Demos am Tag der Befreiung in Berlin: Bunte Einheitsfront für Putin und gegen Amerika
Berlin - Der Tag des Sieges ist gewissermaßen ein Tag der Einheit. Der Einheitsfront. Für Russland. Am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow flattern an diesem Sonnabend die Symbole der Zaren- und der Roten Armee, etwa das schwarz-orange Sankt-Georgs-Band. Und es wehen Fahnen: altbekannte rote mit Hammer und Sichel, kaum bekannte bunte der heute unabhängigen Ex-Sowjetrepubliken und obskure von Militäreinheiten. Alte Männer und junge Frauen in Uniform der Roten Armee sind da. Etwa 10.000 Leute sind gekommen, Linkspartei-Chefin Katja Kipping und Alt-Vorsitzender Hans Modrow legen Kränze nieder. Alle haben sich fein gemacht, es gibt was zu feiern: den Sieg über Hitler-Deutschland vor 70 Jahren.
Das ganze Wochenende steht im Zeichen Russlands und der alten Sowjetunion. Viele Russen sind als Touristen in Berlin, wo ihre Vorfahren dem Krieg ein Ende bereiteten. Auch viele, sehr unterschiedliche Deutsche begehen diesen Tag.
Am Treptower Ehrenmal mitten im Jubel zwei Größen des Berliner Clublebens: Dimitri Hegemann, Gründer des legendären Technoclubs Tresor. Und Sascha Disselkamp, Chef des Sage-Clubs und des Lobbyisten-Vereins Club Commission. Disselkamp nennt Alexander Saldostanow „meinen Freund“. Saldostanow ist Chef der militant-nationalistischen Putin-nahen Motorradgang Nachtwölfe, die mit einer Fahrt zu den Feiern nach Berlin seit Wochen für Aufsehen sorgten.
Saldostanow durfte wegen internationaler Sanktionen gegen Russland nicht einreisen. Dafür sind Hunderte anderer Männer in Motorradmontur in Treptow erschienen. Sie sind auch später in der Innenstadt präsent, zum Beispiel Unter den Linden. Den Aufnähern nach kommen sie aus Russland und der Slowakei. Andere haben sich die Worte „Walhall“, „Kelten“ und „Germany“ appliziert. Ab und an zieht eine Gruppe wie ein Prozessionszug den Hügel zum Denkmal hinauf, manche tragen alte Fotos junger Männer – gefallene Soldaten – mit sich. Wieder sind Nachtwölfe dabei. Sie haben es bis Berlin geschafft, sind durchgekommen, was ihnen hier immer wieder Beifall einbringt.
Das Geschehen strotzt vor Pathos, Nationalismus und martialischer Symbolik. „Ich bin hier, weil die aktuelle Situation in Russland und der Ukraine nichts mit den Ereignissen vor 70 Jahren zu tun hat. Wir sollten dankbar sein für den Sieg der Roten Armee“, sagt Tresor-Gründer Hegemann. Nachtwolf-Freund Disselkamp hat zuvor dasselbe mit anderen Worten gesagt.
Sturm auf den Reichstag fällt aus
Ein paar Stunden später versammelt sich eine ganz andere Gesellschaft am Sowjetischen Ehrenmal in der Straße des 17. Juni in Tiergarten. „In dem wir hier sind, machen wir es zu unserem eigenen Denkmal“, sagt der Historiker Peter Jahn. Der langjährige Chef des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst hält eine Rede zum „Tag der Befreiung“, wie es hier heißt. Ein paar hundert Leute hören zu, nachdenklich, konzentriert. Eine Frau hat ein Schild dabei. „Danke“ steht drauf. Nationalistische Töne sind nicht zu hören und nicht erwünscht.
