Demonstration gegen Gewalt: Neuköllner Männergruppe macht sich für Frauen stark

Das Medieninteresse ist groß. Mehrere Kamerateams und mindestens zehn Fotografen machen Bilder von den knapp hundert Frauen und Männern, die am Samstag auf dem Hermannplatz demonstrieren. Die meisten Teilnehmer tragen orangefarbene T-Shirts, auf denen das sehr allgemein gefasste Motto der Demonstration steht: Männer gegen Gewalt.

Die Väter- und Männergruppe des Vereins Aufbruch Neukölln hat zu der Demo aufgerufen, eine Gruppe die der Psychologe Kazim Erdogan 2007 gegründet hat. Seitdem treffen sich jeden Montag türkischstämmige Männer in Neukölln und sprechen über tabuisierte Themen – von Spielsucht bis zu häuslicher und sexueller Gewalt gegen Frauen in patriarchalischen Strukturen.

Reaktion auf Vorfälle in Köln

Ein Passant aus Neukölln informiert sich über das Demonstrationsmotto, dann sagt der ältere Herr: „Es ist gut, dass Migranten gegen die Schweinereien demonstrieren, die in dem Fall von anderen Migranten begangen wurden.“ Der Großteil der Migranten sei nicht kriminell, so viel sei klar.

„Wir wollen Solidarität mit den angegriffenen Frauen in Köln, Stuttgart und Hamburg bekunden“, sagt Erdogan, der für seine Sozialarbeit bereits mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. „Es reicht nicht aus zu sagen: Gewalt gegen Frauen ist nicht gut. Wir müssen handeln“, sagt der Psychologe. Er hätte sich mehr Teilnehmer gewünscht.

„Es sind nicht sehr viele gekommen, zumindest aber ist es ein Anfang“, sagt Gabriele Pilgram, die als Lehrerin an einer Grundschule in Kreuzberg arbeitet. „Ich finde es großartig, dass es eine Männerinitiative ist, die sich für Frauenrechte einsetzt. Wann setzen sich schon mal Männer für Frauenrechte ein?“ Erdogan kenne sie bereits. An ihrer Schule, wo 99 Prozent Schüler aus migrantischen Familien kommen würden, sei Erdogan bereits mehrfach als Gast eingeladen worden. Seitdem käme man dort viel besser mit den Eltern ins Gespräch.

„Die Politik müsste mehr tun, um Projekte, wie die von Kazim Erdogan zu unterstützen“, findet auch Marsilia Podlech. Jetzt gebe es lediglich eine Diskussion um mehr Polizeipräsenz, mehr Überwachungskameras und andere staatliche Repressionsmaßnahmen. Das aber sei ein großer Fehler. „Über Sozialarbeit wird wenig gesprochen, die fällt hinten runter. Und das ist fatal“, sagt sie. Über die Facebookseite der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes habe sie von der Veranstaltung erfahren und sei dann aus Tempelhof angereist. „Seit über 20 Jahren war ich nicht mehr auf einer Demo.“

Als die Demonstration am Kottbusser Damm entlang zieht, kommen immer wieder Ladenbesitzer aus ihren Geschäften, um nachzuschauen, gegen was demonstriert wird. „Das finde ich gut“, sagt ein Handyshopmitarbeiter, der aus Pakistan stammt. Auf die Frage eines Demonstrationsteilnehmers, ob er sich mit anschließen wolle, antwortet er: „Kann leider nicht.“

Ein älterer Mann wiederum beschwert sich über die Demonstration: „Jetzt demonstrieren hier Türken gegen Araber, so was ist nicht gut. Alle Araber sollen Vergewaltiger sein? Eine Lüge!“, schimpft er laut und will danach nichts mehr sagen. Doch dann schreit er: „Ich bin Araber“. Eine ältere Dame, die in diesem Moment vorbeispazierte, schüttelt ihren Kopf, sagt leise: „Zu viel Stolz ist nicht gut.“

„Gewalt kennt keine Religion“

Kazim Erdogan ergreift zum Abschluss am Oranienplatz das Mikrofon. Mittlerweile sind nur noch rund 50 Teilnehmer anwesend. „Gewalt kennt keine Religion, Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem“, sagt er. Es sei jetzt wichtig, nicht zu pauschalisieren: „Wir dürfen uns nicht auseinander entwickeln, sondern müssen enger zusammenrücken.“ Im Anschluss an die Rede antwortet er auf weitere Fragen von Journalisten. Haben die Übergriffe etwas mit dem Islam zu tun? „Ich kann nicht ausschließen, dass Gewalt etwas mit Religionen zu tun hat.“ Man solle aber jetzt die Menschen nicht in Glaubensrichtungen und Ethnien aufteilen. Gewalt an Frauen würde sowohl von gläubigen, als auch von atheistischen Menschen ausgeübt. Und das weltweit.

„Mir war die ganze Veranstaltung zu unkonkret“, sagt ein junger Mann, der bei der Demonstration mitgelaufen ist. „Den Islam einfach außen vor zu lassen, ist nicht der richtige Weg.“