Der Skandal um „Teichti“ war doch allen in Wien seit Monaten bekannt, oder?

Die Wiener Kulturwelt spricht seit Wochen darüber, wie es passieren konnte, dass alle von einem Skandal wussten, aber keiner Konsequenzen ziehen wollte. 

Der Wiener Schauspieler Florian Teichtmeister.
Der Wiener Schauspieler Florian Teichtmeister.Florian Wieser/dpa

Wir sitzen wieder bei der Weidinger und essen Eier im Glas, als wir vom größten Skandal erfahren, der die österreichische Filmwelt bisher erschüttert hat. Das Weidinger, das ist ein Café in Wien, an der Grenze vom 7. zum 15. Bezirk. Für Berliner: Das ist ungefähr die Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Wedding.

Wir gehen immer in dieses Café, meist am Tag der Abreise, weil dort die Zeit stillsteht: Die Vorhänge sehen aus wie aus der DDR-Zeit, die Zeitungen liegen auf den Tischen, als wäre es 1995, und ein riesiger Spiegel dehnt den Raum ins Unendliche. Es gibt einen abgetrennten Raucherbereich, obwohl drinnen das Rauchen inzwischen überall verboten ist. Und ab und an kommt die sehr alte Frau Weidinger selbst an den Tisch und schaut, wie die „Zwei Eier im Glas“ schmecken, die sie eben noch selbst gekocht und gepellt hat.

In diesem Café nun höre ich zum ersten Mal von einem Skandal, von dem ganz Österreich spricht. Es geht um einen Mann, den in Wien viele immer noch liebevoll „den Teichti“ nennen. Florian Teichtmeister ist einer der bekanntesten Schauspieler in Österreich. Er hat im Tatort gespielt, hat eine eigene Krimi-Serie, trat in Kinofilmen und im Wiener Burgtheater auf – und spielte die Hauptrolle in einem neuen feministischen Sisi-Film, der beim Filmfestival in Cannes lief und es bis in die Vorauswahl für die Auslands-Oscar-Nominierungen schaffte: „Corsage“.

Doch seit vier Wochen weiß das ganze Land, dass dieser Schauspieler auch 58.000 Dateien mit kinderpornografischem Material auf 22 Datenträgern gespeichert hat. Seine damalige Partnerin, eine Lehrerin, hat ihn angezeigt, Teichtmeister war voll geständig und händigte nicht nur sämtliche Telefone und Passwörter aus, sondern auch 100 Gramm Kokain, die er „für den Eigenbedarf“ zu Hause hatte.

Diese Razzia in Teichtis Haus allerdings fand im Herbst 2021 statt. In den rund eineinhalb Jahren danach überzeugte Teichtmeister die Wiener Film- und Theaterwelt von seiner Unschuld – seine Ex-Partnerin habe ihm schaden wollen. Er schaffte es auch, die Regisseurin von „Corsage“ zu überzeugen, Marie Kreutzer.

Ihr Film wurde nach dem Skandal sofort aus den Kinos genommen, das ZDF zieht ebenfalls alle Teichti-Filme zurück. Doch Kreutzer beließ „Corsage“ im Wettbewerb um die Oscar-Nominierungen. Ganz Wien fragte sich: Glaubte sie wirklich, dass Hollywood und die Academy dieses Detail (Kinderpornografie beim Hauptdarsteller!) übersehen würden? Taten sie nicht. Der Film wurde nicht nominiert. 

Das ist die Frage: Wer wusste was wann?

Weil wir Freunde in der Filmwelt haben, erfahren wir, dass der Skandal noch lange nicht zu Ende ist. Es gibt einen zweiten #MeToo-Fall in „Corsage“, doch der hat es bisher nur in Twittermeldungen geschafft und soll deshalb hier nur angedeutet werden: Es geht um einen zweiten Schauspieler des Films, dem strafrechtlich relevante Dinge vorgeworfen werden im Umgang mit Frauen. Dinge, die im schicken 7. Bezirk passiert sein sollen, dem Prenzlauer Berg Wiens. 

Ich fasse zusammen: Ein feministischer Film, dessen Ruf gerade von Männern sabotiert wird. Eine feministische Regisseurin, die wahrscheinlich von den #MeToo-Fällen (und schlimmerem) wusste oder davon ahnte, und die beiden trotzdem besetzte. Das ist die Frage in Wien: Wer wusste was wann? Meine Wiener sind überzeugt: Alle wussten immer alles. Ich sitze bei der Weidinger und kann es für einen Augenblick nicht fassen.