Matthias Platzeck, Chef des Deutsch-Russischen Forums, spricht über das Leid der Soldaten und Bürger der Sowjetunion im Krieg. Auch den Konflikt mit der Ukraine erwähnt er. „Wir sagen unseren russischen Freunden: Nationalismus und Militarismus dürfen nicht noch mehr Raum greifen!“ Mit Blick auf die Propaganda im russischen Fernsehen rät er: „Rüstet ab!“
Nebenan, am Mahnmal mit seinen Weltkriegspanzern und Haubitzen, wird gerade aufgerüstet: mit einem Kassettenrekorder, aus dem Kampflieder des Alexandrow-Ensembles plärren. Inzwischen sind auch Nachtwölfe und andere Rocker eingetroffen. Russische Jungs klettern auf den Panzern herum.
Auf dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof gibt es am Nachmittag eine Kundgebung „Gemeinsam für Deutschland – für Frieden und Erhalt deutscher Kultur“. Der Organisator meldete 50 000 Teilnehmer an, gekommen sind weniger, nach Angaben der Polizei etwa 350. Aufgerufen hat der neu-rechte Publizist Jürgen Elsässer. Am Mikrofon sagt er, dass er „gegen die Islamisierung und Amerikanisierung“ Deutschlands sei.
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Erschienen ist ein braun-buntes Publikum: Uniformierte ultra-rechter Burschenschaften, die die schwarz-weiß-rote Reichsflagge am Revers tragen. Es sind viele glatzköpfige Männer in HoGeSa-Shirts da, die sich den „Hooligans gegen Salafisten“ zugehörig fühlen. Flaggen der German Defense League wehen, das ist eine Organisation, die sich als deutsche Demokraten bezeichnet und die kulturellen Wurzeln der Deutschen und das christliche Menschenbild verteidigen will.
Friedensdemo auch am Sonntag
Auch Russlandfahnen flattern. Eine Frau, die gar keine Russin ist, aber das Sankt-Georgs-Band trägt, begründet: „Ich bin für ein Europa der Nationen.“ Und das ist – neben der Angst vor Islamisierung – der gemeinsame Nenner, der dieses auf den ersten Blick skurril wirkende Publikum eint. Bis vor einiger Zeit hatten sich diese Gruppen und die Hooligans abgegrenzt von bekennenden Neonazis und der NPD. Doch auch die sind auf dem Platz zahlreich vertreten. Darunter sind der Landeschef der NPD und der Neuköllner Kreisvorsitzende.
Inzwischen halten viele Berliner Neonazis Pegida oder die sogenannten Montagsmahnwachen, zu denen Elsässer ebenfalls aufrief, „für konsensfähig“, wie einer sagt. Das erklärt, wieso die dicke Frau mit der Parole „Frei Sozial und National“ auf ihrem schwarzen Shirt offenbar kein Problem mit anderen Demonstranten hat. Ein paar Meter entfernt weht eine Israel-Fahne. Auf der Bühne spricht ein bekennender Jude über die Gefahr islamischer Einwanderung. Kurz gelingt es einer Gruppe linker Gegendemonstranten, zu stören. Behelmte Polizisten drängen sie nach wenigen Minuten ab – und die Demonstranten sind wieder unter sich. Die Polizei hat das Areal abgeriegelt. Kaum jemand hört Elsässers Truppen.
Eigentlich gab es für diese Zeit auch noch den Aufruf, „den Reichstag zu stürmen“. Doch das hat die Polizei verboten. Sie drängt das Häuflein aus 20 Personen ab. Sie halten nun an der Scheidemannstraße Reden darüber, dass Deutschland eine GmbH sei und das Deutsche Reich weiterbestehe. Im Publikum stehen Männer mit Mützen der Sowjetflotte und Kinder mit Armeekäppi. Alle lächeln.
Am Tag darauf geht es weiter mit dem Gedenken. Am Sonntag ziehen Mitglieder der Friedensbewegung durch Berlin. Angekündigt waren 5 000, erschienen sind laut Polizei 800. Viele Linke sind dabei, aber auch Teilnehmer der umstrittenen Montagsmahnwachen mit ihren teils antisemitischen Thesen, zu denen eben auch Leute wie Elsässer mobilisieren. Aber man ist sich auch hier einig: für Putin, gegen die USA.