Das störrische Volk will nicht gendern: Was aus versuchten Sprachreformen wird
Seit Jahrhunderten versuchen Sprachveränderer, neue Begriffe und Sprachformen durchzusetzen. Manches bleibt hängen, vieles jedoch auch nicht.

Manchmal frage ich mich angesichts aktueller Debatten, was von versuchten Sprachreformen am Ende wirklich hängenbleibt. Im Alltag, meine ich. Schauen wir zum Beispiel mal 200 bis 400 Jahre zurück. Damals wollten die sogenannten deutschen Sprachpuristen die Menschen mit neuen Wörtern beglücken.
Aus der „Natur“ sollte die „Zeugemutter“ werden, aus dem „Nonnenkloster“ der „Jungfernzwinger“, aus der „Mumie“ die „Dörrleiche“, aus dem „Fenster“ der „Tageleuchter“ und aus der „Pistole“ der „Meuchelpuffer“. Später sollte es heißen: „Reifeprüfling“ statt „Abiturient“, „ankinden“ statt „adoptieren“ oder „Kleidergelass“ statt „Garderobe“.
Viele Leute amüsieren sich noch heute über solche verkorksten Reformanstrengungen. Dabei vergessen sie, dass die Sprachveränderer im Laufe der Jahrhunderte durchaus Erfolg hatten. So setzten sich neue Begriffe durch wie das „Feingefühl“, die „Mundart“, der „Augenblick“. Oft stehen bis heute alte und neu erfundene Begriffe nebeneinander: „Passion“ und „Leidenschaft“, „Journal“ und „Tagebuch“, „Devise“ und „Wahlspruch“, „Antike“ und „Altertum“, „Fundament“ und „Grundlage“.
Die Basis ist die Grundlage aller Fundamente
„Die Basis ist die Grundlage aller Fundamente“ – dieser schöne Satz für Politiker-Reden wurde erst durch die Erfindung neuer Begriffe möglich. Und ohne die amtlichen Sprachveränderer bei Post und Bahn, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts herumwerkelten, gäbe es heute keinen „Briefumschlag“, keine „Postkarte“, keinen „Bahnsteig“, keine „Fahrkarte“ und kein „Abteil“. Diese Begriffe ersetzten das „Couvert“, die „Correspondenzkarte“, den „Perron“, das „Billet“ und das „Coupé“.
Dabei klänge es doch so schön, wenn man noch heute sagen könnte: „Schatz, ick jeh schon mal hoch uff’n Perrong und kiek nach unsa Kupee!“ Aber die Sprache ist kein Wunschkonzert. Man weiß nie, was sich im Sprachgebrauch am Ende wirklich durchsetzt. Und was sich zäh hält, obwohl man längst anders sprechen sollte.
Mitunter setzt sich etwas durch, weil eine ganze Begriffswelt geändert wird – wie einst bei Post und Bahn. Ältere Leute werden vielleicht noch länger „Couverts“ verlangt haben, während jüngere schon längst „Briefumschläge“ holten. Andere Wörter finden ihren Weg in den Alltag, weil sie besonders treffend oder bildhaft sind. Oder aus der Jugendsprache stammen. Begriffe kommen und gehen. Mitunter nutze ich zwar heute noch Begriffe meiner Jugend wie „Kaufhalle“ und „Plaste“ statt „Supermarkt“ und „Plastik“. Aber ich sage längst nicht mehr „Broiler“ für Hähnchen, „fetzig“ oder „urst“. Na gut, ganz selten.
Flitzpiep:innen, Knallköpp:innen, Fatzk:innen und falsche Fuffzijer:innen
Sprache ist ein diffiziles Ding. Und mit ideologische Sprachkampagnen hat man es nicht leicht, egal aus welchen Gründen sie initiiert wurden. Nehmen wir mal das „Gendern“, mit dem sprachliche Geschlechtergerechtigkeit hergestellt werden soll. Hier gehen Aktivisten, Unis, Ämter und andere eifrig voran. Aber große Teile des störrischen, schwer erziehbaren Volkes fragen: „Hä, warum?“
Wenn ich zum Beispiel durch die YouTube-Kanäle spaziere und mir anhöre, wie sogenannte Influencer reden, dann merke ich: Kaum jemand spricht dort mit Glottisschlag, wie es Sprecher in öffentlich-rechtlichen Medien tun. So gut wie nie hört man bei Leuten, die wirklich Massen von Jugendlichen beeinflussen, Begriffe wie „Politiker:innen“, „Konsument:innen“ und „Musiker:innen“. Dabei müssten sie doch kräftig „influencen“. Damit die Sprache gerechter wird. Oder?
Selten setzen sich konstruierte Dinge durch, bei denen die Sprachveränderer sich selbst nicht einig sind, welche Formen man nutzen sollte. Zum Beispiel Sternchen, Doppelpunkte, Binde- oder Unterstriche beim Gendern. Sprachreformen sollten konsequent und wirklich überzeugend sein, nicht mal so und mal so angewendet werden – also wie es gerade beliebt.
Flitzpiep:innen, Knallköpp:innen, Fatzk:innen und falsche Fuffzijer:innen
„Uff Berlinisch kannste ja ooch jar nich richtich jändern“, mischt sich mein innerer Berliner ein, völlig ungefragt. „Flitzpiep:innen, Knallköpp:innen, Fatzk:innen und falsche Fuffzijer:innen – dit hört sich doch völlig blöde an. Da kann man jar nich mehr richtich meckern. Jändern funktioniert nur, wenn man nett sein will. Zum Beispiel zu seine janzen Kumpels und Kumpelinen. Aber ick hab noch nie jehört, det jemand in de Nachrichten jesacht hat: In Deutschland jibt et so und so viele Steuerhinterzieher:innen. Nur mal nebenbei anjemerkt.“
Dieser Typ redet aber auch ein Zeug, wenn der Tag lang ist. Naja, was am Ende aus dem Berlinischen wird, weiß ja auch niemand. Lassen wir uns überraschen.