, dass ich mit verbundenen Augen einsteigen und mit dem bloßen Berühren von Lenkrad, Schalthebel und Handbremse erraten kann, welchen Energydrink der Vorbesitzer verschüttet hat. Auf die klebrige Haptik sind manche Kunden gut vorbereitet, darauf schließen jedenfalls die gebrauchten Desinfektionstücher, die sie zusammengeknüllt in den Ablagen der Fahrertür zurückließen.
Ungleich langweiliger wäre eine Wette über das Parfüm der Vorbesitzer. Der Geruchssinn wird hier gleichermaßen unterfordert wie überlastet: Laut der eigenen Stichproben liegt nämlich immer der gleiche Männerduft unter dem Autodach. Ob die Männer, die dieses eine Parfüm auflegen, einfach besonders häufig Carsharing nutzen, wäre ein Fall für die Soziologie. Sicher ist hingegen, dass sie es mit der eingesetzten Menge zu gut meinen. Bei einer Fahrt zu Weihnachten quer durch die Stadt stand der Geruch noch nach zwanzig Minuten im Auto, obwohl die Fenster zum Durchlüften geöffnet waren.
Mit etwas Übung lässt sich übrigens sogar hören, in welchem Stadtteil man sich beim Einsteigen befindet: Eingestellte Lautstärke und Radiosender sind ein untrüglicher Wegweiser. Sofern man keinen Schluck aus einer offenen Getränkedose nehmen will, fehlt zur kompletten Sinnlichkeit also nur noch ein Anreiz für den Geschmackssinn.