Debatte um Videoüberwachung: Mehr Kameras, mehr Sicherheit?

Die Diskussion gibt es schon lange. Doch nun hat sie an Heftigkeit zugenommen. Soll die Videoüberwachung in Berlin ausgeweitet werden? Wie groß ist ihr Nutzen?

Die Antwort der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ist  unmissverständlich. Videotechnik wirkt, davon ist Sprecherin Petra Reetz fest überzeugt. Das gelte auch für den jüngsten spektakulären Fall im Berliner Verkehr: für die Gewalttat der Männer, die versucht haben, zu Weihnachten im U-Bahnhof Schönleinstraße einen Obdachlosen anzuzünden.

Die Kamerabilder wurden rasch berlinweit veröffentlicht. Das könnte die  mutmaßlichen Täter unter Druck gesetzt und sechs von ihnen dazu bewogen haben, sich der Polizei zu stellen. Jeder von ihnen musste befürchten, auf der Straße erkannt zu werden. Reetz: „Das spricht sich herum: Ich kann überall gesehen werden.“

Auch im Fall des Mannes, der im U-Bahnhof Hermannstraße eine Frau die Treppe heruntergetreten hatte, habe Videotechnik zum Erfolg geführt. „Dass der Mann jetzt in Untersuchungshaft sitzt, freut nicht nur uns, die BVG – sondern auch mich als Bürgerin dieser Stadt. Für mich ist das eine unglaubliche Genugtuung.“

Die BVG hat alle U-Bahnhöfe und einen Großteil ihrer Fahrzeuge mit Kameras ausgestattet, deren Aufnahmen 48 Stunden gespeichert werden. Nur die Bundes- und Landespolizei dürfen sie sehen. 2008 forderten sie in 2068 Fällen Videodaten an. 2015 gab es schon 7051 Anfragen, in diesem Jahr waren es bis Ende August 5742.

Vandalismusschäden nehmen ab

Die Millioneninvestition habe sich auch für die BVG gelohnt, sagte Reetz. „Bei uns ist der Vandalismus deutlich zurückgegangen.“ 2008 summierten sich die Schäden noch auf fast zehn Millionen Euro, 2015 waren es 4,2 Millionen Euro. In diesem Jahr wird die Summe ungefähr genauso hoch sein. Immer mehr und immer bessere Kameras – weniger Vandalismus: „Aus unserer Sicht besteht da ein Zusammenhang.“

Auch die Zahl der Gewaltdelikte im Nahverkehr geht zurück – allerdings auch bei der S-Bahn, obwohl deren Züge keine Kameras haben. Straftaten, die im Affekt geschehen, ließen sich durch Kameras in der Regel nicht verhindern, sagte Reetz. Doch es erleichtere die Aufklärung, wenn es von dem oder den Tatverdächtigen gute Bilder gibt. Reetz: „Das kommt immer mehr in den Köpfen an“ – und könnte die Zahl der Straftaten indirekt beeinflussen.

Das ist die Kernfrage: Kann Videoüberwachung dazu führen, dass Kriminalität abnimmt? Der Senat zeigte sich da bisher sehr zurückhaltend. Ein solcher Zusammenhang ließe sich für Berliner U-Bahnhöfe „aufgrund der Datenlage derzeit nicht feststellen“, teilte er 2015 auf eine Anfrage der SPD hin mit.

Als die Piraten fragten, wie sich die Zahl der Straftaten durch Videoüberwachung verändert hat, verweigerte der Senat konkrete Angaben. Die Piraten forderten, dass dieses Thema  endlich wissenschaftlich untersucht wird – ohne Erfolg.

Wissenschaftler sind skeptisch

Bislang gibt es für Berlin nur eine Studie zur Videoüberwachung. Im Auftrag der BVG befassten sich Leon Hempel und Christian Alisch damit. Ihr Zwischenbericht war 2006 so ernüchternd, dass die BVG das Projekt vorzeitig beendete. Auf den untersuchten Linien U 2, U 6 und U 8 habe Videoüberwachung nicht zu weniger Straftaten geführt, hieß es. Die Zahl  der Sachbeschädigungen stieg sogar an. Es sei „keine erhebliche Veränderung der Sicherheitslage in der U-Bahn zu erwarten“.

Die neue Koalition im Senat ist sich uneins. Hakan Tas von der Linken hält an dem Prinzip fest, wonach die Videoüberwachung auf dem jetzigen Stand gehalten, aber nicht ausgebaut werden soll. So stehe es auch im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. „Kameras bringen nicht mehr Sicherheit, dafür brauchen wir mehr Polizei und Sicherheitspersonal. Auf der Straße, aber zum Beispiel auch in Bahnen und auf Bahnhöfen“, sagte Tas. Nur so ließe sich das Sicherheitsgefühl erhöhen. Im Übrigen sei klassische Präventionspolitik notwendig. „Wir müssen die Menschen erreichen, die Familien. Wir müssen dafür sorgen, dass keine Täter herangezogen werden“, sagte der Linken-Politiker.

48 Millionen Euro für bessere Kameras

Benedikt Lux (Grüne) zeigte sich ebenfalls zufrieden mit dem bestehenden Zustand – und erinnerte daran, dass Überwachungskameras prinzipiell für seine aus antiautoritären Bürgerrechtsbewegungen entstandene Partei keineswegs selbstverständlich seien. „Immerhin schrauben wir die vorhandenen Kameras nicht wieder ab“, sagte er. Auch er sei für eine bessere personelle Ausstattung der Polizei.

SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber sieht dagegen die neue Koalition in der Pflicht, sich „intensiv mit dem Thema innere Sicherheit zu befassen“. Dazu gehöre es auch, „ideologiefrei alles dafür zu tun, die Bürger zu schützen“, so Schreiber. Aus seiner Sicht könne das verstärkte Videoüberwachung mit einschließen.

Im Januar teilte der Senat mit, dass in Berlin mindestens 14.765 Videokameras den öffentlichen Raum ins Visier nehmen, von denen 3267 eine Echtzeitbeobachtung erlauben. Der Großteil (13.643 Videokameras) sei im Nahverkehr eingesetzt. Die BVG will nun weiter investieren:  48 Millionen Euro für bessere Kameras und weitere Neuerungen. Reetz: „Ende 2017 werden alle  U-Bahnhöfe die neue Technik haben.“